Driving Home For Christmas à la Liricas Analas

Die unvermeidliche Vorweihnachtsgrippe ist überstanden, die letzten Rechungen verschickt, die wichtigsten Projekte abgeschlossen, die Pendenzenliste angenehm leer, die Inbox vom Datenmüll befreit – jetzt gibts nur noch eins:

Driving Home For Christmas.

Nach Hause heisst für mich vielerlei. Bern, Ungarn, das Baselbiet – vor allem aber Sedrun, das Val Tujetsch, der oberste Teil der Surselva.

Wenn ich während der Weihnachtstage und über Neujahr nicht in Sedrun sein könnte, wäre das wie Knast für mich. – Wieso? Schwer zu beschreiben. Aber das gehört wohl zur Begriffsdefinition von “Heimat”. Plötzlich versteht man die Walliser, die es ständig heim zieht, zumindest ansatzweise.

Liricas Analas haben dieses Gefühl vor einem Jahr treffend auf den Punkt gebracht, als sie einem “Spiegel-Team” ihren Song “a casa” erläuterten, die Beschreibung eines Lebensgefühls, einer Reise von Chur hinauf ins Oberland.

In eine Gegend, wo man umgehend in Sippen eingeordnet wird und nicht mehr einfach Andi ist, sondern “ah, de vom Hans”. Wo man täglich mehreren Verwandten begegnet, die man gar nicht persönlich kennt. Wo man weiss, wer gestorben ist, wenn die Kirchenglocken läuten, die noch genau gleich tönen wie 1975. Wo man sich grundsätzlich mit “tschau” grüsst. Wo der Grossvater Specksteinöfen gebaut und einen Kiosk betrieben hat. Wo das Knarren im Gebälk des Holzhauses wie Musik tönt. Wo man die ersten Schwünge in den Schnee gelegt hat. Wo einem die Seelen der verstorbenen Verwandten tragen, von Onda Carlina bis Tatta Antonia. Wo man am Morgen einfeuern muss, um warm zu haben, und das Feuer so wunderbar knistert. Wo man selbst bei allem ein Auge zurdrückt, das einem provinziell, konservativ und vetterliwirtschaftlich erscheint. Wo Baseli am Skilift die Bügel gibt, einen am Abend gern in seinem Stall begrüsst und dessen Sohn einem noch schell die neuste Nikon D300 vorführt. Wo einen die Beizerin per Handschlag begrüsst. Wo das Hahnenwasser einfach gut schmeckt. Wo die Hirschwurst vom Curschellas, die Patisserie von Schmids und der Geisskäse aus der Centrala da Latg Grundnahrungsmittel sind. Wo das Hauptthema im Winter die Pistenverhältnisse, wo die Strassen schneebedeckt sind.

Und wo im Gegensatz zum Alltag im Unterland einfach möglichst vieles so bleiben soll wie es ist.

So lege ich mich wieder für zwei Wochen in den Schoss des Badus und an die Brust von Cuolm Val, atme in schneeglitzernden Vollmondnächten die eiskalte Tujetscher Luft ein, schwebe carvend durchs Val da Stiarls und fühle mich danach geerdet und aufgetankt.

Wenn es einen Kraftort gibt, dann ist er hier. Zwischen Tgom und Culmatsch, zwischen Bugnei und Calmut.

Daheim. A casa. Badus, Piz Tuma, Pazzola - Cuolm Val am kürzesten Tag des Jahres, 21. Dezember 2007

A casa, home, daheim: Badus, Piz Tuma, Pazzola – am kürzesten Tag des Jahres von Cuolm Val aus gesehen.

8 Kommentare

  1. Sehr geehrte Dame, sehr geehrter Herr
    Sie haben 2 Fotos von alten heimeligen Kioskhäuschen. Da ich ein humorvolles Erinnerungsbuch schreibe, darin eine Kurzgeschichte über einen Kiosk vorkommt, wäre ich ihnen sehr dankbar, eines dieser Bilder verwenden zu dürfen.
    Natürlich nicht ohne Ihr Einverständnis.

    Mit freundlichen Grüssen
    heinrich Badertscher

  2. …jeder Tujetscher der im Unterland wohnt und evtl. sogar aufgewachsen ist und diesen Text liest ohne nasse Augen zu bekommen, ja dan weiss ich auch nicht….

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