Die Initiative der Lungenliga geht zu wenig weit

Früher musste man den Menschen sogar im Zoo explizit erklären, dass es eine schlechte Idee ist, hier zu rauchen:

Vintage-Rauchverbot im Giraffenhaus des Basler Zollis

Heute – so könnte man denken – ist alles anders und das Thema “Rauchen”, das in diesem Blog bisweilen heftig debattiert wurde, praktisch erledigt – mit den neuen Gesetzen, die in vielen Kantonen eingeführt wurden, sind endlich Lösungen in Kraft, die grösstenteils gut funktionieren und die akutesten Passivrauchprobleme lösen.

So perfekt ist die Ausgangslage aber nicht.

Der Initiative der Lungenliga, die am 23. September 2012 zur Abstimmung kommt, werde ich natürlich zustimmen – jeder weitere Schutz vor Qualm ist grundsätzlich gut, und eine einheitliche Lösung ist besser als ein Flickenteppich regionaler (teils halbherziger) Lösungen.

Andererseits geht die Initiative zu wenig weit.

Im Alltag werden auch nach einer allfälligen Annahme der Initiative viele Lücken klaffen – dabei geht es weniger um Passivrauch en masse, sondern schlicht um die Geruchsbelästigung seitens unverbesserlicher Egoisten, die ihrem Vergnügen auf Kosten anderer frönen.

Bei aller Freiheitsliebe und bei aller Abneigung gegen Verbote: Wie der Alltag zeigt, hilft das Vertrauen auf die Vernunft nicht. Leider schaffen es viele Raucherinnen und Raucher nach wie vor nicht, auf die Zigarette zu verzichten, wenn andere Menschen in der Nähe sind.

Reklamationen von rücksichtsvollen RaucherInnen, die sich eingeschränkt fühlen, sollten daher an ihre immer-und-überall paffenden Kollegen gehen, nicht an die Lungenliga. Wenn alle Rauchenden die nötige Empathie aufbringen würden, wären alle Rauchverbote und Initaitiven schlicht überflüssig.

Ich warte nach wie vor auf…

– … ein Rauchverbot auf allen Plätzen eines Restaurants, selbstverständlich auch auf Aussenplätzen. Raucherzonen sollten draussen mindestens 10m vom letzten Tisch oder Eingang entfernt sein.

– … ein Rauchverbot auf Bahnhof-Perrons (mit Ausnahme von kleinen Raucherzonen an den Bahnsteig-Enden wie in Deutschland), Rolltreppen sowie an öV-Haltestellen.

– … Rauchverbote an öffentlichen Orten mit grossen Menschenansammlungen. Auch – wie gestern geschehen – auf der Marziliwiese vollgeraucht zu werden ist unangenehm.

– … einen griffigen Passus im Mietrecht, der das Rauchen in Privatwohnungen und auf Balkonen verbietet, wenn sich andere Bewohnerinnen und Bewohner beschweren.

Als Realist muss man aber eingestehen, dass diese Punkte hierzulande frühestens in 15 Jahren aufs Tapet kommen und wohl allerfrühestens in 25 Jahren umgesetzt werden. Die umliegenden Länder dürften aufgrund der Erfahrungen der letzten Zeit etwa fünf Jahre früher dran sein.

Es geht nicht um Raucherbashing oder Gesundheitstalibanismus. Es geht mir auch nicht um jene Freundinnen und Freunde, die in meiner Nähe nach dem Essen genussrauchen, ob sie nun vorher fragen oder nicht – mir geht es um eine bei den meisten Rauchern nicht vorhandene Kultur der Rücksichtnahme, um dieses “ist doch nicht so schlimm” auf der Rolltreppe, auf dem Perron, auf der Liegewiese.

Von mir aus können sich alle Menschen so sehr vollrauchen wie sie wollen, genau so sehr wie ich mein Ränzli ungesunderweise kultiviere. Ich halte persönliche Freiheiten hoch, solange sie andere nicht so direkt und brutal tangieren wie das Rauchen.

Aber immerhin: Ob die Initiative der Lungenliga angenommen wird oder nicht – für viele Menschen, die keinem Rauch ausgesetzt sein wollen, wird sich kaum etwas ändern. Die Möglichkeiten, sich in rauchfreien Innenräumen aufzuhalten, haben sich in den letzten Jahren vervielfacht.

Darum ist mir die Initiative viel zu wenig radikal und es ist mir einerlei, ob sie durchkommt oder nicht – ich gestehe aber im Gegensatz zur Diskussion vor vier Jahren ein, dass die Zeit noch nicht reif für die obigen Forderungen ist, die andernorts teils längst umgesetzt sind:

Kanada, 2008

Seattle, 2008

Ging es vor vier Jahren um die Umsetzung von Selbstverständlichkeiten – die Schweiz verkam zusehends zur Rauchparadies-Insel -, ginge es nun um die Detailarbeit. Dafür ist es hierzulande leider zu früh. Das sehe ich ein, und darum wird dieser Beitrag aus Anlass der Volksabstimmung bis auf weiteres der letzte zum Thema Rauchen hier sein.

