Die Stasi-Akten aus dem Rössli Mogelsberg

Irgendwo im Niemandsland der Ostschweiz, in einem kleinen Ort namens Mogelsberg, liegt eine der ältesten Genossenschaftsbeizen der Schweiz: Ende der 1970er-Jahre liessen sich hier ein paar “Städter” nieder, um im “Rössli” ihren Traum zu verwirklichen – eine eigene Beiz, gemeinschaftlich geführt, mit einem für die Zeit ausgefallenen Kulturangebot. Ziemlich revolutionär damals!

Das Experiment glückte – und auch heute noch ist das “Rössli” eine Reise wert. Das Gebäude ist ein Bijou, die Hotelzimmer haben Charme. Was man landläufig unter Viersternkomfort versteht, darf nicht erwartet werden, WC und Dusche sind auf der Etage, die Böden knarren (Ohropax Wasser-Zimmer im Rössli: Genial, aber Achtung... harter Fouton! (klicken für grosse Fassung)liegt aber überall bereit), grosse Menschen laufen Gefahr, sich alle paar Meter den Kopf anzuschlagen. Für FreundInnen solche Orte sei aber Fünfstern-Cachet versprochen: Das Ambiente des 300-jährigen Gebäudes ist umwerfend, besonders empfehlenswert sind die “Elemente-Zimmer” im obersten Stock. Achtung: Das Wasser-Zimmer hat uns am besten gefallen, doch wer sich Foutons nicht gewöhnt ist, wird im wahrsten Sinne des Wortes eine harte Nacht verbringen. An den Kulturabenden kanns zudem etwas laut werden.

Kulinarisch bleiben nach einem kleinen Vorabendspaziergang durch die schöne Gegend keine Wünsche offen: Die rauchfreie altehrwürdige Gaststube ist himmlisch. Alle (alle!) Weine können auch offen genossen werden; hier könnte sich so manche Beiz ein Stück davon abschneiden. Die Menukarte ist zumeist mit Bio-Produkten regionaler Produzenten bestückt – das Parfait aus selbst gesammelten Znacht in der gemütlichen Rössli-Stube (klicken für grosse Fassung)Heidelbeeren am Schluss war ebenso sensationell wie zuvor die Champagnersuppe und die Reh-Filets.

Alle ach so kundenfreundlichen Hotelbesitzer, die ihr Frühstücksbuffet nur zu so unmenschlichen Zeiten wie 7-10 Uhr offen halten (Hallo? Wir möchten uns doch erholen!), sollten auch einmal beim “Rössli” abgucken: Das Brunchbuffet kann durchaus auch nach dem Mittag genossen werden – genau so erwarten wir Gäste von heute das eben. Die hausgemachten Konfitüren sind genial, der soeben von einem Bauer abgelieferte unpasteurisierte Süssmost mundete vorzüglich.

Ein Leckerbissen für Nostalgiker sind zudem die Staatsschutz-Fichen, die oben in einem Ordner besichtigt werden können. Für NichtschweizerInnen: In Stasi-Manier bespitzelten Schweizer Nachrichtendienste in den 1970er- und 1980er-Jahren die Bevölkerung. So erinnern manche Eintragungen über das “Rössli” an den Film “Das Leben der anderen”.

Nebenbei gesagt: Auch ein naher Verwandter von mir wurde fichiert – da er 1977 mit einem Visum für Ungarn die Grenze bei St. Margrethen passierte. Später hatten die Behörden gar die Frechheit, ihn auf einen Polizeiposten vorzuladen und ihn als “IM” anzuheuern. Er sollte Informationen aus dem kommunistischen Osten liefern, den er aus familiären Gründen öfters aufsuchte. Er lehnte natürlich ab – der letzte Ficheneintrag lautete daher: “S ist politisch nicht interessiert”.

Ähnlich dilettantisch bis belustigend sind die “Rössli”-Akten. Aus monatelanger Telefonüberwachung, jahrelanger Bespitzelung Gathaus Rössli am Dorfplatz in Mogelsberg (klicken für grosse Fassung)und seitenlanger akribischer Dokumentation dieses friedlichen Ortes resultierte die Aussage: “Aufgrund aller bisherigen Abklärungsergebnisse steht fest, dass sich im Gasthaus ‘Rössli’ das ganze ‘Sammelsurium’ von Linken und Alternativen über die Wochenenden zu Veranstaltungen trifft. (…) müssen wie folgt eingestuft werden: Linksextreme (LMR und PdA Personen), AKW-Gegner, Kriegsdienstverweigerer, Aktivisten bei Demonstrationen in Zürich und Basel, Sympathisanten der Terrorszene, Angehörige von Frauenbefreiungsorganisationen, Mitglieder der POCH, sowie allgemein der Alternativszene (Oekologen / Grüne). (…) Wir müssen annehmen, dass bei diesen Zusammenkünften gemeinsam gegen den Staat gerichtete Aktionen besprochen und geplant werden.”

Aber klar doch! Wo so seltsame Bands wie “Züri West” oder “Der Böse Bub Eugen” aufspielen und dunkel gewandete “Oekologen” umherstreifen, müssen doch Bombenanschläge geplant werden. Logisch.

Leicht frustriert schliessen die – übrigens 1981 vom damaligen Gemeindepräsidenten initiierten – Abklärungen (klicken für Bild) nach drei Jahren im März 1984: “Ein Hinweis, dass dabei auch strafbare Handlungen zur Planung gelangen, konnte nicht beigebracht werden.” Aber natürlich glaubten die Spitzel der Kantonspolizei St. Gallen dies angesichts der ach so seltsamen Klientel nicht so recht: “Es ist davon auszugehen, das solche Pläne nur in Kleinstgruppen (…) besprochen würden.”

3 Kommentare

  1. …boooah ey, voll die gefährlichsten alternativen. sicher ist moritz leuenberg zu dieser zeit auch da rumgehangen.

    der staat, der durch alternativbeizen bedroht ist, ist ja auch nicht wirklich erhaltenswert 🙂

  2. Super Beitrag!
    Meine Freundin hat mich erst kürzlich für ein Kulturarrangement auf den Mogelsberg Eingeladen. Deine Beschreibung trifft den Nagel auf den Kopf. Es war einfach der Hit. Wir waren auch im Wasserzimmer und es sieht erstaunlicherweise noch so aus wie auf Deinem Foto… das nach sieben Jahren. War mega gemütlich und ist nur weiterzuempfehlen inkl. Langschläfer Brunchmöglichkeiten. Wir sind erst kurz vor 11h aufgetaucht und um 11:30 haben sie das Buffet noch einmal frisch aufgefüllt!!!

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