Rechtzeitig zum erneuten Kälteeinbruch zurück zum Thema Nostalgie-Skifahren – im Rahmen dieser Serie hüpfen wir erstmals über die Grenze.
Seit den frühen 1960er Jahren reist unsere Familie regelmässig nach Südfrankreich. In der Nähe des Familienzufluchtsortes au midi befinden sich auch die beiden meeresnächsten Skigebiete Frankreichs – und was liegt für einen provenceliebenden Skifreak näher als hier einmal Ski zu fahren?
Dummerweise ist man nicht so schnell in Nizza, also muss schon eine ansehnliche Schneemenge liegen, die sicher bis zum Ende der Reise überlebt, wenn man nicht gleich losdüsen kann. Das war letztmals 2010 der Fall – Murphy schlug aber zu, und statt Skitage gabs Kranksein und Wolkenwetter.
Beim zweiten Versuch vor drei Wochen lief aber alles perfekt: Schöner Schnee, viel Sonne, Sicht bis Korsika!
Beide Skigebiete liegen an Nordhängen und sind vergleichbar mit kleinen Alpen- oder mittleren Juraskigebieten in unseren Breiten. Die erste Station heisst L’Audibergue, sie liegt rund 40 Autominuten von Grasse bzw. etwa eine Stunde vom Meer entfernt. Die Luftdistanz von der Bergstation zum Meer (Cannes-La Bocca) beträgt 23 Kilometer.
Schon beim Anflug auf Nizza erkennt man die schneebedeckten Bergrücken kurz vor der Küste…
… und am nächsten Morgen ist die Vorfreude umso grösser beim ungewöhnlichen Bild “Skis am Olivenbaum”:
Von Seillans aus geht die Reise durchs schon langsam gebirgige Hinterland der Côte d’Azur mit einem kurzen Stück Route Napoléon über Hochebenen, wo man schön langlaufen kann:
Schnell kommt der Wegweiser nach Andon, Seranon, Caille und Audibergue…
… schon nach wenigen Minuten klicken die Bindungen, und auf der ersten Fahrt mit dem über 50 Jahre alten “Téléski de l’Aups” gelangt nach wenigen Minuten bereits das Mercantour-Massiv im Osten ins Blickfeld:
Zuoberst dann der Augenblick, auf den ich mich seit Jahren, wenn nicht Jahrzehnten, freue – mit den Skis an den Füssen das Meer und dahinter die Berge Korsikas aufblitzen sehen. Am 23. Februar 2012 war es endlich soweit – Bergstation Montagne de l’Audibergue… hinter dieser Krete gehts zum Meer hinunter!
Und tatsächlich – hier sieht man nicht vom Jura auf die Alpen oder ins nächste Bergtal, da unten glänzt wahrhaftig das Mittelmeer, da liegen die Iles des Lérins vor Cannes…
… da schweift der Blick über das Esterel-Massiv zur Bucht von St-Rapahaël, da hinten liegt St-Tropez, ganz weit weg thront der Coudon gleich neben Toulon, da vorn liegt der Segelflugplatz von Fayence, hinten die Préalpes de Castellane und im Osten die Alpenkette mit den hintersten Gipfeln bereits in Italien (mehr Bilder in diesem Album).
Ergreifend! Da vergisst man glatt das Skifahren.
Nun, wegen der Pistenqualität muss man auch nicht hierher kommen. Von “Nachts Walzen, damit’s am Morgen schön ist”, hat man hier noch nie was gehört – die Pistenbullys sind zwar zeitgemäss, aber man müsste sie halt auch einsetzen und nicht solche Äcker entstehen lassen:
An vernünftiges Carven ist da kaum zu denken, auch wenn die Pistenneigung ideal wäre. Gut, erstens heisst diese Serie ja “Vintage-Skifahren”, und da schalten wir gern auf 1970er-Kurzschwingen zurück. Zweitens: Für 13-18 Euro pro Skitag darf man sich nicht beschweren. Auch nicht über die grottenschlechte Website, die angeblich seit Jahren neu gemacht werden soll (immerhin versucht es die Dachorganisation der “Stations des Alpes Maritimes” besser zu machen).
