So eine Zugfahrt mit Musik in den Ohren ist etwas recht gutes. Bisweilen kommen tragische bis amüsante Verknüpfungen zusammen. Da tuckerte ich also gemächlich durch die Reussebene und sah, was die Flut angerichtet hatte – dazu schien Randy Newmans Bahn-Song “Dixie Flyer” zunächst zu passen, aber beim Refrain blieb einem dann doch das Passaggio-Sandwich etwas im Halse stecken: “Got on the Dixie Flyer bound for New Orleans – Across the state of Texas to the land of dreams.” Derart laufen die Evakuationsströme eher umgekehrt, und das war noch 100mal schlimmer als bei uns – ohne die Urner, Mätteler und andere vom Hochwasser Betroffene in die Pfanne hauen zu wollen. Michael Moore half dem Schorsch sogar Helikopter suchen.
Ja, die Gotthardroute. Das Reusstal. Mit 15 schnitt ich am TV die ersten Auftritte von Katastrophen-Franz mit, als die Reuss schon mal den halben Kanton im Würgegriff hatte. Ein gewisser Jungreporter namens Filippo Leutenegger berichtete fürs Schweizer Fernsehen im August 1987 aus der Innerschweiz – nur nannte er sich da noch bescheiden “Philippe”.
Nach den Kehrtunnels dann umsteigen in Göschenen. Gar 25 Jahre ists dieser Tage her, dass sie hier die lange Betonröhre am Gotthard aufmachten. Ich rannte nach der Schule nach Hause, um die Eröffnung dieses für einen 8jährigen gigantischen Bauwerks anzuschauen. Gigantisch war auch die Fernsehübertragung, wie meinem Primarschul-Zeichnungsheft zu entnehmen ist – mit der SRG um sechs durch den Tunnel, boah:
Nun, diese Geschichte kennen wir: Was Hans Hürlimann in seiner Rede sagte (“Dieser Tunnel ist kein Korridor für den Schwerverkehr”), erwies sich als noch wärmer denn jene Luft, die bis heute miefend aus den Abluftschächten strömt. Was hingegen bis heute unbekannt ist und endlich enthüllt sein soll: Die Eröffnungsurkunde des Gotthard-Strassentunnels wurde von den Bundesräten Furgler, Hürlimann und… mir unterzeichnet. Sogar mit Siegel.
Weiter über den Oberalppass mit interessanten Kontrasten: “Georgia” von Ray Charles, dazu tanzende Bergdohlen am Nätschen, schroffe Granitwände, stillstehende Sesselbahnen, drehende Windräder, Jesus am Kreuz, gaffende Kühe. Wieder passender, wenn auch selbe Gegend: Gladys Knight & The Pips, “Midnight Train to Georgia” – im Afternoon Train to Surselva. Und die halt immer noch wunderschöne Tonfassung des gleichnamigen Brontë-Romans, Kate Bushs “Wuthering Heights”.
Dann – bei Tschamut vorbeituckernd – wieder zurück ins Zeitalter der Gotthardtunnel-Eröffnung: Ein Sommerhit des Jahres 1980, Rocky Burnettes “Tired of Toein’ The Line”.
Damals hörten wir Radio 24 als Piratensender vom Pizzo Groppera; zum Glück waren in Sedrun wir genau unter dem gebündelten Strahl des stärksten UKW-Senders der Welt, und nebst Strassen und Tunnels war Schawis Radio 24 und die grosse Sendeantenne meine grosse Liebe – wie man sieht, kamen damals auch die ersten Caran d’Ache-Gold- und Silber-Stifte auf den Markt, das war der Hammer:
An den Sylvester 1979/80 kann ich mich bestens erinnern; ich war enttäuscht, dass das UNO-Jahr des Kindes zu Ende ging (war immer eine perfekte Ausrede für alle möglichen Streiche), wir spielten Mikado und hörten Radio 24, u.a. mit “Video Killed The Radio Star” von den Buggles und offenbar einem “Musikwettbewerb” – als Primarlehrerin Barbara Buser uns bat, ein prägendes Erlebnis aus den Weihnachtsferien zu malen, war der Fall klar:
25 Jahre später. Einige Minuten nach Rocky Burnette erreiche ich mein “Land of Dreams”: Sedrun. Frisch gemähte Wiesen, Heuduft, Spätsommersonne. Das wird meine Knochen schneller zusammenwachsen lassen.
Unten am Rhein bauen sie inzwischen eine neue Betonröhre durch den Gotthard – dereinst muss ich nicht mal mehr über den Oberalppass zahnrädeln, um hierhin zu gelangen. Die Abluftschächte finde ich aber weniger faszinierend als 1980 jene des Strassentunnels – Papa musste seinerzeit sogar mitten auf der Schöllenenstrasse anhalten, damit ich einen fotografieren konnte. Nein: Wenn im Basistunnel ab 2015 etwas schiefgeht, strömt das Gift direkt nach Sedrun, toll.
Jaja. Radio 24 gibts nur noch in Zürich bzw. das Medium wurde ja vom Video Star gekillt, und das ist auch schon Schnee von gestern, denn Video ist schon von der DVD gekillt worden, welche wiederum demnächst durch Downloads gekillt werden wird. Ein damaliger Mikado-Mitspieler ist letzte Woche hier beerdigt worden, Rocky Burnette kennt heute kein Mensch mehr, und die Halbbrüder, die eben noch Babys waren, saufen einen locker unter den Tisch.
Mein Lieblingsskilift wird demnächst abgerissen und durch eine 6er-Sesselbahn ersetzt. Der Einersessel nach Cungieri, an dem mein Grossvater noch mitgebaut hat, läuft nur noch bis am 16. Oktober, dann ist Schluss für immer. – Tönt frustriert, was? Nein nein, ich finde den Lauf der Zeit etwas ganz Gutes, und auch ihren nagenden Zahn. Nur stellt man halt öppedie fest, dass “man wird älter” nicht bloss eine dumme Floskel ist.
Und dass der Schurnalismus nebst SMS aus 10’000 Metern, gefrorenen Leichen in brennenden Wracks wirklich nicht besser geworden ist. Die Kollegen von den Sultaninen haben publik gemacht, was auch JacoBlök gesehen hatte, aber gutgläubig nicht wahr haben wollte: 10vor10 mischt fröhlich Bilder vom 11. September 2001 in die Berichterstattung über die Flut in New Orleans – ein Fall für den Presserat und ein paar saftige Verweise.
Weniger schlimm, aber auch schlufig: Das Bild in diesem Artikel ist nicht das Nordportal des Gotthardtunnels, sondern irgend ein Tunnel auf der Gotthard-Nordrampe. “Das Nordportal der Gotthardroute” als birnenweiche Bildunterschrift ist bestenfalls eine Ausrede dafür, dass “raa” zu faul war, im Bildarchiv nach einem Bild des Gotthardtunnels zu suchen (jaja, ich hätte noch ein paar aus dem Sommer 1981, aber das tut hier nix zur Sache).
Aber nun wirklich zurück zum Herumnostalgieren: Noch eine kleine Reise in die Zeit (siehe auch hier), als Beatles und Stones noch das Sagen hatten: Talstation der Sesselbahn Cungieri mit Verwandten anno 1968, Bergstation des erwähnten abbruchreifen Skiliftes 1969:
geiler text. muss man sagen. sehr schön assoziert.