Dürfen wir als ganz normale Reisevögel dank einer unheiligen Allianz der Angsthasen womöglich bald wieder an der Grenze anstehen oder Visa beantragen?
Blicken wir etwas tiefer. Gilt wie bei der Steuerhinterziehung gilt die Weisheit: Wer sich nichts zuschulden kommen lässt, hat auch nichts zu befürchten? Was ist der Grund für diese seltsame Ur-Angst, registriert zu sein oder beobachtet zu werden?
Die Situation ist an sich grotesk: Die GegnerInnen des biometrischen Passes schreiben vermutlich ihren PIN-Code auf die Bankkarte, versenden E-Mails ohne Verschlüsselung, besitzen Süperkard und Hänzicumulus, wissen nicht, was ein BIOS-Passwort ist, legen sensible Dokumente ins Altpapier. Selbst in Facebook – bekanntermassen Hort des Bösen punkto Datenschutz – wurden Gruppen gegen die Vorlage gegründet. Ein Widerspruch in sich.
Natürlich ist man konsequenterweise auch gleich gegen jegliche Videoüberwachung. Ob letztere womöglich die vereinfachte Aufklärung von Verbrechen ermöglicht, ist ihnen egal – sie sind es ja nicht, die beraubt wurden. Sich ins Opfer hineinversetzen? Nein danke – die oftmals ideologisch verblendete Phobie gegen das ach so weh tuende Gefilmtwerden in der Bahnhofunterführung ist sooo viel stärker.
Zurück zu den Pässen und der geplanten Datenbank: Müssten die GegnerInnen der Ausweis-Vorlage vom Sonntag konsequenterweise ihren Nachwuchs nicht im Geheimen zur Welt bringen und tunlichst jegliche Registrierung vermeiden? Ihre Patientendaten und Röntgenbilder von der Ärztin umgehend vernichten lassen – hui, sie könnten ja in falsche Hände geraten? Alle Kundendaten bei allen Firmen umgehend löschen lassen? Der Einwohnerkontrolle melden, man möge bitte umgehend alles über sie löschen?
Klar: Es ist bedauerlich, dass es der Bundesrat versäumt hat, eine weniger angreifbare Vorlage zu präsentieren und erschwingliche Preise sowie konsumentenfreundliche Erwerbsmöglichkeiten für die neuen Ausweise festzulegen.
Eine Totalopposition bringt aber nichts. Ausser Ärger für viele Menschen. Oder was soll mit den vorhandenen Daten genau angestellt werden können? Sollen sich nun plötzlich in 007-Manier alle Bösewichte plötzlich mit Nachbildungen von Fingerkuppen unbescholtener BürgerInnen ausrüsten, die sie irgendwie aus den neuen Ausweisen extrahieren konnten?
Letztlich hat der Mensch hat immer schon gemacht, was technisch möglich war. In einigen Dutzend Jahren werden wir alle einen Chip implantiert haben wie heute schon Haustiere – reichlich naiv, wer dies negieren würde. Was solls? – Vieles wird dadurch einfacher werden. Banknoten bekamen auch irgendwann ein Wasserzeichen, dann einen “Goldfaden” und andere Sicherheitsmerkmale. Pässe wurden irgendwann maschinenlesbar; heute wird eben nachgerüstet, was möglich ist.
Ich verstehe diese weit verbreitete Phobie vor einer angeblichen Bespitzelung nicht, auch wenn ein Grossteil meiner Verwandtschaft und Bekanntschaft fichiert war und ich selbst es in den 1980ern wohl auch gewesen wäre, wenn ich älter gewesen wäre. Natürlich läuft es mir kalt den Rücken runter, wenn ich die feinsäuberlich archivierten Polizei-Karteikarten in einer linken Beiz lese. Doch – haben sich die Zeiten seit den finsteren 1970ern und 1980ern nicht leicht geändert?
Ich verstehe diesen Abwehrreflex gegen jegliche theoretische “Freiheitsberaubungen” oder einen “Überwachungsstaat” inzwischen schlicht nicht mehr.
Wir sind weder die DDR noch Burma. Welcher Muskel zuckt genau, wenn man ohne weitere Kommentare in einer Datenbank gespeichert ist? Wieso kann man sich gegen eine Videokamera wehren, die weder Schläge noch Stromstösse austeilt? Kein Mensch käme auf die Idee, Blechpolizisten, die Verkehrssünder überführen, abzumontieren.
Selbst wenn der RFID-Chip im neuen Pass aus Distanz ausgelesen werden könnte – ja gut, dann weiss ein (sehr theoretischer) Spitzel, dass ich zum Zeitpunkt X am Ort Y war. Und?
Woher rührt das? Haben im CCTV-Land Grossbritannien alle hässliche Pickel bekommen vor lauter Kameras? Warum ist die Speicherung von Fingerabdrücken ein Grundrechtsverstoss? Ich kann solcherlei als konsumentenschützerisch veranlagter Linker und früherer Besucher von Grundrechtsvorlesungen schlicht nicht nachvollziehen.
Anstatt Fundamentalopposition zu betreiben, sollten sich die kritischen Geister lieber konstruktiv damit auseinandersetzen, wie die Sicherheit der neuen Ausweise laufend optimiert werden könnte, sich primär gegen den Missbrauch von Kundenprofilen und Datenbanken in den Händen privater Unternehmen wehren sowie sich dafür einsetzen, dass möglichst strenge Datenschutzrichtlinien den Missbrauch der neuen Mittel verhindern – einen neuen Fichenskandal wollen wir keinesfalls. Aber auch nicht aus Prinzip nützliche Technologien ablehnen.
Ein allgemeines Missverständnis in Sachen Datenschutz ist immer wieder, dass vielen Menschen nicht bewusst ist, dass es ein Einverständnis des Einzelnen benötigt um persönliche Daten zu erheben.
Wenn jemand also eine Cumulus-Karte oder einen Facebook-Eintrag hat, so hat er dies immer mit seinem persönlichen Einverständnis und in der Kenntnis darüber, was mit seinen Daten geschieht gemacht.
Die Kameraüberwachung von öffentlichen Plätzen darf auch nur bei entsprechender Markierung (Kamerasymbol) geschehen.
Nun zum Pass: ein Pass wird nur im Einverständnis des Besitzers gelesen: der Besitzer überreicht den Pass und der Beamte öffnet diesen. Dies ist in Einklang mit dem Datenschutz. Problematisch wird es dann, wenn der Pass ohne zu öffnen gelesen werden kann. Theoretisch sollte der eingebaute RFID-Chip nur vom Beamten gelesen werden können… theoretisch eben nur, denn in der Praxis ist es dem BAKOM gelungen den RFID Datenstrom auf eine Distanz von 500 Meter abzuhören. Das ist definitiv nicht mehr in Einklang mit irgendeinem Datenschutzgesetz. Da würde ich auch ein wenig unruhig werden (die FedPol überigens auch).
Quelle: heise online – Sicherheitsmängel bei Schweizer E-Pass-System
OK, schön – aber jetzt mal in der Praxis: Was ist daran genau so schlimm, wenn man den Datenfluss abhören kann? Und wer soll weshalb ein Interesse haben, sowas mit einem gewaltigen technischen Aufwand zu tun? Alles, was auf dem Pass ist, kann heute schon aus zahlreichen anderen öffentlichen Datenbanken zusammengeschustert werden. Ausser die Fingerabdrücke. Aber was soll jemand damit bitte wollen?
Eigentlich reicht es, dass es eben Möglich ist. Aber eine Anwendung wäre: Passdaten klauen. Das kann recht lukrativ sein, wenn man gehörig Dreck am Stecken hat und dringend einen gültigen Pass benötigt. Ich als Passbesitzer bemerke den Diesbstahl nicht mal und habe mich nicht mal fahrlässig verhalten… (Das dies ohne Probleme möglich ist, kann hier nachgelesen werden).
