Mehr zufällig verbrachte ich letzte Woche drei schöne Tage in Arolla – mein ältester Kumpel und seine beiden Teenagersöhne (einer davon mein Göttibub) schlug für unsere traditionellen Männerskiferien zu viert den Ort am A… der Welt vor, im südlichen Wallis, umgeben von Fast-Viertausendern.
Zumal ich “Swiss Historic Hotels” schätze, war ich happy, als er als Unterkunft das “Grand Hotel et Kurhaus” vorschlug. Und aufgrund früherer Berichte war ich auch begeistert von der Tatsache, mitten in den Hochalpen noch ein Gebiet für diese Blog-Serie zu finden.
Ein gewiefter Skiliftforen-User prophezeite anno 2006, dass es dieses Gebiet südlich des Val d’Hérens nicht mehr lange geben würde – da hatte er für einmal nicht ganz Recht. Dieser Satz stimmt aber nach wie vor: “Hier hinten ist die Zeit stehen geblieben.”
Zumindest gilt das für Hotellerie, Skilifte und auch die Gastronomie: Das Grand Hotel Kurhaus von 1898 zum Beispiel…
… ist nett, aber das Preis-/Leistungsverhältnis stimmt heute bei weitem nicht. Vieles wurde wohl in den 1960ern/1970ern kaputtsaniert; einige Zimmer haben durchaus Charme, sind aber klein und sehr einfach, ein paar grössere Räume sind wunderschön – doch vieles wirkt etwas lieblos, das Essen ist überteuert und der Service chaotisch (z.B. drei Versuche beim Checkin, die korrekten Zimmer zu bekommen, Schlüssel zu schon besetztem Zimmer erhalten, Nachfüll-Probleme beim Frühstück usw.).
Immerhin: Das Haus steht malerisch in einem Lärchen-/ Arvenwald (“Arolla” ist vom lokalen Wort für Arve abgeleitet) und man kann fast direkt auf die Piste.
Die Restauration auf der Piste ist rustikal; ausser viel Käse und (schmackhaften) kalten Platten, Suppen und gummigen Hotdogs gibt’s wenig Erspriessliches – einzig “La Chotte” am Ziehweg zum Dorf gibt sich mit den Burgern etwas mehr Mühe. Nach dem Abendessen in einem anderen Haus im 50-permanente-Seelen-Kaff (mit vielen zerfallenden Gebäuden aus den Anfängen) hatten wir eine Magenverstimmung.
Die Frage ist allerdings, ob die Klientel hier wirklich mehr erwartet. Berggängige Familien aus der Westschweiz, bei denen schon die fünfjährige Tochter Tourenski hat, Grossfamilien aus Holland und Belgien, Hochalpin-Freaks aus der halben Welt mit Profi-Ausrüstung, ältere Paare, die keine 6er-Sesselbahnen brauchen, Schneeschuhwanderer, Langläuferinnen… Menschen, die vor allem die Berge, Gletscher und Abgeschiedenheit schätzen…
… und keinen Rummel wollen. Bis in die 1960er-Jahre war Arolla ab dem letzten grösseren Ort im Tal (Les Haudères, ab Sion 50 Minuten per Postauto) nur per Maultierpfad erreichbar.
Heute legt das Postauto die elf Kilometer ab Les Haudères in 25 Minuten zurück – auf einer inzwischen ordentlich ausgebauten Strasse, die wir dem Grande-Dixence-Kraftwerk ein Tal weiter westlich verdanken (auch aus Arolla wird Wasser rüber gepumpt). Erst seit dem Winter 1968 ist die Strasse das ganze Jahr über offen. Damals taten sich die Hoteliers zusammen, gründeten eine Skiliftgesellschaft – und die ersten Poma-Schlepper wurden aufgestellt. Und ja, genau die gleichen alten Arbeitspferde stehen noch heute.
Bis 1982 war auf 2450m Endstation – erst dann kam der Skilift “Fontanesses III” dazu, der bis 2860m rauf führt.
Gar erst anno 2000 wurde die Beschäftigungsanlage “Remointze” gebaut, allesamt von Poma, was das Gebiet zum einzigen hierzulande macht, dass nur aus Tellerliften französischer Bauart besteht.
Die erste Sektion kann seit einigen Jahren künstlich beschneit werden.
Es hätte auch anders kommen können: In der Frühzeit wollte man eine Seilbahn auf die fast 3800m hohe Pigne d’Arolla bauen, Ende der 1970-er standen zwei Sesselbahnen zur Diskussion. Zum Glück hat man das alles sein lassen, auch wenn die Grenobler Tinguely-Schlepper bisweilen ausfallen und fröhlich Öl in die Gegend tröpfeln, doch das kennt man ja von diesen Kult-Klapperdingern bestens.
