Vor 20 Jahren: O-Töne rund um Tiananmen, Solidarnosc und Gorbi

Notenabschluss-Stress dominierte im Juni 1989 das Leben des 17-jährigen Schülers: Physik- und Bioprüfungen, ein kalter Junistart mit Schnee bis 1600m, “Rubber Soul” und “The White Album” auf CD erstanden, endlich Duzis gemacht mit den Eltern der Freundin (ja, da waren noch harte Sitten damals), eine neue Pinnwand im Zimmer, neue Bettwäsche.

Im Kino laufen “Rain Man”, “Gorillas in The Mist” und “Mississippi Burning”:

Basler Kinotickets von 1989

Besonders beeindruckte ihn aber die politische Lage – das Tiananmen-Massaker nahm einen grossen Teil der Gedanken und Radiomitschnitte auf der Tagebuch-Cassette ein.

Anfang Juni 1989 sprach ich aufs Band: “Erinnerungen an den Prager Frühling werden wach, wenn ich vom Platz des Himmlischen Friedens höre. Die ganze Sauerei in China macht einem bewusst, was es heisst, wenn eine wildgewordene Meute – die Armee – auf wehrlose Studenten, aufs Volk losgelassen wird. Unser Deutschlehrer befürchtet einen Bürgerkrieg. Ich denke auch an Ungarn 1956. Erwartet uns jetzt eine Fluchtwelle aus China? Über die Ereignisse von Anfang Juni 1989 wird man in 10, ja in 100 Jahren noch sprechen. Ich versuche so viele Tondokumente wie möglich dazu zu archivieren.”

Am 4. Juni 1989 habe ich die 23-Uhr-Nachrichten aufgenommen, die Rede ist aber nicht nur von China, sondern auch von der an diesem Weekend knapp abgelehnten Kleinbauerninitiative (Bundespräsident Delamuraz versprach, mehr zum Schutz der Bergbauern zu tun) und dem Tod Ayatollah Khomeinis:

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Auch der Zusammenbruch des Ostblocks nimmt weiter seinen Lauf: Solidarnosc gewinnt die Parlamentswahlen in Polen, Gorbi und von Weizsäcker vereinbarten regelmässige Gipfeltreffen. Aber auch die 250’000 Soldaten in Peking und die internationalen Proteste gegen das Massaker sind ein Thema:

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Am 6. Juni 1989 berichtet das DRS-Abendjournal, dass in China Unklarheit über die Machtverhältnisse herrsche. Peter Achten – wer sonst – berichtet über menschenleere Strassen in der Hauptstadt und Unruhen in der Provinz. Hanspeter Trütsch – damals noch beim Radio – hat die News aus dem Bundeshaus:

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Am 7. Juni kündigt die chinesische KP Säuberungen in der Partei an. Die Schweiz verliert derweil in der Quali für die Fussball-WM 1990 gegen die Tschechoslowakei und ist damit ausgeschieden. Am 8. Juni berichtet Peter Achten über neue Kriegsrechtsdekrete, am 11. Juni wird die Festnahme von in die US-Botschaft geflüchteten Dissidenten bekanntgegeben – aber auch jüngste Gewinner eines Grand-Slam-Turniers aller Zeiten; Michael Chang gewinnt das French Open gegen Stefan Edberg:

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Ungarn erklärte den 16. Juni 1989 zum “Tag der Nationalen Versöhnung” – Imre Nagy, Ministerpräsident während des Volksaufstandes und 1958 hingerichtet, wurde rehabilitiert und in allen Ehren beigesetzt. Redner forderten an Abzug der sowjetischen Truppen aus Ungarn:

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Nur wenige Wochen später öffnete Ungarn seine Grenzen, Hunderte DDR-Bürger packten ab Mitte August 1989 die Gelegenheit beim Schopf und flohen via Österreich in die Bundesrepublik Deutschland.

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