Guten Tag
ob soviel Naivität betreffend Datenschutz läuft es mir einfach kalt den Rücken runter. Ich empfehle Ihnen bspw. folgende Literatur:
Unter Kontrolle von Gerald Reischl oder Verdächtig der starke Staat und die Politik der inneren Unsicherheit von Heribert Prantl.
Datenschutz bedeutet nicht gegen jede Videokamera zu sein (obwohl diese bei schweren Verbrechen praktisch keine Wirkung erzielen und sich die Ereignisse nur verlagern) sondern kritisch zu hinterfragen, was mit meinen/unseren Daten passieren könnte.
Auch das Facebook Argument kann ich nicht mehr hören. Zwar haben 300’000 Schweizer ein Facebook Account aber eben über 2’000’000 KEINES. Zudem sind wohl die meisten Nutzer mit völlig falschen Daten registriert.
Zu Ihrem letzten Absatz muss ich sagen: da haben sie absolut recht, die Privaten Unternehmen bedeuten noch die grössere Gefahr für uns als der Staat.
Das ist aber noch lange kein Grund einer neuen Datenbank zuzustimmen (und selbst wenn es schon 1’000 andere gibt)
Der biometrische Pass kommt, das ist auch mir klar, aber bitte ohne weitere Datenbank.
„Wer die Freiheit aufgibt um Sicherheit zu gewinnen, der wird am Ende beides verlieren.”
Benjamin Franklin
“Wer die Sicherheit der Freiheit vorzieht, verdient es ein Sklave zu sein.”
Aristoteles
@Martin: Ist es denn auch nicht OK, wenn alle nach einem starken Staat rufen, wenn die Wirtschaft Mist gebaut hat und am Boden ist? Dann ist “der Staat” plötzlich willkommen, aber sonst soll er uns gefälligst in Ruhe lassen (und uns z.B. auch Steuern hinterziehen lassen)?
Und zweitens: Ja, was passiert mit meinen Daten… die Videoaufzeichnungen werden irgendwann einfach gelöscht. Und gesetztenfalls, irgend jemand ohne primär technisches Interesse (bisher waren es nämlich ausschliesslich gut ausgerüstete Technikfreaks, die – zurecht – beweisen wollten, dass man gewisse Dinge sehr wohl nachbessern kann und muss) kann irgendwelche Daten von meinem Ausweis auslesen… so what? Er kann mich fotografieren, dann hat er auch gleich ein Passbild. Er kann mit einem guten Foto zudem meine Grösse und Augenfarbe auslesen, ohne dass er meinen Pass auslesen konnte. Den Heimatort erfährt er z.B. aus dem Handelsregister. Undosweiter – tut das weh?
Gerate ich aufgrund geklauter Ausweisdaten (ich halte das in der Praxis für höchst unwahrscheinlich) ins Visier von irgend einer Behörde, kann ich in der Regel problemlos beweisen, dass ich das nicht gewesen sein kann, da ich zum Zeitpunkt X ganz woanders war.
Das Facebook-Argument war nicht dahingehend gemeint, dass alle einen Account haben und mit ihren Daten sorglos umgehen, sondern dass diejenigen, die Mitglieder sind, ganz sicher etwas recht Widerspüchliches tun, wenn sie Gruppen gegen biometrische Pässe gründen… das wäre etwa wie wenn ich Mitglied der SVP würde, um die Migration in die Schweiz zu fördern.
Ich gebe Ihnen ein Stück weit Recht, was die Datenbank angeht – diese wäre nicht unbedingt nötig und war (auch wenn ich persönlich nichts dagegen einzuwenden habe, auch nicht gegen Rasterfahndungen auf dieser Grundlage) taktisch äusserst ungeschickt.
Vielleicht sind es gerade die Wörtchen ‘höchst unwahrscheinlich’ und ‘in der Regel’, die einen ein wenig stutzig machen sollten.
Was, wenn es doch mal jemanden passiert, glaubt dann die FedPol eher dem Eintrag in der ‘fälschungssicheren’ Datenbank oder den Aussagen einer beispielsweise verwirrten älteren Dame?
Wenns dann mal so ist, gibts garantiert einen wahnsinnigen Aufschrei und die Story wird seeehr öffentlich diskutiert werden. Ich wage aber fast zu wetten, dass es in den kommenden 10 Jahren nie so einen Fall geben wird.
Man kann gegen alles einen höchst unwahrscheinlichen Grund finden. Es gilt, die verschiedenen Interessen abzuwägen – imho verbauen und verkomplizieren wir uns unter dem Strich mehr, wenn wir auf alles Neue verzichten, nur weil nicht bis in letzte Detail alles klar ist, als wenn wir es mit einer soliden Gesetzgebung und sicheren Mechanismen abdichten.
Immerhin gehts hier nicht um ein unmittelbar potentiell gesundheitsgefährdendes Projekt (siehe z.B. gentechnisch manipulierte Lebensmittel, wo man sehr wohl vorsichtig sein kann und soll) – die skizzierten Bedrohungen und Einschränkungen erscheinen mir alle gar theoretisch und leicht abgehoben.
Kleines Beispiel gefällig?
leider gibt es noch so ein paar von dieser sorte…
Unschön, klar. Aber mit Verlaub, was hat das mit biometrischen Ausweisen zu tun? Das hätte genau so auch ohne jegliche Fingerabdrücke und Fotos auf dem Ausweis passieren können.
@Kardan: Das ist eine sehr, sehr theoretische Ebene. Wo siehst du denn die Freiheit genau gefährdet? Am besten anhand konkreter Beispiele…
Nebenbei: Wenn der Begriff “Freiheit” darauf basiert, ob der Staat Fingerabdrücke von einem gespeichert hat oder nicht, dann haben wir tatsächlich ein wahrliches Luxusproblem und können uns beruhigt zurücklehnen, weils uns verdammt gut geht. Du kannst ja mal die Gedenkstätte Hohenschönhausen besuchen. Oder: Meine Grosseltern mussten wegen ihres Glaubens und ihrer Ansichten anno 1956 aus Ungarn flüchten. DAS sind Probleme, wo der Begriff Freiheit tangiert ist!
dann lesen sie doch bitte einmal diesen Artikel.
OK, gemacht. Ich ändere meine Meinung darob nicht – ich halte diese Daten auf nicht für besonders schützenswert, solange es sich um eine staatliche Datensammlung handelt, die bestimmten Richtlinien untersteht. Ich halte den skizzierten Fall für eben genau so eine theoretisches Konstrukt, das es selten bis nie geben wird. Soll sich das ein Staat leisten können? Das gäbe einen schönen Skandal…
Ich nehme an, es ist so lange für den Blöker fiktiv, als er nicht selber davon betroffen ist. Alle bisherigen bekannten Fälle in denen persönliche Daten durch Drittstaaten missbraucht wurden, sind wohl ganz einfach Einzelfälle und nicht weiter tragisch, da es keinen Skandal gab.
Interessant ist höchstens wie blind der Blöker dem Staat (irgendeinem) vertraut. Von den USA bis England ist alles gut und schön und deren Datensammlungen diffundieren bestimmt nicht weiter und werden für kommerzielle Dinge benutzt (hu hu hu..habe ich da wirklich England erwähnt?)
Das geht ins gleiche Thema wie oben im Hauptpost erwähnt: Ich verstehe nicht, was daran so schmerzhaft sein soll. Mir ist es Wurst, wenn jemand – ob Staat oder Unternehmen – von mir weiss, dass ich oft Holunderblütensirup kaufe, Morbus Bechterew habe oder welche TV-Sendungen ich angucke, solange diese Infos z.B. nicht dafür missbraucht werden, mich mit Werbung vollzumüllen, mir das Stimmrecht zu entziehen und ähnliches.
Ich kann als in meiner Familie frühgeborener Cousin sagen, dass die weite Teile der kommenden Generation solche Dinge zum Glück sehr viel lockerer sehen. Unsere eigenen Kinder werden sich ob den Kommentaren von Kardan, Martin oder sultan sodann nur noch wundern – etwa so wie wir heute schmunzelnd Artikel lesen, wo es um die Gesundheitsschädlichkeit von schnellen Zugfahrten (schnell waren damals 50 km/h) geht.
