Gestern kehrten die Pfahlbauer von Pfyn in die Zivilisation zurück. Trotz meiner erblichen Vorbelastung interessierte ich mich nicht sonderlich für das Treiben in der Ostschweiz.
Ganz anders vor genau 18 Jahren: Beim Steinzeit-Survival von “Eins zu Eins” litt ich im August 1989 Tag für Tag mit. Der Studio-Experte Rüdiger Nehberg gab – befragt von Röbi Koller – gute Tipps (“Heuschrecken schmecken wie Haselnüsse”), vor Ort führte der später leider in Ungnade gefallene Dani Ambühl – heute “multimedialer Künstler” – als eigentlicher Erfinder des ersten Schweizer Reality-Formates durch die Sendung.
Der fesche Walter “Walti” Traber, der es gar auf die Titelseite der “Schweizer Illustrierten” schaffte, war der Beau der Gruppe. Die Walliserin Annelise sorgte für den Jöö-Effekt, Heidi brillierte in der Mutterrolle. Und wir staunten und staunten – das war ganz neues Fernsehen.
Die “SonntagsZeitung” schrieb in der Vor-Big-Brother-und-Robinson-Zeit: “Ins Nichts hatte das Fernsehen eine Gruppe von Männern und Frauen ausgesetzt – ohne Feuer, ohne Essen, ohne Schutz gegen Kälte, Nässe, Wind. (…) Sie frieren, sie verlieren ihre Kräfte, weil sie noch hungern statt den Ekel vor dem Verzehr von rohen Maden, Würmern und Heuschrecken abzulegen. In seltener Einmütigkeit stürzt sich die ganze Familie mit vollbeladenen Tellern vor die Glotze, um sich an den um Feuer kämpfenden und hungernden Exoten sattzusehen.” (Ganzen Artikel lesen / Artikel nach Abschluss der Serie vom 3.9.1989 lesen / beide JPG, 200 KB)
Ja, anno 1989 war das noch ein Ereignis – und wie. Ambühl und Koller (letzterer als Vitamin3-Moderator sowieso) waren für uns junge Lokalradio-Macher Helden und Vorbilder, mitunter auch, weil beide bei Schawinski Piratenradio aus Italien gemacht hatten. Wir begleiteten das Steinzeit-Survival reichlich unkritisch und bewundernd; diese Story war für uns fast wichtiger als die sich anbahnende Wende in der DDR. Schoggistängeli vom Kameramann für die Steinzeitler? Nee du! Die Pfahlbauer von Pfyn? Verwöhnte Weicheier gegen Walti Traber, Eveline Rufer, Annelise Seiler, Heidi Huber, Werner Früh und Röby Dubil!
Und JacoBlök wäre nicht JacoBlök, wenn ich nicht noch schnell ein klein wenig Archivvideos von 1989 digitalisiert hätte. Viel Spass bei der doppelten Reise in die Vergangenheit. 3Sat brachte einige Tage nach dem Steinzeit-Happening eine einstündige Zusammenfassung, die hier als Quicktime-Movies zweigeteilt konserviert ist:
– Teil 1 anschauen (MOV, 193 MB)
– Teil 2 anschauen (MOV, 130 MB)
Wie die alle wohl heute aussehen und was sie machen? Einige lassen sich googeln, von anderen fehlt jede Spur. Röby wurde im Grafik- und IT-Bereich gesichtet, Eveline ist “schamanische und energetisch Heilende”, beschäftigt sich mit Astrologie und bietet u.a. Beratungen via 0901er-Nummern an… und Walti war zumindest 2005 auf der Suche nach einem Job.
Ein paar Wochen später präsentierte uns Annet Gosztonyi ganz andere Schlagzeilen (hier klicken für Video): Erich Honecker trat ab, Egon Krenz kam – und meine Lieblingsstadt San Francisco erlebte das stärkste Erdbeben seit 1906.
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Anmerkung Herbst 2008: SF hat die meisten meiner Nostalgie-Youtube-Videos mit dem Hinweis auf einen Urheberrechtsverstoss löschen lassen. Mag das formaljuristisch korrekt sein (ich hatte auch mal Medienrecht an der Uni…), so ist es vor allem stur und eine Obstruktion wertvoller Freiwilligenarbeit, zumal die SRG selbst kaum Archivmaterial anbietet (das nota bene grösstenteils aus unseren Konzessionsgeldern finanziert wurde und damit uns allen gehört). Ich habe peinlich genau darauf geachtet, möglichst keine Rechte Dritter zu verletzten und nur Videos anzubieten, die einzig und alleine historischen Wert haben.