Rückblickend kann man zu den bisherigen Erfolgen sagen: “Und siehe da, die Menschen haben sich dran gewöhnt.” Die Zeiten, in denen man zigarettengeräuchert aus dem Ausgang oder von einem guten Essen zurückkam, sind endlich fast überall im Lande vorbei.

Heute kräht fast kein Hahn mehr gegen den Passivrauchschutz, der hierzulande viel zu spät kam. Das massenhafte Beizensterben ist nicht eingetreten, eine Raucherinitiative ist kläglich gescheitert – und rauchfreier öV ist so normal, dass man es kaum glauben kann, dass in Zügen überhaupt je geraucht wurde.

Ausser bei einer Handvoll fanatischen Bloggern, unterbelichteten Politikern (darunter unfassbarerweise auch egomanischen Grünen), bauernschlauen Fümoaristen, gescheit tuenden Liberalismustheoretikern und radikalen Freiheitsfreaks, die am liebsten gleich das gesamte Strafgesetzbuch abschaffen würden, sind zumindest rauchfreie Innenräume normal und akzeptiert.

Darum sollte man meinen, auch die meisten Teile der schweizerischen Menschheit hätten Begriffe wie “Rücksichtnahme” und “Empathie” verinnerlicht. Oder – wie es auf der Seite der Lungenliga zu lesen – das “liberale Prinzip, dass die eigene Freiheit dort aufhört, wo die Gesundheit Dritter gefährdet wird.”

Dem ist aber leider nicht so, wie neustens die Diskussion um Emissionen des Nachtlebens zeigt: Den Partymachern ist es egal, wenn jemand schlafen will – ihr Ding (man erfrecht sich sogar, das Deckmänteli “Kultur” dafür zu verwenden) ist das einzig wichtige und alle anderen können sie mal kreuzweise. Die Debatte nahm zeitweise die fanatisch-emotionalen Züge der Rauchdebatte an.

Rücksichtnahme? Das eigene Tun kritisch hinterfragen?
Fehlanzeige.

Das ärgert mich meistens, bisweilen macht es mich einfach nachdenklich: Wenn der Zeitgeist wirklich in eine Richtung backlasht, in der die Belästigung anderer aus einem egoistischen Vergnügungswillen heraus wieder salonfähig wird, werden wir in wenigen Jahren die Tempolimits aufheben, das Rauchen wieder überall erlauben, öffentliches Defäkieren und Urinieren für salonfähig erklären – unter der Prämisse “persönliche Freiheit geht über alles, ist doch alles nicht so schlimm, du fucking Spiesser”.

Das ist selbst für mich als Genussmensch und Verfechter eines möglichst ausgebiegen Auskostens dieses einzigen Lebens, das wir haben, kein schönes Modell für ein friedliches Zusammenleben.

Darum ist eine Zustimmung zur Initiative der Lungenliga für mich auch ein Tritt in den Arsch aller Egomanen dieser Welt, und ich werfe das JA trotz der genannten Argumente mit Überzeugung ein.

5 Kommentare

  1. Rauchparadies-Insel? Es kamen wohl kaum Ausländer resp Touristen deswegen in die Schweiz.
    Als ehemaliger Raucher, versuche ich die Raucherzonen zu meiden und bin deswegen seit Jahren nicht mehr dem Rauch ausgesetzt. Und in den 3 bis 4 Mal pro Jahr in denen es passiert, pfeiffe ich darauf.

  2. Es geht hier auch nur am Rande um die Raucherzonen, denen man sehr wohl ausweichen kann, sondern um die notorischen Überallraucher wie dem Suchthaufen grad neben mir auf einer Bank in der Zürcher Bahnhofshalle, die ohne Nachzudenken anderen Menschen den Alltag vermiefen: Am Bahnhof, in Freiluftrestaurants und und und.

  3. Mutig, mutig – Zu diesem Thema Flagge zu zeigen! Die neue Lebensqualität kommt leider etwas spät. Im «Ausgangs»-Alter blieb einem keine Alternative. Entweder passiv mitrauchen und sich verstinken lassen oder zuhause bleiben. Auf das Dessert im Restaurant verzichtete man, weil schon bei der Vorspeise am Nachbarstisch gepafft wurde und man bezahlte gleich nach dem letzten Bissen um an die frische Luft zu gelangen! Hier wurden NR in ihrem Recht am sozialen Leben teilzunehmen doch arg beeinträchtigt. Man möchte fast nach Sammelklagen schreien und die Verantwortlichen zur Rechenschaft ziehen. Leider eine utopische Vorstellung.

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