Nochmals: Schutz vor Missbrauch und eine strenge Gesetzgebung erachte ich als Muss. Das ist aber weniger ein Problem der biometrischen Ausweise und Datenbanken selbst, sondern davon, was der Gesetzgeber (und damit wir alle!) damit anstellen lässt. Pannen und Missbräuche gehören schonungslos aufgedeckt.
Viel dringender ist – demnächst dazu mehr in JacoBlök – beispielsweise der Schutz vor Spam nach einem Eintrag ins Handelsregister. Was ich da so für Mist im Briefkasten habe jede Woche…
@sultan
Das von Ihnen erwähnte BAKOM Ergebnis beruht auf einer Studie die das fedpol selbst beim BAKOM in Auftrag gegeben, um den Pass nach den neuesten und besten Sicherheitsstandards zu konzipieren. Sinn war es, eventuelle Sicherheitslücken aufzudecken und zu beheben. Genau das hat das fedpol getan: Mängel behoben! Ausserdem wurden diese Erkenntnisse an die ICAO weitergeleitet, um die Sicherheit auch auf internationaler Ebene zu gewährleisten.
Der Fall aus den Niederlanden wo 2008 ein Pass geclont wurde ist mit dem heutigen Schweizerpass nicht möglich.
@michels:
Sie scheinen mir ja ein ganz gewiefter Poster zu sein. Und das alles im Auftrag des fedpols? Seit wann darf sich ein Bundesamt aktiv in den Abstimmungskampf einmischen? Sehr suspekt und ein weiterer Grund sich etwas kritischer mit biometrischen Pässen auseinanderzusetzen. Sie hinterlassen zu dem auffällig viele Blog-Spuren mit identischen Textelementen:
Tages-Anzeiger (Kommentar mit fast identischem Wortlaut)
NZZ-Artikel (Kommentar mit fast identischem Wortlaut)
Laut Ihrem XING-Profil haben Sie auch nichts mit dem fedpol zu tun.
@sultan
Selbstverständlich bin ich autorisiert im Auftrag des Bundesamtes für Polizei derartige Postings zu verfassen. Warum sollte man da etwas vortäuschen?
Ähnliche Kommentare ergeben sich vor allem dadurch, dass immer wieder ähnliche Aussagen auftauchen, auf welche ich antworte. Was daran verdächtig ist weiss ich nicht.
In meinem Xing-Profil sehen Sie ja, dass ich eine Internetagentur habe und welchen Tätigkeiten ich mich widme, also auch kein Geheimnis.
ich denke es wird genau umgekehrt sein: unsere Kinder werden sich verwundert die Augen reiben, dass wir so ahnungslos in Sachen Datenschutz waren und nichts aus der Fichenaffäre gelernt haben.
Mit biometrischen Daten kann sehr viel Unfug be/getrieben werden. Die von Ihnen erwähnten Pannen und Missbräuche werden eben nicht aufgedeckt werden, da sich die Behörden selbst kontrollieren und es keine Kontrollstelle gibt welche die Behörden überwacht. Klar haben wir Datenschutzbeauftrage, aber die sind doch ziemlich zahnlose Tiger ohne Gesetzeskompetenzen. Dazu kommt noch, dass wir nicht wie bspw. in Deutschland ein Bundesverfassungsgericht haben, welches von jedem Bürger angerufen werden kann und welches die Kompetenz hat solche unsinnigen Gesetze zu stoppen. Daher sind meine Bedenken durchaus gerechtfertigt.
Wir werden sehen. Ich stamme wie erwähnt aus einer in den 1970ern und 1980ern ziemlich überfichierten Umgebung und zugleich einer Flüchtlingsfamilie (aufgrund politischer Verfolgung) und kann sehr wohl unterschieden zwischen einer sinnlosen und übertriebenen Beobachtung unbescholtener BürgerInnen wie in einem totalitären Staat und einer reinen Datensammlung für ganz andere Zwecke. Wir sind uns jedoch weitgehend einig, dass es Gesetze mit (scharfen) Zähnen braucht und diese auch angewendet werden bzw. schnell reagiert wird, wenn man sieht, dass etwas schief geht.
Guten Abend
ja da mit den Gesetzen mit (scharfen) Zähnen gebe ich ihnen recht. Ich persönlich würde die DB sogar zulassen, sofern wir eine sagen wir unabhängige Beschwerdeinstanz für Bürger hätten und ein Kontrollbehörde die die Rechtmässigkeit der Speicherung kontrolliert. Als Bürger sollte ich zudem ein vollständiges Auskunftsrecht über meine gespeicherten Daten haben. Weil und da gehe ich mit ihnen ebenfalls einig, die Datenmenge immer grösser wird und der technische Fortschritt ebenfalls nicht aufzuhalten ist. Aber eben, alle diese Dinge fehlen, die Behörden machen was sie wollen und sind die Gesetze erst einmal da, so bringt man sie nicht mehr weg. Sehen sie was alles für (unsinnige) Massnahmen im Zusammenhang mit der Terrorbekämpfung implementiert werden. Bspw. Vorratsdatenspeicherung in der EU und genau das gleiche will die Schweiz mit dem BWIS II. Dann haben wir dann den Schnüffelstaat. Das will ich nicht. Die Pass DB ist so gesehen wirklich harmlos, aber ein NEIN wäre vielleicht einmal ein wirksamer Schuss vor den Bug unserer Politiker, damit sie sich endlich einmal Gedanken über diese Dinge machen.
Da könnten wir uns sogar treffen, Martin. Fast. Ich zweifle, ob in nützlicher Frist eine neue Vorlage (zB ohne DB) auf dem Tisch wäre. Klar, unsere liebe Obrigkeit hat es verpasst, eine ideale Vorlage bzw. einen gutschweizerischen Kompromiss zu präsentieren. Aber ein Ja scheint mir hier den kleineren Scherbenhaufen zu geben als ein Nein. Ich halte Schüsse vor den Bug manchmal für eine sehr gute Sache, hier glaube ich das nicht.
Betreffend Schnüffelstaat / Terrorbekämpfung: Natürich sind gewisse Massnahmen hinterfragbar. Aber mir scheint es doch wichtig, dass es vor allem gegen Leute aus der Neonazi-Szene oder ewiggestrige Extremisten griffige Massnahmen gibt. Noch 1993 expoldierte vor dem Haus, in dem ich heute wohne, die Bombe eines Béliers, die an sich für das Gebäude gedacht war, in dem ich später acht Jahre lang arbeitete. Als Bürger wünsche ich, dass mich der Staat möglichst effizient vor solchen Typen schützt – da ists mir schon etwas weniger egal, wenn eins meiner für der Welten Lauf doch recht unwichtigen Mails irgendwo gespeichert bleibt.
Übrigens, Kompliment, mit Ihnen kann man wenigstens normal diskutieren, auch wenn man anderer Meinung ist – und vielleicht sogar einen Kompromiss finden. Leider fehlt mir diese bissige, aber konstruktive Diskussionskultur zum Beispiel beim Thema Rauchen sehr. Ich danke Ihnen.
@sultan:
Es ist in der Tat so, dass Hajo Michels im Auftrag des Bundesamtes für Polizei bis nach der Abstimmung ein Blogwatching betreibt und, wo möglich und nötig, Antworten postet. fedpol hat mit Michels dazu einen befristeten Vertrag abgeschlossen, weil es
a. dem Amt wichtig scheint, seinen Informationsauftrag dort wahrnehmen zu können, wo eine Diskussion stattfindet – hier also nicht nur in den traditionellen Medien, sondern vor allem auch im Internet bzw. in Blogs;
b. es selbst dafür weder Manpower noch Know-how oder Tools hat.
Um das Ganze transparent zu machen, weist Michels dieses Auftragsverhältnis mit seiner Unterschrift «i.A. Bundesamt für Polizei» aus.