Im “Klartext” vom Oktober 2008 ist ein Artikel dazu mit meinen Zitaten und einer Replik von SF erscheinen. Ich werde alles daran setzen, dass die Videos wieder abrufbar sind; es spielt keine Rolle, wo, Hauptsache, diese wertvollen Aufnahmen aus längst vergangenen Zeiten sind wieder vorhanden.
Auf vielfachen Wunsch ehemaliger Steinzeit-Survival-Teilnehmer und des damaligen Redaktors (!) ist ein Video zumindest hier nun wieder abrufbar – wenn SF deswegen auf “kleine Fische” losgehen will… bitte.
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Anmerkung Spätsommer 2009: Ich habe diese Woche mit den Verantwortlichen bei SF ein sehr gutes Gespräch geführt, und es sieht gut aus für die Nostalgiefraktion! Über die Details sprechen wir noch. Hier vorerst der Verweis auf einige online abrufbare Archiv-Perlen bei SF!
Ja, das waren noch Zeiten. Aber wer mag sich noch daran erinnern.
Ich habe mir, im Zusammenhang mit der Pfahlbauer-Sendung, ein altes Video (Schweizer TV und Schweizer Illustrierte) angesehen. Diese Sendung dürfte man noch heute zeigen. Was ich nicht wusste ist, dass man auf YouTube
ein Beitrag findet.
pocemon, genf, schweiz
Das habe ich schliesslich auch erst gerade aufgeschaltet… Gestern hatte ich zufällig Zeit für die Pfahlbauer und dachte mir “das gabs doch schon…” – und digitalisierte in der Nacht kurz das VHS-Band aus dem Archiv. Der Zurbuchen war übrigens schon damals dabei!
Danke für den Hinweis, ich denke, so krass wie der Unterschied von den heutigen Pfahlbauern zu den jenigen von 1989 ist, so krass wird er wohl auch zwischen den richtigen und denen von 1989 ausfallen! Da sieht man halt auch, wie der Perfektionismus der modernen Zeit arbeitet…
genial, danke für die videos.
ich war dazumal 13, aber die bilder vom rüdiger sind mir noch heute präsent. war schon eindrücklich, damals. ob die heutige ausgabe auch so lange in den köpfen bleibt?
p.s. danke für den link in der blogroll! bitte adresse noch auf .ch anpassen, merci!
@chm: Link angepasst, danke für den Hinweis. Und zu den Pfahlbauern: Das ist irgendwie das Problem heute – damals fiel sowas extrem auf, weils das noch nie in dieser Form gegeben hatte, heute fallen dir Perlen durch die Masche der Masse oder das Zeug wird durch irgendwelche Producer derart aufgemotzt oder das Konzept so birnenweichisiert, dass er nur noch nervt. Damit mein ich aber NICHT die Pfahlbauer von Pfyn.
Hach, waren das noch Zeiten. Mit einer gewissen Faszination verfolgte man das damals noch. Das Schweizer Fernsehen war damals mit dem Format führend in Europa. Erinnert sei etwa an die Übertragung aus dem Zirkus Knie und dem Ballet Schwanensee auf zwei Kanälen. Damals war SF noch innovativ und rannte nicht verzweifelt bereits vorhandenen Formaten nach.
Gut gebrüllt, omo… oder die Langstrassen-Repo, das Kloster, das Gefängnis Thorberg, die Matterhornbesteigung nach dem Motto Duzis mit Dölf – oder speziell für Dich die Neonatologie 🙂
Siehe auch hier…
Aha, die Schweizer Familie hatte die gleiche Idee wie ich – “Gopf, das gabs doch schon mal…” – und interviewte Heidi Huber. Artikel hier lesen!
meine Söhne haben mich auf den JacoBlök “Steinzeit” aufmerksam gemacht. Ich habe es mit grosser Spannung angeschaut und fast ein bisschen Herzklopfen bekommen. Ich bin also auch noch am Leben.
Survival-Heidi lässt grüssen! Danke für den Beitrag!
Oh, Heidi, welch Ehre! Eine Heldin meiner Kindheit 🙂 Ich hoffe, es geht Dir gut – auch ohne Würmer und Nüsse…
Wurde heute von einer Bekannten auf Deine Seite aufmerksam gemacht, vonwegen runterladen der “Steinzeitstory”….
Tatsächlich! Vielen Dank!
Es grüsst Dich Survival-Werner
Jetzt hast Du ja dann bald alle einmal zusammen…
Ja schau mal an, welche Ehre! – Was machst Du denn so heute, wenn man fragen darf?
War über 10 Jahre in Kenia. Tauchlehrer, Safaris…Familie, mit 48 Jahren das erste Mal geheiratet, 4 Kinder,…Seit Kurzem die Trennung, schade, vielleicht gehts wieder raus…Habe noch keine konkreten Projekte. “Lueget mer emol”…
Liebe Grüsse
Na dann alles Gute beim mol luege!