Faszinierend ist vor allem das Setting: Hier macht man sonst entspannte Sommerferien, geniesst Kurzhosentage von März bis November, hört die Grillen zirpen, erntet Oliven und riecht Lavendel – an Skilifte würde man zuletzt denken.
Doch schon anno 1960 summte hier oben zwischen 1350 und 1650m der erste Poma-Tellerlift. Inzwischen sind weitere Schlepper sowie eine Sesselbahn hinzugekommen. Die war leider geschlossen, aber als Freund antiker Skilifte gefallen einem diese Tinguely-Kunstwerke eh besser:
Das Highlight aus Skiliftsicht ist der Téléski “La Charbonnière”, ein wilder, rasanter Ritt in einer steilen, vereisten Waldschneise (siehe im Video ab 3:40), wobei einem schon beim Ruckzuck-Start beinahe das Genick gebrochen wird.
Die Probleme der tiefer gelegenen Skigebiete sind überall die gleichen – das ist in Langenbruck nicht anders als an der Côte d’Azur: “Im französischen Skiort Audibergue hat man vor zwei Jahren eine neue Pistenraupe angeschafft, aber noch nie eingesetzt. Denn der Schnee bleibt neuerdings aus – und die Touristen zu Hause” lautet die Headline dieses Videobeitrags von N24. Allerdings gibts auch hier die Tage mit 150cm Pulverschnee, wie diese Fotos aus einem Forum zeigen, wo sich Audibergue-Fans austauschen.
Ansonsten wäre das Einzugsgebiet von Monaco bis Fréjus riesig; nicht alle mögen bis rauf nach Valberg, Isola 2000 & Co. fahren, und auch Küstenbewohner wollen durchaus Skifahren.
Und sich fein verköstigen – bei Huguette im “Christiana” neben der Talstation gibts natürlich kein Schnipo, sondern währschafte französische Küche in familiärer Atmosphäre.
Das gibt Kraft für weitere Abfahrten und noch einen Spaziergang im Gipfelbereich, wo man hinter dem Skilift-Spanngewicht sieht, wie sich Korsika höchstpersönlich aus dem Meer erhebt, sich Monte Cinto & Co. klar zeigen wie selten…
… und die Kalksteinwüste einen beinahe schon sich auf einem anderen Planeten wähnen lässt:
Aber wieso nur wähnen?
Dieser Skitag am Meer war tatsächlich ausserirdisch gut.
Video der Skilifte und Pisten in Audibergue (23. Februar 2012). Mehr Bilder dieses Tages hier.
Übrigens existierte in den 1960ern auch im Département du Var eine Skistation namens “Varneige” – die längst dem Zerfall preisgegebenen Gebäude am Mont Lachens sollen im Sommer 2012 plattgemacht werden.
Die bisherigen Teile dieser Serie: Eggiwil / Marbach und Bumbach / Les Breuleux und Tramelan / Nachtskifahren Linden / Selital (Gantrisch) / Hohe Winde / Grandval / Engstligenalp / Langenbruck / Prés-d’Orvin / Faltschen / Aeschiallmend / Gantrisch-Gurnigel / Les Bugnenets-Savagnières / La Corbatière / Rüschegg-Eywald / Dent de Vaulion
Derzeit herrschen im Südosten Frankreichs wieder traumhafte Skiverhältnisse bei bis zu 70cm Pulverschnee.
“France 2” hat gestern über Audibergue berichtet – schöner als die Skifahrerin kann man’s nicht sagen: “Les pieds dans la neige, les yeux dans la mer”. Und dazu noch ein Blick in Huguettes Küche. Wunderbar.
Das zweite Skigebiet in der Nähe, Gréolières-les-Neiges, begeistert derzeit nicht nur mit Schnee und Meerblick, sondern auch mit einer vorbildlich gepflegten Faceboookseite.