@guido balmer: Aber gibt es da nicht einen grundlegenden Verfassungsrechtlichen Konflikt? Das Bundesamt für Polizei ist als Bundesamt eine Exekutivbehörde die direkt dem Bundesrat unterstellt ist. Die Exekutive darf aber nicht in eine laufende Abstimmung eingreifen, da dies dem Prinzip der Gewaltentrennung widersprechen würde (Eine Abstimmung ist ein legislativer Prozess).
Herr Michels publiziert also mit unseren Steuergelder Propaganda für das Bundesamt für Polizei?
Als Exekutivorgan darf das Bundesamt für Polizei informieren, aber was Herr Michels betreibt geht deutlich über ‘Information’ hinaus. Blogposts stellen jeweils subjektive Meinungen dar und sind wohl kaum einer ‘Offiziellen Information’ gleichzustellen. Das das fedpol keine Resourcen hat um einen Abstimmungskampf zu beeinflussen ist wohl gewollt und ein solches “Outsourcing” steht staatsrechtlich wohl auf wackeligen Beinen.
@sultan
Der Bundesrat und seine Verwaltungseinheiten haben einen Informationsauftrag, der sich aus der Verfassung ergibt und im Regierungs- und Verwaltungsorganisationsgesetz RVOG konkretisiert wird. Dass dieser Auftrag ganz besonders auch im Vorfeld von Abstimmungen gilt, macht das Bundesgesetz über die politischen Rechte klar.
@guido balmer: Das mit der Informationspflicht habe ich bereits in meinem Post erwähnt, die Frage die sich für mich stellt, ist: wie transparent ist so ein Blogposting? Schreibt das fedpol auch Leserbriefe in Zeitungen?
Zum allgemeinen Verständnis müsste man hier vielleicht noch erwähnen, dass Guido Balmer ehemaliger Sprecher des Fedpol ist und seit kurzem stellvertretender Informationschef im EJPD, siehe hier.
@sultan: Ist das jetzt nicht etwas sehr konservativ? Ich bin hocherfreut, dass die Verwaltung Blogs endlich ernst nimmt. Mit vielen Amtsstellen oder Firmen hat man nur Scherereien, da sie nicht auf der Höhe der Zeit sind: Sendet man ihnen einen Blogpost, schreiben sie ein Mail oder gar – ächz – wie gaaaanz früher mal einen einen schriftlichen Schreibebrief zurück (aus diesen Quellen darf streng genommen nicht einfach so öffentlich zitiert werden).
So kürzlich bei Bernmobil geschehen: Ich sandte ihnen diesen Beitrag zur Stellungnahme, und anstatt dass sie in einem Kommentar ihre SIcht der Dinge darlegen, passierte eine Woche lang nichts, und nach einem Nachhaken hiess es per Telefon (!), man reagiere auf Blogs grundsätzlich nicht. In welchem Jahrhundert leben solche Leute?!
Über den Stil von Herrn Michels liesse sich allenfalls streiten, aber im Grundsatz finde ich es gut, dass hier jemand die “traditionellen” Pfade verlässt, vgl. auch das twitternde Departement Leuenberger. Und… sind Leserbriefe nicht doch ein wenig von gestern…?
Nun, vielleicht habe ich mich etwas zu metatextlastig ausgedrückt gehabt. Dann mal ganz klar und einfach:
Fakt ist: Das fedpol hat einen Informationsauftrag (auch bei Abstimmungen). Dieser muss ‘Transparent’, ‘Vollständig’, ‘Sachlich’ und ‘Verhältnismässig’ sein)
Fakt ist: Das fedpol bezahlt eine private Firma um ‘bis nach der Abstimmung’ Kommentare in Blogs zu setzen.
Meine Fragen dazu sind: Wie ‘Transparent’ und ‘Vollständig’ ist dieses Posten? Kann jeder solche Posts schreiben? Wer prüft die Echtheit des Verfassers bei solchen Posts? (Darum auch meine Frage nach den Leserbriefen: dort prüft die Redaktion den Absender und den Inhalt – ob Leserbriefe nun veraltet sind oder nicht. Ich wette Herr Balmer würde sich hüten einen solchen Leserbrief an eine Zeitung zu senden…)
@sultan
«Schreibt das fedpol auch Leserbriefe in Zeitungen?»
Ja, es ist es natürlich auch schon vorgekommen, dass ein Medium eine Stellungnahme von fedpol zu seiner Berichterstattung als Leserbrief abdruckte. Solches geschieht dann ganz transparent unter Angabe des Absenders. So wie bei den Blog-Postings.
Uff, das war knapp. 5504 Stimmen Unterschied – ein Zufallsresultat. Schade. Aber das richtige Ergebnis: Keine weiteren zeitraubenden Abklärungen für eine abgespeckte Vorlage nötig… wenn die GegnerInnen nur nicht nach Strassburg weiterziehen.
Mögen aber die Verantwortlichen beweisen, dass deren diffuse Ängste und teils durchaus begründeten Vorbehalte fehl am Platz waren. Da darf nichts schiefgehen! Womöglich kann man ja bei den Preisen und der Bestellung auch nochmals über die Bücher…
Was mich aber irgendwie nachdenklich stimmt ist diese Zwänglerei bezüglich Benützung der Datenbank in der Fahndung. Stellen Sie sich nur mal vor: Ihr Bruder oder Ihre Mutter werden bei einem Einbruch schwer verletzt und bleiben für den rest ihres Lebens behindert. Würden sie nicht auch wollen, dass alle zur Verfügung stehenden Möglichkeiten ausgenützt werden, um die Täter zu finden? Also auch die Fingerabdruckdatenbank?
Überlegen sich all diejenigen, die sich strikte gegen diese Möglichkeit wehren, solche Situationen? Oder stellen Sie ihre diffusen Ängste (oder sollte man sagen: ihren Egoismus?) vor solche wünschenwerten Vereinfachungen der Fahndung? – Der Einbruch bei mir zu Hause vor einigen Jahren, der mir zig Stunden Arbeit beschert hat und mir heute noch ein mulmiges Gefühl bereitet, könnte mit dieser Möglichkeit längst aufgeklärt sein.
@blöker: aber warum müssen immer gleich alle grundsätze der rechtssprechung ausgehebelt werden? ich verstehe die wut und frustration von opfer eines verbrechens. natürlich möchte man am liebsten gleich vergeltung und warum man nicht auf alles zurückgreifen kann, was es an elektronischen überwachuns- und sonstigen möglichkeiten so gibt. aber eben: es gibt halt schon den juristischen grundsatz ‘in dubio pro reo’.
mit einer datenbank in der ein grosser teil der fingerabdrücke der bevölkerung hinterlegt ist, und die dann zur fahndung bei bagatellen (ein einbruch ist nun mal eine bagatelle) benutzt werden kann, macht aus jedem bürger ein potentieller krimineller. das dies in einem rechtstaat zu problemen führt, dürfte auch einem ‘law-and-order’ verfechter der strengeren sorte klar sein.
Wieso soll das zu Problemen führen? Was ist das für eine tolle Rechtssprechung, die Täter schützt? Wieso sollen Bagatellen für den Betroffenen weniger schlimm sein? – Dieses Täterinschutznehmen stört mich sehr. Irgendwann werden das vielleicht auch jene RotgrünpolitikerInnen begriffen haben, die ich wähle, die aber offenbar noch nie Opfer geworden sind oder keine kennen. Dann siehts nämlich plötzlich ganz anders aus…
Viele sind offenbar nicht in der Lage, sich auch nur für eine Sekunde in die Lage eines Opfers zu versetzten, sei’s eines Velodiebstahles, eines Einbruchs oder eines Überfalls. Die Beeinträchtigung der physischen Integrität mag bei den verschiedenen Fällen unterschiedlich sein, für den Betroffenen ist aber auch ein Einbruch mit massivem Zeitaufwand verbunden, zudem mit einem beklemmenden Gefühl im Bauch.
