Vor 50 Jahren: Die erste Tonaufnahme

Genau heute vor 50 Jahren begann meine tönende Existenz – jedenfalls wurde am 12. Oktober 1975 meine Stimme erstmals auf Magnetband gebannt.

Das Philips-C-60-Tape beschriftete ich wenige Jahre später mit “Ehe”, weil das für mich die phonetische Umsetzung meines Gezeters war (“Wääähhhäää”), das ich während eines Bades mit Papa und Grossmama losliess:

Some things never change: Schon mit drei Jahren war ich ein elender Stürmi – und wollte ins Dulezi. Zur Erklärung: Das Band wurde in meiner Heimat Sedrun aufgenommen, das Café Dulezi war bis vor kurzem einer meiner Lieblingsorte. Heute ist es der Verkaufsladen von “La Conditoria SEDRUN-SWITZERLAND®”, quasi der Nachfolger der Bäckerei Schmid, dessen Webauftritte ich seit fast 20 Jahren betreue.

Das Dulezi mochte ich offenbar schon 1975, wie dieser Ausschnitt beweist – ich werde von Grossmama (Tatta) und meinem Vater gebadet, und unter anderem gehts darum, dass ich vehement behaupte, Tatta nicht gern zu haben (“Has bugien la Tatta? – Na.”). Begründen mag ich das aber partout nicht. Zudem frage ich ständig, wann ich nun endlich am Radio komme – das R konnte ich damals aber noch nicht aussprechen, also hiess das “Andialadio”. Und ich beschwere mich, dass jemand meine Spielzeug-Eisenbahn zerstört habe (“Tgi ho fatg kaputt la Ysebahn?”).

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Bei allen deutschen Einstreuseln: Schön wärs, wenn ich immer noch so gut Rätoromanisch bzw. Tuatschin könnte. Heute verstehe ich selbst kaum mehr, was ich da alles gestürmt habe. Mit meiner Mutter sprach ich aber Ungarisch; Deutsch konnte ich erst gebrochen und mit starkem ungarischem Akzent. Eines muss man meinen Eltern ja lassen: Das war alles pädagogisch sehr geschickt, danke 🙂

(Bild: Rund zwei Monate nach den Tonaufnahmen, Weihnachten 1975)

Hier versuchen sie, unter dem Protest meiner Urgrossmutter mich zum Deutschsprechen zu überreden, ich wehre mich aber auf Ungarisch und Romanisch mit Händen und Füssen, beginne verlegen am Mikrofon rumzufummeln und kassiere prompt einen Zusammenschiss. Zu Beginn verkündet meine Mutter – der Archivar freut sich – das aktuelle Datum.

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Die Rede ist auch von “Onda Carlina” (1901-1994). Das war meine Lieblingstante. Nicht nur, weil sie mir immer einen Fünfliber zusteckte, wenn ich sie besuchen ging und bei ihr schon als Kind “Tatort” schauen und Bergamotte-Rhäzünser à discretion trinken durfte. Ich habe sie als sehr herzlich in Erinnerung. (Bildquelle: Genealogia Tujetsch)

Was ich damals noch nicht so recht checkte, war, dass man zuerst was aufnehmen musste, um es anzuhören. Unablässig frage ich: “Jön most az Andi a ladióban?” (Kommt jetzt Andi am Ladio?) – trotzdem war ich schon anno dazumal belehrend – auch wenn ich “aufnehmen” mit “aufstellen” verwechsle und das Wort fröhlich mit ungarischer Grammatik versehe (“ufstellészni”), will ich Mama weismachen, dass sie den Schalter hinunterschieben müsse (“akkor rà? be kell schaltészni oda”), wenn sie was aufstellen… aufnehmen wolle.

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Das beinahe schon besessen klingende “Andi kommt am Radio” aus dem Munde des Dreijährigen deutet definitiv auf den Wunsch hin, das einmal beruflich zu machen. Wer hätte gedacht, dass es 13 Jahre danach so weit sein würde?

Seilbahnen fand ich auch schon recht cool – hier suche ich, wieder auf Rumantsch, am gegenüberliegenden Hügel namens “Tgom” die rote Seilbahnkabine, die doch leider soooo selten unterwegs war. “La cabina dal Tgom” ist allerdings noch etwas schwierig, daraus wird – bestechend einfach – “cabina da do”. Die Kirchenglocken tönen übrigens heute noch genau gleich. Immer wieder ein wunderbar heimatlicher Klang, auch wenn man mit der Kirche nichts am Hut hat.

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Bei all dem Sprachenwirrwarr ist es beruhigend, dass ich auch die internationale Sprache der Musik beherrsche. Und das äusserst virtous:

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Ach ja, fast vergessen – der muss noch sein. Mein erstes Interview, mit meiner Mutter, wie es sich gehört. Und eine Hommage an meine Urgrossmutter, hier etwa zur selben Zeit fotografiert:

Auf der einzigen existierenden Aufnahme von “Mati” liest sie aus einem ungarischen Heft vor:

(Lieber in eigenem Player hören – MP3, 450 KB)

Es geht um die idyllische Beschreibung der Insel Korfu und die Herstellung von Olivenöl. Dass wir Jahrzehnte später unser eigenes huile d’olives produzieren würden? Damals unvorstellbar.

Im ungarisch geführten “Interview” mit mit meiner Mutter geht es um archäologische Ausgrabungen in Twann. Sie war damals Studentin und half dort mit, von Hand und später dann auch bei den Auswertungen. Der Dialog geht etwa so: “Wohin geht Mama”? – “Nach Twann.” – “Was macht sie dort?” – “Graben.” – “Was gräbt sie?” – “Neolithikum”.

Zumal ich das natürlich nicht verstehe, werde ich zickig und beantworte alle folgenden Fragen mit “nichts” oder “niemand”. Dass ich hier mit der späteren führenden Archäobotanikerin Europas spreche, die u.a. Ötzis Mageninhalt mit analysiert hat, war mir offenbar noch nicht ganz klar 😉

“Twann” ist zugleich eine meiner frühesten Kindheitserinnerungen (der ADB möge mir den Copyrightverstoss verzeihen):

… genau da warf ich Steine in eine Pfütze und zerstörte wertvolle Kulturschichten, als ich meine Mutter auf der Rettungsgrabung (anlässlich des Baus der Nationalstrasse N5 am Bielersee) besuchte. Hier hat es weitere Fotos aus dieser Zeit und Informationen zu den Pfahlbau-Funden.

Meine Haarfarbe schien damals zwischen blond und braun hin und her zu wechseln, bis sie sich dann für die dunkle Variante entschieden hat. Hier noch ein paar Fotos aus den Jahren 1975 und 1976.

Und noch etwas ganz anderes.

Auf der B-Seite der Cassette ist ein Fest mitgeschnitten worden, das den Geist der 1970er-Jahre voll trifft. Archäologie-Studis (also vereinfacht gesagt ein ziemlich langhaariger, subversiver Haufen) machen Musik mit Münzen, Flaschen, Löffeln und einer Gitarre.

(Lieber in eigenem Player hören – MP3, 29 MB )

Und da ist noch ein von Patricia Geissler gesprochener Radiobeitrag erhalten, der 1975 auf DRS1 ausgestrahlt wurde. Die Botanikerin und Freundin meiner Mutter kam vor 25 Jahren bei einem Velounfall viel zu früh ums Leben. Ihr sei dieses vermutlich ansonsten verschollene Tondokument am Schluss dieser kleinen Zeitreise gewidmet.

(Lieber in eigenem Player hören – MP3, 8 MB )

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