Warum sechs Wochen Ferien ein Muss sind

Ich bin nicht gerade für einen zimperlichen Umgang mit lethargischen Beizern oder unflexiblen Angestellten bekannt. Ich mache mich auch gern über die Franzosen lustig, die sich gern kurz nach der Geburt schon pensionieren liessen.

Warum schreibe ich denn als kleiner Workaholic, für den eine tadellose Dienstleistung den zahlenden Kunden und Kundinnen gegenüber (möglichst Tag und Nacht) das Allermindeste ist, nun voller Überzeugung einen Text für die Initiative “6 Wochen Ferien für alle”?

Nun: Abgesehen vom Motto “Wer einen guten Job macht, hat sich sechs Wochen Ferien auch redlich verdient” war der Hauptauslöser dieser “Welt”-Artikel zum Thema “Was Sterbende am meisten bedauern”: Sie hätten sich zum Beispiel gewünscht, den Kontakt zu Freunden aufrecht erhalten zu haben. Sie wären gerne glücklicher gewesen.

Und sie hätten gern weniger gearbeitet.

Nicht alle haben das Privileg, als Freelancer per Smartphone vom Skilift aus zu Arbeiten oder andere Ortsunabhängigkeitsvorteile zu geniessen. In vielen Branchen ist das völlig unmöglich. Man kann nicht auf den Malediven die Bundesgasse wischen oder von Buenos Aires aus an einer Kundin Mass nehmen.

Viele Firmen und Verwaltungen, bei denen das klappt, erlauben heute Telearbeit. Das ist gut so. Vor einigen Jahre hätte ich vielleicht gesagt “Klar, sechs Wochen Ferien, gern – aber dann mit dem Zückerchen seitens der Angestellten, dass sie in den zwei Zusatzwochen in Notfällen erreichbar sind und auch mal was Kleines abliefern.”

Allerdings kenne ich inzwischen genug Leute, die ein Burnout hatten. Auch darum begrüsse ich die Ferieninitiative: Es tut gut, manchmal abzuschalten. Und viele brauchen – auch wenns paradox ist – etwas Zwang zum Nichtstun. Sechs Wochen Doltschövarniendö sind erholsamer als deren vier.

Und in dieser Zeit sollten jene, die das wollen, auch 100% unerreichbar sein dürfen. (Dagegen sollte man allerdings auch jene, die die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit völlig verwischen oder die andere Schlafrhythmen haben als die Mehrheit, nicht als schräge Vögel anschauen – sagt einer, der schon immer lieber 24 Stunden erreichbar war als Blockzeiten abzusitzen.)

Klar gibts auch andere Modelle: “Weniger Lohn, mehr Ferien” zum Beispiel. Ich schätze die unternehmerische Freiheit hoch. Die einzige Einschränkung, die ich machen würde, wenn es nur ehrliche Vorgesetzte auf dieser Welt gäbe, wäre: “Vier Wochen haben alle auf sicher, alle mit der zweitbesten Quali-Note bekommen einer Woche mehr und alle mit der besten Note bekommen zwei Wochen mehr.”

Aber Spass beiseite, leider wäre dies allzu willkürlich: Es ist gut, wenn es gewisse Leitplanken und Grundsätze gibt. Und dieser Grundsatz soll lauten “6 Wochen”, punkt. Alle sollen in den Genuss von mehr frei einteilbarer Zeit kommen, auch diejenigen mit Arbeitgebern ohne spezielle Modelle.

“Und wie sollen wir das bezahlen?” ächzen jetzt viele. Uff!

Die Frage nach der Finanzierung zusätzlicher Ferienwochen geht in eine ähnliche Richtung wie die Frage, ob man AKWs laufen lassen soll oder nicht: Genau so wie eine Energieform nicht in Frage kommt, die ganze Landstriche auf Jahrhunderte unbewohnbar machen kann, genau so wenig kommt es in Frage, aus finanziellen Gründen gegen die Ferieninitiative zu sein. Da stehen schlicht höhere Werte auf dem Spiel.

Damit zurück zum “Welt”-Artikel:
Es geht um das einzige Leben, das wir haben.

Das einzige Leben, in dem wir den Planeten und seine Menschen entdecken können. Das einzige Leben, indem wir mit unseren Liebsten zusammen sein und die gemeinsame Zeit auskosten können. Das einzige Leben, in dem wir Projekte abseits des Jobs in Angriff nehmen können. Das einzige Leben zum Freundschaften pflegen. Verwandte besuchen. Die Natur geniessen.

Ausgerechnet wir in der steinreichen Schweiz wollen uns das nicht leisten können? So ein Quatsch.

Scheisset auf Statistiken und internationale Vergleiche – und formuliert lieber flammende Plädoyers für mehr Quality Time in diesem unserem einzigen Leben, das uns geschenkt!

Ich bin optimistisch, dass wir nicht das einzige Volk auf der Welt sind, das die Chance, hat, sich mehr Ferien geben kann – und so bescheuert sind und dagegen stimmen.

Und wenns noch zwei Poltersprüche sein dürfen zum Schluss: Erstens sollte man die Lohnexzess-Initiative im Nachhinein noch etwas verschärfen können und sagen, dass die nach einer Annahme frei werdenden Geldbeträge dazu verwendet werden, sechs Wochen Ferien zu finanzieren. Und zweitens: Gebt das Geld für diese beknackten IKEA-Kampfflugzeuge doch gescheiter für gleich sieben Wochen Ferien aus.

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