“Ein Einbruch ist eine Bagatelle” – sorry, da kommt mir die Galle hoch, ich finde diese Einstellung, mit Verlaub, doof und egoistisch, ausserdem zynisch gegenüber Betroffenen. Die bewertet die neurotischen, übertriebenen Überwachungsstaats-Wahnvorstellungen von vermeintlichen Grundrechtsschützern höher als die Tatsache, dass man Straftäter einfacher aus dem Verkehr ziehen könnte – z.B. bevor sie den nächsten Einbruch begehen. Mir gehts weniger um Rache (denn selbst wenn meine Versicherung auf die Regress nehmen möchte, wäre da kaum was zu holen), sondern darum, weiteren Schaden zu verhindern.
Wir reden dann mal drüber, wenn bei dir eingebrochen wurde, wenn Dinge weg sind, an denen Du hängst, wenn Deine Familienfotos in unbekannten Händen sind, wenn du Material wieder beschaffen musst, mit der Versicherung verhandeln… ich kann dir gern mal aufzählen, was ein einfacher Einbruch daheim so alles mit sich bringt.
Wenn Pseudogrundrechte, die eigentlich gar keine sind (ooh, Hilfe, ein paarmal Gefilmtwerden auf dem Weg zu Arbeit tut ja sooo fest weh!), plötzlich wichtiger sind als eine möglichst effiziente Aufklärung von Straftaten, dann läuft irgendwas falsch.
Siehe aktuelle Krawalle vor und nach dem Cupfinal: Anstatt auf eigene Aufnahmen zurückgreifen zu können, muss die Polizei private Aufnahmen einfordern – sowas find ich noch viel schlimmer, wenn normale BürgerInnen zu Hilfssheriffs gemacht werden. Da wird das Gewaltmonopol des Staates arg aufgeweicht.
Wir gehen wohl beide von einem unterschiedlichen Staatsverständnis aus. Damit wir uns da etwas besser verstehen, will ich einmal versuchen darzulegen wo ich stehe:
Ich glaube an einen demokratischen Rechtsstaat im Rousseauschen-Sinne mit den Grundlagen der Volksouveränität und Gewaltentrennung. Rousseau erlebte die Machtexzesse der absolutistischen Regimes im 18. Jh und ich glaube, dass diese Erfahrung durchaus noch heute ihre Gültigkeit hat.
Ich glaube ferner daran, dass im demokratischen Rechtstaat die aus dem Naturrecht abgeleiteten Menschenrechte das Fundament der angewandten Rechtsphilosophie bildet. Für mich folgt daraus, dass jeder Bürger unveräusserliche Rechte besitzt, die ihn vor der Willkür und vor Machtmissbrauch schützen. Einer dieser Grundsätze ist die Idee, dass jeder Bürger so lange unschuldig ist bis seine Schuld bewiesen ist.
Ein Staat der zwecks präventiver Strafverfolgung die individuellen Merkmale der gesamten Bevölkerung indexiert, erfüllt meiner Ansicht die Kriterien eines demokratischen Rechtstaates nicht mehr, da hier die Unschuldsvermutung bereits geritzt wird: jeder Bürger kann zu jeder Zeit überführt werden egal für welches Delikt. Diese Vollkasko-Haltung ist in letzter Zeit stark in Mode gekommen und mir scheint, als wäre sie Ausdruck einer grossen Unsicherheit und dem Verlangen nach absoluter Sicherheit: wenn hier im Blog der Blöker fordert, dass bei jedem Bagatell-Einbruch die gesamte Bevölkerung per Rasterfahndung verdächtigt wird, so wünschte ich mir, dass wir das rousseausche Bürgerbild nicht aus den Augen verlieren, welches im Bürger nicht als erstes den Rechtsbrecher sieht.
P.S.: Damit ich mich hier auch als ‘Opfer’ für die Diskussion legitimieren kann: mir wurde schon oft etwas gestohlen, auch Dinge die unwiderbringlich waren: die gesamte Fotoausrüstung samt belichteten Filmen auf dem Flughafen Nairobi (3 Monate Kenya-Feldaufenthalt sind bis heute nur unvollständig dokumentiert), 3 Fahrräder (eines davon zwei Stunden nach dem Kauf aus dem Vorgarten), eine Stereoanlage aus der Stube während dem ich in der Küche war, eine komplette Campingausrüstung (Rucksack, Schlafsack und Zelt) hinter unserem Rücken als wir unsere defekten Fahrräder reparierten, Geld aus dem Hotelzimmer… aber eben: Bagatellen, denn Leib und Leben blieben dabei immer verschont.
Schön, dass dir deine Sachen offenbar so unendlich egal sind. Mir und vielen anderen gehts anders.
Wir haben ein Interesse daran, dass Leute, die uns sowas antun, ihr Unwesen möglichst nicht länger treiben können und die Gesetze angewendet werden, die für solche Fälle vorgesehen sind – nicht mehr und nicht weniger: Keine Peitschenhiebe, schon gar keine Todesstrafe, kein Pranger, keine totale Überwachung, kurzum keine übertriebene Law-and-Order-Mentalität à la SVP und Konsorten.
Wieso sollte man dafür nicht die Techniken anwenden, die heute zur Verfügung stehen? Wir haben besseres zu tun als mit Versicherungen zu telefonieren, Material wieder zu beschaffen, beim Psychiater die Tritte in den Bauch zu verarbeiten usw. Wenn du genügend Zeit dafür hast, oder Geld, weil du alles grad wieder beschaffen kannst oder ein Superheld bist, dem ein Einbruch oder eine Flasche über die Birne nix die Bohne ausmacht – hey, umso besser, schön für dich!
Ich wette, die meisten sehen das anders.
Hejoo, kann ich voll unterschreiben.
Worin liegt denn begründet, dass der Staat (den wir letztlich selbst ausmachen) davon ausgeht, dass alle potentiell verdächtig sind, wenn er so eine Datenbank anlegt? Er will einfach für den seltenen Fall, *dass*, vorgesorgt haben. Du wirst davon nie betroffen sein – ausser Du verstösst gegen ein Gesetz, dessen Existenz du vermutlich nie in Frage stellen würdest.
Letztlich könnten wir die Gesetze ja gleich abschaffen, wenn wir ihnen nicht Nachhaltung verschaffen – und zwar nicht nur mit den Techniken von gestern. Dann bist du also sicher auch dagegen, dass Fahrtenschreiber in alle Autos eingebaut werden, was Tempoexzesse vermindern würde? Huiii, das tönt ja voll nach Pre-Crime, Minority Report, Tom Cruise und so, bööööse, eieiei… die paar Strassenverkehrstoten, die man so verhindern könnte, oder ihre Verwandten, die kenn ich ja schliesslich nicht!
Nun, bleiben wir beim Thema. Ich sehe durchaus, dass die neuen Möglichkeiten der Datenspeicherung gewissen Leuten Kopfzerbrechen bereiten können. Nur: Was ist hier höher zu gewichten – die höchst theoretisch-diffuse, an Verschwörungstheorien erinnernde Angst davor, in irgend einer Datenbank zu sein und womöglich mal zu Unrecht beschuldigt zu werden, oder das Interesse, illegale Handlungen möglichst effizient zu verhindern?
Da steht für mich doch Letzteres im Vordergrund, man kann das durchaus auch Servicegedanken nennen – ich erwarte von den zuständigen Gewalten geradezu, dass sie alle zur Verfügung stehenden Mittel anwenden, um z.B. ein Verbrechen aufzuklären. Unter dem Strich kommts vermutlich auch massiv billiger, wenn man die aktuellen Techniken anwendet. (Nein, das darf natürlich *nicht* zu einem leichtfertigen Umgang mit denselben anstiften.)
Ich möchte dir nicht zumuten, dass du den Angehörigen eines Gewaltopfers sagen musst: “Sorry, wir könnten jetzt die Erkenntnisse der Spurensicherung mit allen möglichen Datenbanken abgleichen, aber das Gesetz verbietet dies leider. Wir werden so vermutlich nie herausfinden, wer Ihre Partnerin vergewaltigt hat.”
