Von Ablasshandel, Nachbarinnen und Tradition

Ich werde heute Abend den Sommer aus dem Süden nach Mitteleuropa exportieren, versprochen. Nicht dass mir der Gedanke sonderlich Spass macht, wieder in den Alltag statt in Seillans (Var), 12. Juni 2007, 12.10 Uhrden Pool einzutauchen – aber diesmal führt die Reise immerhin nicht in den Spätherbst zurück.

A propos Pool: Wie bedient man so ein Ding? Der erste Sommer im Ferienhaus nach dem Ableben des langjährigen Hausbewohners und Chefbastlers zeigt, wie schnell in der Menschheit wichtiges Wissen verloren geht. Das meiste hat er uns Nachkommen zwar noch gezeigt, aber was passiert mit diesem Riss? Warum fliesst da Wasser raus? Woher kommt das? Wieviel Chlor kommt rein? Wie bedient man den Rasenmäher, um den Dschungel rund ums Haus zu roden? All die kleinen Tricks und Kniffs gilt es nun neu zu erlernen. Was der Menschheit so im Laufe der Jahrtausende alles an praktischem Knoffhoff verloren ging, wenn nur wir kleinen Würmer hier schon hilflos vor einem Rasenmäher stehen – uff. Geschichtsunterricht live.

Am Pool kann man aber endlich auch alte Tagimagis lesen – und plötzlich lacht einem Stocknachbarin Magali nicht für ein Innenhofschwätzli, sondern als Prototyp der schönen Bernerin entgegen. Was sich der Mingels dabei wohl wieder gedacht hat? – Egal. Das ist ein wunderbarer Anlass für einen kollektiven Dank an sie und die anderen netten Geister im Haus fürs allferienliche Blumengiessen.

Andreas Dietrich schliesslich brachte unter dem Titel “Das Gewissen, etwa” im Tagimagi 21/2007 auf den Punkt, was ich schon lange im Hinterkopf hatte. Er erzählt von seinem Kollegen, der quer durch Europa jettet: “Der Kollege ist – wie so viele, für die das demokratisierte Billigfliegen zum Lebensstil gehört – ansonsten sehr öko, sehr nachhaltig, sehr verantwortungsvoll. Al Gores Film «An Inconvenient Truth» hat ihn betroffen gemacht. Irgendwann will er Kinder haben, und die, findet er, sollen dann auch noch etwas von der Welt haben. Deshalb wählt er die Grünen, am Boden ist er mit dem Velo unterwegs, den Abfall trennt er rigoros, und auf den Widerspruch zwischen Weltfreund und Kerosinkriminellem angesprochen, antwortet er souverän: «Ich kompensiere.» Das tun wir ja alle, kompensieren. Täglich, lebenslänglich.” (alles lesen)

Ich bekenne: Ich bin noch schlimmer. Inkonvinienddruss hab ich (noch) nicht gesehen, ich kompensiere nicht mal. Kommt mir irgendwie lusch vor.

Der ganze Irrsinn zeigt sich bei den Reisen in die Provence: Flugzeug Tür zu Tür 4 Stunden, 98 Franken retour, alles inklusive. SBB/SNCF Tür zu Tür 9 Stunden, je nach Buchungszeitraum 320 Franken retour. Vor dem TGV sud warens etwa 12 Stunden – und ich tats als ansonsten passionierter Bahnfahrer, weil damals ein Flug nach Nizza etwa 700 Franken kostete. Die Reise als Happening – gut! So plant unter dem sanften Zwang des Angebotes man auch anders und bleibt halt ein, zwei Wochen statt ein verlängertes Weekend.

Macht endlich diese Kurzstreckenflüge teurer, dann nehm ich auch wieder den TGV. Das Prinzip ist einfach: Hier unten ists zu schön, um nicht auch Kurztrips zu unternehmen, wenn einem eine allzu billige Möglichkeit geboten wird. Es ist wie mit dem Rauchen – solange der Staat kein generelles Schlotverbot verhängt, werden die wenigsten freiwillig verzichten. Also macht endlich den Sprit dreimal so teuer und subventioniert damit die Bahnen.

So seufze ich unter dem Olivenbaum: Vernünftig ist dieses Verhalten nicht, aber wohl menschlich. Leider. Und wenn ich einen Wunsch frei hätte, wärens nicht billige Reisen – ich hätte lieber meinen Grossvater zurück.

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