Ende November 1985 schickten sich zwei dreizehnjährige Schülerzeitungsjungs aus dem Oberbaselbiet an, die grosse weite Welt kennenzulernen: Olten.
Das erste schweizerische Jugendpressetreffen sollte erstmals die MacherInnen der Schülerzeitungen des Landes vereinen und einen Meinungsaustausch ermöglichen. Heute ist der Blick 20 Jahre zurück wie eine Reise in eine andere Welt. Handys – im heutigen Sinne – gabs damals noch nicht; und schon gar keine, die Fotos machen können, die das Telefon direkt zu einem Panoramabild zusammenfügt. Wenn man Bilder machte, mussten sie möglichst schwarzweiss sein, das Fachgeschäft im Nachbardorf entwickelte sie (wenns gut ging innert 2-3 Tagen), und eine mit den Eltern befreundete Grafikerin rasterte sie netterweise für den Druck auf.
Computer gabs zwar, ratternde Maschinen mit klobigen Fünfeinviertelzoll-Disketten, doch das ausgedruckte Ergebnis sah nicht wirklich erfrischend aus – vor allem, wenn das Farbband das Ende seiner Lebenszeit erreicht hatte. Unsere gute alte Hermes lieferte dagegen eine blendende Qualität – wenn auch Tipp-Ex (flüssig oder vom Streifen) die einzige Korrekturmöglichkeit war. Egal: damals schrieben wir einfach chronologisch einige Wochen am Stück, und wenn 20 Seiten zusammen waren, erschien das Blatt. Desktop Publishing begannen wir erst 1986 – das heisst: Ausdrucken, zerschneiden, kleben, Letraset rubbeln.
Sowas wie das Internet existierte nicht – Teletext war das höchste aller Gefühle, wenn man bei einem reichen Onkel am Weekend einen Fernsehapparat fand, der sowas darstellen konnte. Olivenöl war kaum bekannt. Ein Anruf nach Australien kostete fast zehn Franken. Pro Minute. Das bringen heute kaum Erotikanbieter mit 0906er-Nummern fertig.
In Olten staunten wir vor allem, welch fesche A5-Broschüren andere fertigbrachten und über welche Themen sie berichteten. Aber irgendwie waren wir auch ein bisschen stolz, dass wir im Gegensatz zu den anderen schon mal am Fernsehen waren und Sportanlässe m Dorf organisierten. Auf Stellwänden konnten sich die Blättchen vorstellen: “Teeny Journal”, “Feschli”, “Aarezitig”, “Klecks” – und natürlich unsere gute alte “FGOI“. Es gab auch Workshops, doch worum es damals ging, liegt verschollen in irgend einer Kiste. Die jungen Menschen trugen jedenfalls seltsame Kleider, grosse Brillen und hatten ulkige Frisuren. Fast wie Werner K. Rey, der vor 20 Jahren Millionengewinne scheffelte. “Zaffaraya” kannte noch niemand, Tschernobyl war ein hundsnormales Kaff bei Kiew, Schweizerhalle dasselbe bei Basel, die Raumfähre Challenger hatte soeben einen Satelliten ausgesetzt, und viele kleine Spitzel schrieben mehr oder weniger unerkannt viele kleine Fichen.
Ende November 2005 traten zwei dreiunddreissigjährige Ex-Schülerzeitungsjungs an, um dem Grossvater des einen bei der Olivenernte in Südfrankreich zu helfen, wo sie schon den Sommer vor 20 Jahren mit ihren Familien und etlichen zugewandten Orten zusammen verbracht hatten. Sie waren zwar beide rund 20 kg schwerer als 1985, doch “Lac de St. Cassien” konnten sie inzwischen aussprechen, der hiess nicht mehr “San-Coca-Cola-See”. Und sie sagten den Velofahrern auf der Strasse auch nicht mehr “Bonjour, asseyez-vous” – was die Französischlehrerin damals, in der zweiten Sek, zu Beginn der Stunde immer zu sagen pflegte. Ihr Aktionsradius hatte sich über Basel und Olten ausgedehnt – einer war inzwischen gar halber Australier und hatte Frau und Kind im Schlepptau, der andere eine kaputtes Knie, was die ganze Chose überhaupt zum laufen brachte: “Nix Skifahren – also ab in den Süden!” 1985 fand die Reise stundenlang in verschiedenen überfüllten Autos auf der Route Napoléon statt, 2005 innert 55 Minuten für ebensoviele Franken mit EasyJet.
Anstatt in der Schülerzeitung (sowas wie “Jugendpresse” gibts übrigens scheinbar trotz dem Internet noch) verewigen sie ihre Erlebnisse in datenbankbasierten Web-Fotoalben und Blogs und verschicken den Link per E-Mail fast gratis in die ganze Welt, sofern überhaupt noch dazu kommen – denn inzwischen kochen sie für den Grossvater statt umgekehrt, ein anderthalbjähriger Wirbelwind braucht ziemlich viel Aufmerksamkeit, und 60kg Oliven pro Tag von den Bäumen zu holen bleibt für so alte Knochen auch nicht mehr ohne Folgen. Heuer war der Sommer trocken, drum sind die Früchte teils schrumpflig, und einen Liter Öl gibts aus siebeneinhalb Kilo Früchten statt wie sonst aus sechs. Drum sag ich jetzt aus Seillans nur noch: Ist ein ganz nettes Leben so, vor 20 Jahren wie heute. Und Olivenöl brauch ich ab sofort mit viel mehr Bedacht als bisher.
Offenbar sind wir nicht ganz die einzigen Olivenerntefremdarbeiter hier 🙂