Natürlich kann man immer mit theoretischster Theorie und längst vergangenen Zeiten kommen, das ist ganz einfach und eine hinlänglich bekannte Taktik von Leuten, die sich nicht in andere Betroffene hineinversetzten können – oder wollen, weil ihnen ihre Ideologie wichtiger ist als das Individuum.
Ich nenne das Mangel an Empathie oder dogmatische Verblendung. Schade, dass viele der PolitikerInnen, die ich wähle, genau darunter leiden.
Natürlich will ich ebenso wir du vor Willkür und vor Machtmissbrauch geschützt sein. Ein exzessiver Machtmissbrauch, gepaart mit sehr viel Willkür, waren die Staatsschutzfichen – heuer ist aber von was ganz anderem die Rede. Sobald jemand auf die Idee kommt, mit Infos, wie sie in den Fichen zu finden waren, eine Datenbank zu speisen, bin ich der erste, der dagegen auf die Strasse geht.
Aufnahmen einer Überwachungskamera beispielsweise, die Hooligans entlarven, sollten doch aber genau so möglich sein wie man selbstredend auch (streng genommen illegale) versteckte Aufnahmen eines misshandelten Demonstranten vor Gericht zulassen sollte, der damit übertriebene Repression auf dem Polizeiposten beweisen kann. Und dann brauchts in einem modernen Staat auch starke Medien, die ihre Kritik- und Kontrollfunktion wahrnehmen und solchen Fällen akribisch nachgehen, wenn die staatsinternen Mechanismen versagen – was durchaus schon passiert ist, zugegeben. (Aber – OT – was passiert in so einem Fall oft? Der Staat verknackt die Schurnis, da sie illegale Aufnahmen gemacht haben, anstatt den Täter – das Objekt der Recherche – zur Rechenschaft zu ziehen.)
Absolute Sicherheit wird es nie und nimmer geben. Keine Frage. Aber mein Verständnis eines modernen Staates lässt es nicht zu, dass Leute, die anderen physischen oder psychischen oder materiellen Schaden zugefügt haben, einfach so davonkommen und weiter ihren Mist anrichten, weil man findet “oooh, das isch nid so schlimm, isch ja nüt passiert”.
So wie ich es sehe, geht es doch letztendlich um die Frage wie viel persönliche Freiheit opfere ich für das Gefühl der erhöhten kollektiven Sicherheit.
Meine Fragen, die ich mir hier stelle, sind: wie fest und intensiv darf sich der Staat (am Ende sind es natürlich einzelne Beamte) in meine privaten Angelegenheiten mischen? Hat der Staat jederzeit das Recht zu wissen wo ich mich aufhalte und was ich gerade tue? Ich bin der festen Überzeugung, dass er das nicht hat.
Geld ist sicher ein gutes Argument um Verbrechen zu bekämpfen. Interessant finde ich aber die Vorstellung, dass diese Vorratsdatenspeicherung ein “Service” des Staates darstellen sollte.
Also: nehmen wir doch einmal an, dieser staatliche Service wäre tatsächlich Realität geworden.
Die Anwendung der aktuellen Technik würde z.B. der Polizei ermöglichen, dass sie sofort Zugriff auf alle Kommunikationsdaten einer Person hat (24 zeigts eindrücklich – und dort kommen viele unschuldige Opfer durch die Anwendung dieser Techniken um). E-Mails dürften gelesen werden, Telefone mitgehört und meine Bankbewegungen wären transparent. Ebenso hätte die Polizei jederzeit Zugriff auf alle Überwachungskameras und Kreditkartentransaktionen. Sie wüsste wo ich was eingekauft habe und dass ich gerne staatskritische Literatur lese (die entsprechenden Belege liefern die Buchhandlungen, so wie dies in den USA bereits vollzogen wird). Mein Bewegungs- und Verhaltensprofil wäre bekannt.
Damit das alles nicht ganz so scharf und zackig ist, wollen wir noch eine Bedingung setzen: wir sprechen von einem politisch stabilem Staat, bei der die demokratischen Spielregeln eingehalten werden (diese technischen Mittel in den Händen einer Berlusconi-Regierung willst sicher auch du nicht sehen).
Wenn du schon Verbrechen sofort und effizient und günstig mit aktueller Technik bekämpfen willst, dann ist dies doch mindestens ein gültiges Szenario in deiner Vorstellung eines gut gepflegten Rechtssystemes (denn was bringt eine Datenbank von 7.5Mio Fingerabdrücken, wenn jeder Depp weiss, dass ein Handschuh ihn oder sie schützt?)?
Ich frage mich bei solchen Dingen immer: wie weit darf der Staat denn gehen? Wo ziehen wir die Grenzen? Ich bin der Auffassung, dass es eine Grenze gibt wo meine persönliche Freiheit tangiert wird. Ich bin dezidiert der Meinung, dass es den Staat (oder irgendjemand sonst) nichts angeht was ich über Auffahrt unternommen habe und mit wem ich unterwegs war. Wenn ich bei der Aufklärung eines Verbrechens helfen kann, dann bin ich gerne bereit unter Meineid auszusagen.
Wo ziehst du den die Grenze? Hört sie bei der Verwendung von Fingerabdrücken zur Verbrechensbekämpfung auf, oder bist du der Ansicht, dass tatsächlich jedes verfügbare technische Mittel voll ausgeschöpft werden sollte (und man könnte heute sehr viele technische Mittel anwenden)?
Findest du tatsächlich, dass Alle die sich Gedanken über dieses fragile Verhältnis zwischen persönlicher Freiheit zum Ungehorsam und kollektivem Sicherheitsbedürfnis seien “dogmatisch verblendet”, haben einen “Mangel an Empathie” und eine “doofe”, “zynische” und “egoistische” Einstellung?
Wenn deine persönliche Freiheit sich darauf erstreckt, dass du schon Haken schlägst, wenn dein Fingerabdruck irgendwo gespeichert ist, dann haben wir tatsächlich eine andere Vorstellung davon. Für mich ist der Begriff schon auch mit wirklich relevanten Sachen gefüllt…
Aber eben, wenn man sich nicht vorstellen kann/will, was es bedeuten könnte, wirklich in einem Unrechtsstaat zu leben, dann bekommt man schon Ausschläge, wenn mal einer zuviel weiss, wo man gerade ist.
(Schon mal auf die Idee gekommen, dass all die Sachen, die du als Eingriff in deine persönliche Freiheit wertest, dafür da sind, dass hierzulande eben niemals Verhältnisse wie in Dresden 1985, Nordkorea 2009 oder Ungarn 1956 herrschen?)
ACHTUNG – es könnten dich heute (nebst vielen KollegInnen) schon bis zu zwei Polizisten gesehen haben. Vielleicht gar ein Geheimdienstler. Die hocken doch fast da, wo du wohnst. Schluck! Jetzt pass aber auf, huiii! Jetzt ists dann grad vorbei mit der schönen Freiheit.
Tut er ja auch nicht. Hast du das Gefühl, irgend jemand von diesem ach so bösen Gebilde “Staat” nimmt sich die Mühe, eine lückenlose Überwachung all dieser fiesen kleinen RFID-Chips aufzuziehen (gegen die es, sofern jemand GANZ paranoid ist, einfache Gegenmassnahmen wie Spezialverpackungen gibt)? Wo liegt der Grund dafür? Oder dass jemand laufend vor einem Haufen Monitore sitzt und 1:1 alle Videokamerabilder auswertet? Wieso soll er sich die Mühe machen? Dieser “einzelne Beamte” – angestellt von einer Verwaltung, die unter der Kontrolle jener steht, die wir alle gewählt haben, hat sehr viel Gescheiteres zu tun.
Diese Aufnahme tangiert genau die Freiheit eines Kriminellen, nämlich dann, wenn man weiss “am 25. Mai um 10.45 wurde jemandem auf dem Bahnhofplatz die Handtasche entrissen”. Dann schaut man sich genau diese Szene kurz an. Oder hast du das Gefühl, die Schmier guckt sich dann auch noch gleich an, wer sonst auf dem Platz war, so präventiv, weil sie extreeem viel Zeit haben?
