Vom Stotter-Referat zum Science Slam

Es gab mal Zeiten, da sass ich als frischgebackener Geschichtsstudi in einem Proseminar, und der Dozent gab bekannt, dass er heuer erstmals keine handgeschriebenen Proseminararbeiten mehr akzeptieren würde – nur noch Schreibmaschine oder Computer!

Brutale News für etliche Teilnehmende. Denn einen Compi besass im Herbst 1993 kaum jemand, schon gar keinen portablen. Manche hatten nicht mal eine Schreibmaschine. Die Rettung: In der brandneuen Unitobler hatte es einen kleinen Raum mit einem Dutzend lahmer Macs. Aber wie bediente man denn diese Dinger mit Bildschirm…?

In die papierne Legi klebte man Semestermarken, Handys oder Internet gabs nicht, immerhin konnte man die brandneue Erfindung “CD-ROM” (nebst Karteikarten und ein kompliziert via Tastatur zu bedienendes System namens “BerNi” – Berner Netz für Information) zur Literaturrecherche benutzen. Die wertvollen CDs gabs an der Bibliothekstheke.

In dieser Zeit waren viel zu klein handgeschriebene Proki-Folien und unverständliche Stotterreferate mit möglichst vielen Fremdwörtern Mode. Es dauerte eine Weile, bis ich als Jüngling den ganzen Bluff durchschaut hatte.

Als jemand, der möglichst sinnvoll und auch ein wenig spassmachend gestaltete Papers verteilte, galt man im Elfenbeinturm als verdächtig. Schnell merkte ich, dass die nasenrümpfende professorale Aussage in einem Staatsrechtsseminar “Das war nun ein wenig zu journalistisch” eigentlich als Kompliment zu verstehen war: Ich hatte einen Vortrag gehalten, den man tatsächlich auch verstanden hatte!

Gar wütend wurde eine Dozentin, da ich mich Ende der 1990er-Jahre der ach so praktischen Erfindung “E-Mail” bediente und einem kanadischen Professor direkt Fragen zum Text stellte, den ich der Runde vorstellen sollte. “Was erfrechen Sie sich, diesem Kollegen einfach zu schreiben?” – Der Prof selbst fand das natürlich alles andere als schlimm, er war sogar erfreut, dass wir aus seinen Werken lasen und gab bereitwillig Auskunft. “If you have any further questions, don’t hesitate to contact me again, I’ll be happy to assist you.”

Totenstille herrschte, als ich mich in einer Geschichtsübung im Rahmen einer Referatskritik zu dieser Bemerkung hinreissen liess: “Das war inhaltlich sicher fundiert, aber etwas langweilig – wie bei einem schönen Musikstück hätte es beim Referat einen Produzenten gebraucht, der das ganze etwas aufgepeppt hätte: Lebendiger vorgetragen, lesbare Folien, vielleicht auch mal ein Bild.” Das war pure Ketzerei!

Kein Wunder, verliess ich die Uni ohne Hauptfachabschluss, aber mit einem ausgezeichneten Beziehungsnetz.

Zurück ganz an den Anfang, um den Bogen zu heute zu schlagen.

Im Wintersemester 1993/94 fasste ich in besagtem Proseminar den Auftrag, Erstaugust- und Erstmaireden 1932 und 1937 miteinander zu vergleichen. Grob gesagt lautete die These: Auch die Linken bauten bis Ende der 1930er-Jahre unter der faschistischen Bedrohung eine Patriotismusrhetorik auf.

Dies sollte ich im Zweierteam mit Nicola von Greyerz untersuchen – ein Glücksfall, denn Nicola wurde sowas wie meine Bern-Initiatorin. Ich war komplett neu in der Stadt. Nicola erzählte dem Baselbieter Landei nebst unseren wissenschaftlichen Forschungen, was wie wo läuft in der Stadt. Dafür bin ich ihr noch heute dankbar.

Heute ist Nicola die Frau, die der Welt aus dem Uni-Generalsekretariat heraus zeigt, dass die Zeit der zu klein geschriebenen Folien und Stotterreferate endgültig vorbei ist und dass Wissenschaft auch Spass machen darf: Gestern Abend fand im Schlachthaus der zweite Berner “Science Slam” statt. Nachwuchsforscherinnen und -forscher präsentieren auf möglichst coole Art ihre Forschungsgebiete, das Publikum verteilt Noten.

Schon vor der Veranstaltung war die Chef-Organisatorin mit viel Elan an der Sache (ich musste zwar versprechen, keine kompromittierenden Bilder aus den frühen 1990ern zu zeigen, aber sooo schlimm ist das ja auch wieder nicht, ich habs extra extrem verkleinert)…

Nicola kurz vor dem Start des Science Slams - und anlässlich des Blökers Geburtstagsparty anno 1996

… und notierte während des Slams die Punktzahlen, während ein gewisser Mr. Spacefreak in seinem Heini-Hemmi-Schnäbi-immer-sichtbar-Rennanzug einen bisweilen etwas grenzwertig exaltierten Rahmen lieferte:

Berner Science Slam 2011

Das Gezwitscher des Abends ist hier abrufbar.
Weitere bebilderte Eindrücke aus der zweithintersten Reihe:

Berner Science Slam 2011

Bloggerlegende Habi hätte für seine Einblicke in die Lunge definitiv mehr Punkte verdient gehabt!

Berner Science Slam 2011

Nice try mit der EEG-Kappe, rhetorisch noch etwas wacklig: Mara

Berner Science Slam 2011

Dimitri machte den Anfang und holte mit 52 Punkten gleich Rang zwei

Berner Science Slam 2011

Der spätere Sieger Daniel bekam 56 von 70 möglichen Punkten aus dem Publikum – Spielzeug fasziniert halt, auch wenn man am Schluss (wie bei den meisten anderen Produktionen) nicht so recht wusste, wozu seine Forschungstätigkeit denn konkret dient.

Berner Science Slam 2011

Der ganze Slammerjahrgang 2011

Fazit des Abends: Der Science Slam hat Spass gemacht, das Interesse war gross, das Schlachthaus restlos ausverkauft. Aber wir sind hier halt in der gemütlichen und präsentationstechnisch immer noch nicht sooo ganz peppigen Schweiz – und so müssen noch ein, zwei weitere Ausgaben über die Bühne gehen, bis sich der Slam grenzenlos unterhaltsam anfühlt und auch mal die Maximalpunktzahl vergeben wird.

Fast alle Präsentationen hatten gute Ansätze, einige waren sehr gut – aber vielleicht muss sich noch so etwas wie eine Science-Slammer-Sprache entwickeln.

Doch der Grundstein ist gelegt, darauf lässt sich aufbauen!

Das nächste Mal mit den Wissenschaftlern auf Tuchfühlung gehen kann das breite Publikum übrigens am 23. September an der “Nacht der Forschung“.

3 Kommentare

  1. Bloggerlegende? Dankeschön!
    Und auch danke für die von dir gesprochenen Punkte für meinen Vortrag, wenigstens virtuell.
    Und schade haben wir uns nicht richtig gesehen, scheinbar bewegen wir uns aber immer in ähnlichen Regionen. 🙂

  2. In Basel war schon der erst Science Slam besser; der Berner Sieger, der dort ebenfalls antrat, hatte dort keine Chance auf den Sieg. Dafür war die Moderation & Rahmenprogramm in BS so mies, dass man Bern nur gratulieren kann in dieser Hinsicht 🙂

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