Vorbei ists mit der Ruhe im Zug

Wenigstens im Ruheabteil war es bisher möglich, einigermassen ungeschoren vor den Auswüchsen der immer egomanischer werdenden Gesellschaft zu reisen, wenn man das Bedürfnis hatte, in Ruhe zu lesen.

Oder wenn man grad wieder mal Kopfschmerzen hatte, einen das Klopfen der Bässe aus einem Walkman-Kopfhörer nervte oder man keine Lust hatte, in voller Lautstärke telefonierende Teenies anzuhören, die irgend einen hanebüchenen Müll (wie hier exemplarisch dokumentiert) von sich geben.

Ich habe die Ruheabteile vergleichsweise selten genutzt – eigentlich mag ich es, beim Reisen zum Fenster hinaus zu schauen, Gesprächen zu lauschen, Geräusche aufzunehmen, “im Pulk zu sein”. Aber wenn ich einmal Ruhe wollte, war ich heilfroh, dass ich in den Ruhewagen sitzen konnte.

Sackschwach, wenn die SBB nun wieder die freie Wilbahn einführt anstatt Personal anzustellen, das in der Lage und Willens ist, den Inhalt ganz einfach verständlicher Piktogramme durchzusetzen. Immerhin wars in den Ruheabteilen meistens ruhiger als sonst, auch wenn sich selten alle an die Maxime des Mundhaltens hielten.

Was der Blöker in diesem Zusammenhang schon lange gut fände: Eine SMS-Nummer, an die man aktue Probleme mit laut musikhörenden Teenies, Bettlern usw. senden könnte à la “Senden Sie ZUG, gefolgt von der Mitteilung, an 333” – da könnte man melden, in welchem Zug und Wagen man sitzt und was das Problem ist.

Die Zentrale leitet akute Probleme umgehend dem Zugpersonal weiter, das sich dahin begeben kann. Einigermassen aufmerksame Passagiere können sich die Wagennummer merken und kennen allenfalls gar die Zugnummer oder können zumindest sagen “IC 17.02 BE-ZH, zweitvorderster Wagen”.

Anrufen würde man in so einem Fall selten, und Reklamationen direkt vor den “Verursachern” führen mitunter dazu, dass man am Zielbahnhof blöd angemacht oder gar verprügelt wird. Ein SMS ist hingegen schnell geschickt und einigermassen anonym. Um die Anzahl Meldungen im Rahmen zu halten, könnte man eine vorherige Registrierung einführen oder eine Gebühr von einem Franken pro SMS.

Ich kann Erwin Haas nur beipflichten:

(…) Jetzt entledigt sich die Bahn einer kleinen, aber kundenfreundlichen Spezialität: Sie streicht uns die Ruhe. (…) Künftig wird jeder Fahrgast gezwungen, Ohrenzeuge unerwünschter Gespräche zu sein. (…) Nischen der stillen Musse sind in der Hektik der mobilen Gesellschaft gefragt. Die SBB argumentieren, die Ruhe lasse sich immer weniger durchsetzen. Das ist eine faule Ausrede. Beim Nichtrauchen ging es ja auch. (…) Dass nun ein gut genutztes Sonderangebot gestrichen werden soll, ist aber ein Armutszeugnis. Die Lösung des Problems läge darin, genügend Sitzplätze zu schaffen – auch für die wachsende Randgruppe der Ruhebedürftigen.

Ein kleines Plus an Reisequalität für den Zweitklasspöbel ist den SBB offensichtlich egal – wer Ruhe will, soll fortan erste Klasse lösen.

Liebe SBB-Verantwortliche: Verbietet wenigstens das Telefonieren und Walkmanhören in ausgewählten Zonen, damit wären wären schon 90 Prozent des Problems gelöst. Leider ist nämlich die Mehrheit der Menschheit bekanntlich dumm und weiss nicht, wie man vor dem Betreten eines Zuges das Telefon auf “Vibra only” stellt und dass man auch in ein Mobiltelefon nicht schreien muss bzw. kurz mal auf die Plattform raus kann, wenn man dringend ein längeres Gespräch führen muss – ich mache das jeweils auch so. Absolut problemlos.

Leider leben wir aber in einer Zeit, in der man vielen Menschen solche Selbstverständlichkeiten aktiv kommunizieren muss.

4 Kommentare

  1. Für eine SMS-Nummer wie oben beschrieben, da wäre ich auch dafür. Vielleicht liessen sich die SBB-Chefs dazu bewegen, wenn sie merken, dass ein entsprechendes Bedürfnis da ist. Wer würde eine (Online-)Petition oder etwas ähnliches in die Wege leiten? Vielleicht liesse sich damit etwas erreichen…

    Was die Ruheabteile anbelangt, sind die Meinungen einfach gespalten. Manche verstanden den Sinn dahinter nie, andere haben sie regelmässig genutzt. Als Zugbegleiter hatte man jedenfalls immer wieder Diskussionen und teilweise wurden die Reisenden auch ganz schön aggressiv. Bedrohungen kamen öfters mal vor, wenn mal wieder jemand den Sinn und Zweck eines Ruheabteils nicht einsehen wollte und der Meinung war, er entscheide selber, was er zu tun und zu lassen habe.

  2. Auf längeren Strecken im Ruheabteil sitzen, lesen oder arbeiten war für die letzten Jahre ein Privileg, das ich sehr schätzte. Ich erinnere mich kaum an inrgendwelche Probleme, was vermutlich daran liegt, dass ich praktisch nie volle Pendlerzüge nehme, sondern ausserhalb der Spitzenzeiten unterwegs mit.

    Der Gedanke von Andreas Hobi mit einer Online-Petition ist gut. Ergänzend sollten wir Nationalrat Ruedi Aeschbacher mobilisieren, das ist ja sein Thema. Vielleicht kann er noch etwas bewirken.

  3. Wie ich schon auf schweizweit.net gesagt habe: Ich finde, dass man das Verhalten im Ruheabteil ruhig in den Transportbestimmungen (oder wie das auch immer heisst, die AGB quasi) festschreiben soll.

    Unverbesserlichen, die sich nicht dran halten, und auch noch aggressiv werden (geits no?) wird der Fahrausweis entzogen, punkt.

    Aber gleich aufgeben und abschaffen? Nä-ä.

  4. Na, aufgeben ist eben einfacher.

    Man lässt’s schlittern, bis es zu spät ist und versucht dann mit Massnahmen, unter denen alle leiden, den Schaden wieder gut zu machen.

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