Also wenn du vor solchen Sachen Angst ernsthaft Bauchweh bekommst, schliess dich beruhigt einem Verein von Verschwörungstheortikern an! “Geistige Landesverteidigung” nimmt dich sicher mit offenen Armen.
Sicher nicht die Speicherung, sondern was man damit zum Glück sehr viel einfacher vor vorher machen könnte. Aber wenn du da mit Hollywood-Serien kommst, hören wir vielleicht mit einer halbwegs ernsthaften Diskussion lieber auf. Weisst du, in Grey’s Anatomy kommen auch sehr viele Dinge vor, bei der sich Ärzte an den Kopf langen…
Bleib beim Thema… es geht hier nicht um den totalen Überwachungsstaat, sondern um eine Datenbank oder um Videobilder, die dann angezapft werden, wenn ein konkreter Verdacht besteht, nicht weil irgend ein Beamte schlecht geträumt hat. Es geht auch nicht darum, auszuspionieren, was du liest. Himmel… das hört sich langsam echt nach einem gröberen Verschwörungstheoretiker an, was du da sagst!
Was du da alles so aufzählst, möchte ich in keinem einzigen Staat sehen.
Weil Kriminelle oft ein wenig doof sind zum Beispiel und dann eben keinen Handschuh tragen. Ehrlich, ich schätze die Chancen ja auch nicht als immens ein, dass man so einen Einbruch klärt. Aber wieso man von vornherein auf die Chance verzichten soll, seh ich nicht ein. Bei mir zu Hause hätte das vermutlich geklappt. Womöglich wäre die Digicam mit den Familienfotos dann schnell wieder zum Vorschein gekommen.
Dann kommst du aber erst Recht in die Mühlen der Justiz 🙂
Klar doch, da sind wir uns einig – das ist dein gutes Recht, auch wenns mir selbst völlig egal ist, wenn “der Staat” das weiss – was soll er mit dieser Info?
Doch: Wieso sollte das denn jemand erfahren? Die Chance, dass du irgendwo (wirklich, von einer Person, willentlich) als sultan identifiziert wurdest, ist nahe Null. Selbst wenn du mit dem Auto gefahren wärst und deine Nummer zig Male von Kameras registriert worden wäre.
Hingegen wärst du froh, wenn du die letzten Verbindungsdaten hast, wenn – was wir uns alle nicht wünschen – jemand einen nahen Verwandten von dir entführt und man einfach zuerst mal gucken muss “wo ist denn die Person zuletzt gesehen worden”. Dann greift man eben in den ansonsten unbeobachteten grossen Datenstrom und findet die Info. Das muss zuerst aber ein Richter guteheissen haben (und die pennen offenbar manchmal, wie man jünsgt gesehen hat – das darf dann natürlich nicht passieren).
Mit deiner Logik müsste man also auch die Hooligans vom vorletzten Weekend am besten einfach gewähren lassen, denn das wäre ja ein immenser Eingriff in ihre Grundrechte, wenn man sie filmen würde, um sie zu identifizieren und sie dran zu hindern, sowas wieder zu tun…
Zuerst mal: Wofür gibts denn Gesetze? Wenn schon, müssten wir da Ansetzen. Natürlich hab ich gar keine Lust, bei einem 500. Rotlichtverstoss auf dem Velo gefilmt zu werden und eine Busse zu bekommen. Wir wären uns aber beide einig, dass das bei einem Raser nicht nur in der Innenstadt OK ist, oder? – Letztlich sind aber dummerweise alle gleich. Also wendet man das Gesetz bei allen an. Wenn jemand findet, das sei übertrieben, muss man eben drauf hinwirken, das Gesetz zu ändern – z.B. über Lobbyarbeit, ProVelo usw usf.
Aber unter uns gesagt, selbst wenn ein Tschugger uns sieht, wie wir nach dem Kino über drei Rotlichter fahren, wird es keine Patrouille lossenden, da wir nicht potentiell lebensgefährdend sind… selbstredend sollen aber z.B. DNA-Spuren auch ausgewertet werden können, und private (heute streng genommen illegale) Aufnahmen z.B. von Haus- oder Wohnungstüreingängen sollen vor Gericht zugelassen sein.
Wo führt denn das hin sonst… “Schauen Sie, ich hab ein Foto des Täters.” – “Sorry, illegal, ich hab den zwar vor zwei Jahren schon mal zu einem Bedingten verurteilt, aber…” – Nä-ä!
Aber lass mich das mit der Grenze noch präzisieren: Ich denke, sobald es um Verletzungen der physischen oder psychischen Integrität geht (zB Raubüberfall, Schlag ins Gesicht, Einbruch in Wohnung, sexuelle Übergriffe), um Diebstahl (zB Velo) um potentiell lebensgefährdende Sachen (zB Raser mit 100 Innerorts), da ziehe ich die Grenze. Auch wenn du mir das jetzt nicht glaubst – nein, um zB einen Raucher in einem Nichtraucherbereich zu überführen, einen unter 18jährigen des Konsums harten Alks oder eben einen Velofahrer eines Regelverstosses, nee, dafür sollte die Datenbank nicht angezapft werden dürfen. Auch diese Fälle können locker in ein Gesetz geschrieben werden; im Grenzbereich entscheiden dann halt die Gerichtsinstanzen, ob man “darf oder nicht”.
Jedenfalls haben die Grundrechtsvorlesungen und Rechtsphilosophieseminare bei J.P. Müller einen bleibenden Eindruck hinterlassen, ich finde diese Fragen grundsätzlich faszinierend und interessant. Demach: Nein, natürlich nicht. Das darf man ruhig diskutieren, ok.
Nur – irgendwo gibts auch noch einen Alltag, eine Praxis, ein Rechtssystem, das funktionieren soll. Und wenn man da versteckt die ach so lieben Verbrecher schützt, indem man argumentiert, man bekomme Bauchweh, wenn man gefilmt werde oder wenn der Staat irgendwo zwei Fingerabdrücke besitzt, hört für mich der Spass irgendwie auf. Das erinnert mich entfernt an die Militia-Leute aus dem letzten “Kleinen Bund”, die sich mitunter von Kondensstreifen bedroht fühlen und hinter jeder Ecke einen abzuknallenden Staatsvertreter sehen.
Bei vielem, was bezüglich Alltagspraxis du sagst, lange ich mir an den Kopf uns sage: “Leben wir wirklich im gleichen Land?” Und ja – da orte ich einen Mangel, dass du und andere sich offenbar Situationen nicht vor Augen führen können, wo sie plötzlich sehr froh wären um Dinge, die sie mit Bezug auf das 18. Jahrhundert ablehnen… und die am liebsten den Staat mit den Methoden des beginnenden 20. Jahrhunderts arbeiten lassen würden. Mit den selben Argumenten könnten wir auch die Handys gleich wieder abgeben, ach, dieser dumme moderne Kram…
Und es geht ob der ganzen Diskussion, wie weit die *eigene* Freiheit geht, imho deutlich unter, wie’s denn mit dem Interesse der *anderen* steht, oder am Interesse des Staatsgebildes, sein Fortbestehen zu sichern. Oder ists aus deiner Sicht cool, wenn irgendwo – unbehelligt, denn es ist ja seine Freiheit – ein Bombenbastler mit Glatze oder tätowiertem Jurawappen hockt und fröhlich vor sich hin bastelt? Ich bin froh, dass man diese kranken Typen oftmals vorher schnappt. Dank Mechanismen, die du als (grossen) Eingriff in deine ach so geliebte Freiheit taxierst…
Ich glaube, wir vergessen hier manchmal, dass “der Staat” wir selbst sind: Wir haben uns das – zumindest hierzulande und in der näheren Umgebung – alles eingebrockt oder erschaffen, je nach Sichtweise, in demokratischen Prozessen. Auch wenn gewisse Amtsstellen manchmal weit übers Ziel hinausschiessen (Anrufe von Schurnis registrieren, “Geheimarmeen” und dergleichen), vertraue ich letztlich den Behörden soweit, dass sie im Interesse des Volkes handeln. Ich bin auch überzeugt, dass es einen gewissen Lerneffekt aus der Vergangenheit gibt. Und dass das Zusammenspiel von Checks and Balances aus den staatlichen Gewalten, der Referendumsdemokratie, den Medien usw. funktioniert. Und ich weiss nicht, woher dieses Ur-Misstrauen kommt, das bei dir beginnt und bei Militia-Mitgliedern endet – ich verstehe das nicht.
