Vor 20 Jahren: David Haselnuss nervt die Moderatoren

Wieder einmal einer zum Kaputtlachen für Mediennostalgiker: Am 4. März 1989 durfte Jungmoderator Andi erstmals eine Hitparade aus dem Glaskäfig an der Basler Mustermesse moderieren.

Damals waren Lokalradios noch was ganz Besonderes, und öffentliche Auftritte an MUBA, Herbstmesse und diversen anderen Hundsverlocheten waren ein Muss, um sich dem Publikum zu präsentieren – ungeachtet der Tatsache, dass die Tonqualität in den nicht schalldichten Glaskästen der blanke Horror war:

(Lieber in eigenem Player hören – MP3, 7.4 MB)

Ein paar Erinnerungen dazu (über die seltsamen Signete und ellenlangen Moderationssermone verliere ich jetzt mal kein Wort): Die Lokalradios und Radio DRS hatten anno dazumal eine Art unheilige Allianz, viele kleine Stationen übernahmen stündlich die DRS-News und -Journale; heute undenkbar. Gegen Ende der 80er erwachte aber seitens SRG der Widerstand, und man versuchte, mit Schikanen die Lokalen zum Absprung zu bewegen.

So mussten wir bei Radio Raurach während einiger Wochen vor und nach den DRS-News auf Wunsch der nationalen Kette ein ekelhaftes Signet spielen, das die Abgrenzung zwischen DRS (gut) und Lokalradio (böse) hervorheben sollte. Später konnten wir uns dieses Fremdkörpers irgendwie wieder entledigen.

Interessant: Schon damals war das Thema Lebensmittelkontrolle ein Thema – nach öffentlichen Listen schrie aber vor 20 Jahren noch niemand. Sinnigerweise war in der zweiten Meldung noch von “BRD” die rede – und im Frühling deutete auch noch kaum etwas darauf hin, dass es sieben Monate später faktisch keine DDR mehr gäbe.

Musikalisch los ging die MUBA-Hitparade mit “Holding on” von Steve Winwood, der seinerzeit mit der LP “Roll With it” einen Grosserfolg feierte. Der Versuch einer niveauvollen Neuvorstellung inmitten von seltsamer Musik, die sich “Acid House” nannte – ein brandneuer Stil! 1989 war nicht nur eine Zeitenwende in der Weltpolitik, sondern auch in der Musik; mit Neneh Cherry (“Buffalo Stance”) hielt diesen Frühling radiokonformer Hip Hop in der Hitparade Einzug, und elektronische Musik wurde so richtig salonfähig.

Acid House…? Der 17-jährige Hitparadenmensch keine Ahnung, wie man das ausspricht; er war einfach froh, dass er ein Neongelbes T-Shirt mit Smileys und diversen Ornamenten trug, dazu Neon-Schuhbändel… was aber den Chef gar nicht erfreute, hatte er doch ein Einheitstenue für das RaRa-Team vorgeschrieben.

Mai 1989: Der Verfasser dieser Zeilen im typischen Look der ausgehenden 1980er-Jahre (Foto: Valérie Gysi)

(Unter uns gesagt: Bitte rechnet es dem Abgebildeten hoch an, dass er dieses Horrorbild freigibt.) – Vier Tage später durfte ich noch eine Mittwochnachmittagssendung machen und unter anderem John Brack interviewen – nicht dass mich das hochgradig erfreut hätte, aber das damalige Musikkonzept sah zwei Countrytitel pro Stunde vor. Natürlich hielten wir uns nur selten an die Vorgabe – die Musik kam ja noch nicht ab Computer, sondern ab Vinyl. Auch den Leiter des neuen Orchesters Basel durfte ich im Studio begrüssen – er ist heute noch aktiv.