Niemand wird dich je auf der Strasse anhalten und fragen: “Warum haben Sie dieses subversive Buch gekauft?” Wenn doch, dann ist das ein gefundenes Fressen für alle investigativen ReporterInnen dieses Planeten. Und dann zu Recht!
uffff… ich gebs auf. Sorry. So viel Polemik auf einen Haufen und so herzlich wenig Bereitschaft eine echte Diskussion zu führen, dass ist mir zu anstrengend. Ich bin erschlagen von deinen langen Posts und deiner Detailversessenheit. Das ist zu viel für mich. Exgüse und einen schönen Frühsommertag allerseits.
Ja, wenn du nicht bereit bist, auf Details einzugehen, dann macht das wohl wirklich keinen Sinn. Schade! Jetzt hats erst richtig begonnen interessant zu werden. Überlegs dir doch nochmals.
So als aktueller Diskussionsbeitrag zur ach so schlimmen Videoüberwachung: “Die drei jungen Männer, die beim Bahnhof Kreuzlingen zwei Passanten brutal verprügelten, sind verhaftet – dank der Videoaufnahmen.”
Nein, das macht die Tat nicht rückgängig – aber immerhin können diese Deppen jetzt mal eine zeitlang niemanden mehr verprügeln.
Solche Dinge gehören für mich auch zu einer “echten Diskussion”, wie sultan sie wünscht, wie eben auch Details – ich sehe nicht, wieso das “Detailversessenheit” sein soll. Ich hab mir das die letzten Tage wieder und wieder überlegt; diese Diskussion lässt mich alles andere als kalt.
Wenn sich eine “echte Diskussion” auf eine rein staatsrechtsphilosphische Reflektion erstreckt, kann man die gern führen, aber das ist weniger mein Ding – mich interessiert in einer “echten Diskussion” vor allem, wie sich diese theoretische Basis in der Praxis (heute) anfühlt.
Vermutlich müsste man zwei Diskussionsstränge führen:
1. Nach wie vor würde mich auf der “allgemeineren Ebene” interessieren, woher das Unbehagen dagegen rührt, dass “der Staat” (punktuell) weiss, was man gerade tut. Mit der Prämisse, dass ich akzeptiere, wenn jemand das möglichst nicht will. Nur eben – wie lässt sich rein rational erklären, dass man das nicht wünscht? Nein, “ich will das einfach nicht” lasse ich als Begründung nicht gelten, zumal sich eine Beeinträchtigung des Wohlbefindens oder der Gesundheit durch eine reine Registrierung oder Filmaufnahme schlicht nicht erklären lässt. Sind es frühere schlechte Erfahrungen mit den Behörden? Was ist es? Wieso ists mir als einer überfichierten Umgebung entstammender Person völlig egal, wenn der Staat sogar wüsste, was ich lese und esse; wieso sorgt dieser Gedanke bei anderen Leuten zu Sorgenfalten bis Angstschweiss?
Das – ehrlich – inetressiert mich aus reinem Interesse daran, wie Menschen halt verschieden funktionieren, nicht aus Lust an Polemik.
2. Müsste man – und da kommt man natuergemäss nicht drum herum, wenns drum geht, Regeln aufzustellen – eben noch viel mehr ins Detail gehen und seine Positionen hinterfragen, wenn man die eigenen Bedürfnisse von – sagen wirs so – “Unbehelligtheit” in Relation zum möglichen Nutzen für die Gesamtgesellschaft zu stellen.
Obs um Telekommunikationsdaten geht, um Videokameras, um Fingerabdruckdatenbanken: letztlich muss man bei allem – wenn man diese Methoden zur Aufklärung oder gar Verhinderung von Verbrechen ins Detail gucken.
Wenn mir das jemand als “Detailversessenheit” ankreiden will (nachdem man explizit gefragt hat, wo man denn die Grenze ziehe) und sich darob erschlagen fühlt, bitte – es geht aber schlicht nicht anders, denn es müssen eines Tages ohnehin die Leitplanken gesetzt werden, wann es gerechtfertigt ist, die eine oder andere Aufnahme anzugucken oder Datenbank anzuzapfen.
Mir ists viel lieber, wenn das öffentlich und breit diskutiert wird, denn dass das alles kommen wird bzw. schon da ist, ist völlig klar – es ist an uns Bürgerinnen und Bürgern, möglichst früh festzulegen, wie weit wir in welchen Fällen gehen wollen und welche Instanzen entscheiden, was verhältnismässig ist. Tun wir das nicht, entwickeln sich eben genau wieder irgendwelche obskuren, halboffiziellen geheimdienstartigen Spitzelstellen abseits der politischen Kontrolle. Und das darf auf keinen Fall passieren.
Sollte in einem demoktratischen Prozess halt am Schluss entschieden werden, dass z.B. für Velodiebstähle oder Einbrüche keine Fingerabdruckdatenbanken angezpaft werden dürfen, well then, dann finde ich das zwar unsinnig, aber wenn die Mehrheit das so will – dann solls so sein.
Sich diesen konkreten Detaildiskussionen zu verschliessen oder gar Videoüberwachung grundsätzlich zu verteufeln, führt aber geradewegs in eine Art neuen Fichenskandal, der im Zeitalter der elektronischen Speicherung viel schlimmer wird als zu Zeiten der Schreibmaschinen und Karteikarten – mitunter, weil es viele kleine Cinceras mit Überwachungskamera-Arsenalen abseits staatlicher Kontrolle geben wird, die weit mehr tun als bloss zu versuchen, Eingangspisser zu verscheuchen.
Und das sind mir dann echt unheimliche Patrioten – Frischknechts Buch hat mich in der Kindheit sehr geprägt.
Auch hier geht der Datenschutz wieder seltsame Wege: Dank der – nach geltendem Recht illegalen – Veröffentlichung von Fascho-Bildern im Internet kommen weniger Neonazis an die Aufmärsche in Sempach.
Was aber macht Hanspeter Thür? Er sagt, das sei illegal. Es hätte zig andere Beispiele gegeben, aber er pickt ausgerechnet den raus, wo Glatzen zurecht mit einfachen Mitteln davongejagt werden. Eine Web-Denunzierung der Rechtsextremen scheint mir doch weitaus effizienter zu sein als Gegendemos, an denen vermutlich Blut fliesst und es Verletzte gibt.
Ein anderer Fall: Die Marzilibahn in Bern entlastet die Polizei und sucht selbst nach einem Schwarzfahrer. Das Überwachungsbild aus der Kamera ist vorhanden, man bittet die Bevölkerung um Hinweise. Datenschützer schreien Zeter und Mordio – und vergessen, dass die Polizei eigentlich Wichtigeres zu tun hat. Was kann schon passieren: Wenn der junge Mann identifiziert wird, bekommt er ne Rechnung der Marzilibahn und zeigt hoffentlich Reue, der Fall ist ganz ohne Polizei erledigt. So what?
Ich hoffe schwer auf einen Paradigmenwechsel – bei der Marzilibahn kann man ja noch mit Fug und Recht über das Gewaltmonopol des Staates, Bagatellfälle etc. diskutieren, aber es darf doch nicht sein, dass man öffentlich auf Leuten rumhackt, die mit ganz einfachen und effizienten Mitteln gegen Neonazis kämpfen (selbstredend müssen diese Leute aber auch damit rechnen, bei Demos von Linksextremen auch selbst im Web zu erscheinen, wenn sie sich schlecht benehmen…)!