Bei diesem Ausschnitt fällt zu Beginn vor allem die hochinteressante Themenwahl bei den Regionalnews auf, dazu die flüssigen Formulierungen, der astronomische Zinssatz für Kassenobligationen von über fünf Prozent und eine uuaaargh-Interviewtechnik (mit läutenden Telefonen im Hintergrund). Aber hey – wir hatten Erfolg, das war die Hauptsache:

(Lieber in eigenem Player hören – MP3, 6.4 MB)

Die grossen Hits damals waren “Way to Your Heart” von Soulsister, “Something’s Gotten Hold Of My Heart” von Marc Almond und Gene Pitney, “Straight Up” von Paula Abdul, “She Drives me Crazy” und wenig später die Nachfolgesingle “Good Thing” von den Fine Young Cannibals, “Love Train” von FGTH-Frontmann Holly Johnson, Neneh Cherry mit “Buffalo Stance”, Guns N’ Roses mit “Paradise City” – und gaaaaanz gross die erste Single aus der brandneuen gleichnamigen Madonna-LP “Like A Prayer”.

Eine weitere Entdeckung, die dazu reizte, die damaligen technischen Möglichkeiten in einem Radiostudio auszunützen (sprich: langsamer und schneller laufen lassen, Hall dazugeben), war “Help” von Bananarama & Lananeeneenoonoo:

(Lieber in eigenem Player hören – MP3, 1.8 MB)

Aus dem Film “Rain Man” schafften es The Belle Stars mit “Iko Iko” in die Hitparade, auch die Simple Minds waren wieder da – mit “Ballad Of The Streets”. Hier die Hitparade von Ende Mai 1989.

Roxette markierte mit “The Look” den Beginn einer sehenswerten Karriere – dummerweise hatte an jenem Tag jemand die LP mit nach Hause genommen (oder so), und drum konnten wir sie in der Hitparade nicht spielen. Ja – das gabs tatsächlich, am 6. Mai 1989:

(Lieber in eigenem Player hören – MP3, 500 KB)

Nie in die Hitparade kamen leider Perlen wie “The Chosen Ones” der Black Sorrows oder “The Beaten Generation” von The The:

YouTube-Video: The The, The Beaten Generation, Frühling 1989

My Brave Face von Paul McCartney (deutlich hörbar mitgeschrieben von Elvis Costello) schaffte es zwar in die Hitparade, jedoch nur gerade auf Platz 25 – schade!

Nebst Madonna und den Simple Minds war eine weitere junge Künstlerin aktiv, die uns heute noch ein Begriff ist: Kylie Minogue, damals 21-jährig und noch unter den Fittchen der Retortenproduzenten Stock Aitken Waterman. Ihre neue Single hiess “Hand on your Heart“.

Ah, à propos SAW – hier noch ein klein wenig Mode von vor ziemlich genau 20 Jahren: Hochwasser und Stonewashed. Das Bild entstand Ende Mai 1989 auf einer Gymer-Reise nach Luxemburg, von der hier noch mehr zu lesen ist. In der Jugi schauten wir uns auf dem Videoclipsender “Super Channel” das Donna-Summer-Video Donna “This Time I Know It’s For Real” an – der Ausschnitt mit den beiden Beinen ist hier bei Timecode 0:40 zu sehen.

Damit aber endgültig zu David Haselnuss, pardon, Hasselhoff: Im Mai 1989 eroberte der Baywatch-Held Platz eins der Singlehitparade und blieb 32 Wochen in den Top 30, zum Leidwesen zahlreicher Moderatorinnen und Moderatoren.

Musste das sein? Als Knight-Rider-Michael, der mit seinem Auto sprach, mochte ich ihn wenige Jahre zuvor noch sehr, aber umshimmelsgottswillen, wieso musste er nun singen und sich von Jack White produzieren lassen, der schon Engelbert zu zweifelhaften Hit-Ehren verholfen hatte? Horror.

Das schrie nach zivilem Ungehorsam. Am 6. und 20. Mai 1989 war ich noch ganz brav…

(Lieber in eigenem Player hören – MP3, 1.7 MB)

… liess mir aber für den 27. Mai was richtig entlassungswürdiges einfallen und spielte den Song mal rückwärts, mal zu schhnell, mal zu langsam, mit verschiedenen Scratch-Einlagen, Einschüben von volkstümlichen Schlagerlieder, Ländler und angereichert mit der psychedelischen Auslaufrille von Sgt. Pepper. Der arme Redaktor Marcello musste draussen auf der Redaktion zig erboste Anrufe von Hasselhoff-Fans entgegennehmen, ich selbst wurde am Telefon aufs gröbste beleidigt. Und natürlich am Montag zum Chef zitiert.

Räusper… ich würde es heute noch genau gleich machen.

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