Wer Skilifte hasst, sollte keinesfalls hierher kommen – die Gehänge sind allesamt so ausgeleiert, dass man jedesmal einen Katapultstart hinlegt… von 0 auf 4m/s in einer Millisekunde – und die schräge Kurve im Steilhang des ersten Liftes ist auch nur für Fortgeschrittene, sie schletzt einen ordentlich um die Ecke:
Zur örtlichen Infrastruktur: Grossverteiler sucht man hier natürlich vergeblich (Coop/Denner sind in Les Haudères vertreten), es gibt aber einen kleinen Tante-Emma-Laden. Ski mieten und Ausrüstung kaufen kann man bei Bournissen Sport – genau: die Weltcupfahrerin Chantal Bournissen stammt von hier.
Mehr ausgezeichnete Infos zu Arolla mit historischen Dokumenten gibt es auf der Website “Reontées mécaniques” – und auch in dieser Arbeit.
A propos Val d’Hérens: Leider waren übrigens die Pisten in La Forclaz geschlossen; den kultigen, steilen Tsaté-Skilift hätte ich noch so gerne besucht. Aber an den Sonnenhängen unterhalb 2000m herrscht in den südlichen Tälern Schneemangel. Schade!
Wir haben uns noch überlegt, am letzten Tag in Evolène Ski zu fahren, uns dann aber angesichts der einfachen Ski-in-Ski-out-Möglichkeiten beim Kurhaus (und der perfekten Pisten) entschieden, in Arolla zu bleiben. La Forclaz und auch Evolène gehören zum gleichen Skipassverbund “Espace Dent Blanche” – und dazu ist zu sagen, dass die Tageskarte mit 44 Franken spottbillig für das Gebotene ist. Es zahlt sich eben aus, auf teure Sesselbahnen zu verzichten.
Die Pomas aus den Jahren 1968, 1982 und 2000 mit einer Kapazität von je rund 600 Personen pro Stunde reichen selbst in der Hochsaison aus – ausser wenn am Morgen und am frühen Nachmittag der grosse Ansturm losgeht oder zwei Skischulklassen anstehen. Maximal warteten wir aber rund 8 Minuten; selbst in der Hauptferienwoche des Winters konnte man oft direkt nach vorn fahren. Und fast jeder Lift hat eine oder mehrere Kurven… das liebt der geneigte Vintage-Skifahrer!
Spannend ist die stillgelegte Anlage “La Guitza” (etwas abseits des heutigen Gebiets, aber näher am Dorfkern) die offenbar Mitte der 2000er-Jahre das letzte Mal lief. Das Lifthäuschen ist offen zugänglich und beherbergt ein kleines Industriearchäologen-Paradies: Viel Metall, viel Zurückgelassenes, aber vor allem die Skilift-Logbücher der Jahre 1990-1999 (mit Lücken).
Hier findet man auch eine tragische Erinnerung an den Lawinenwinter 1999, speziell an die grosse Lawine, die weiter vorne im Tal bei Evolène zwölf Tote gefordert hat.
Am 21. Februar 1999 lautet der Eintrag: “Ouverture, entretien piste de montée” – später von einer anderen Person ergänzt mit “Avalanche meurtrière à 20h27. J-Y et Sylvie, 2 allemands + 6 français, 2 à cotter (?)”.
Die beiden einheimischen Opfer waren Jean-Yves Anzévui und seine Verlobte Sylvie Métrailler, offenbar einem Liftwart bestens bekannt (Anzévui scheint eine bekannte Familie aus Arolla zu sein, der Gründer des ersten Hotels vor über 150 Jahren hiess auch so). Die beiden “amoureux éternels” wurden am 27. Februar 1999 beigesetzt, wie “Le Temps” am 1. März berichtet. “Le Matin” schaute 20 Jahre nach dem Unglück zurück: “Sur la route des Haudères, un véhicule communal occupé par deux jeunes fiancés de la région, Jean-Yves Anzévui et Sylvie Métrailler, était happé par la vague mortelle.”
Erst am 3. März 1999 ging der Lift wieder in Betrieb. Gegen Ende Saison häufen sich Einträge wie am 27. März: “Pas de clients comme d’habitude!!! Montée = 0” – es ist wenig verwunderlich, dass man das Gebiet wenig später auf den südlichen Einstieg bei Les Magines konzentriert hat:
Bei La Guitza endete bis in die 1970er-Jahre übrigens auch ein Skilift, der bei einem Hotel an der Hauptstrasse unten begann, aber ausser von Hotelgästen kaum genutzt wurde. Die antike Anlage (1967) mit Kurve wurde zum “Front de neige” verlegt, wo sie heute den untersten Hang separat erschliesst (mehr dazu auf “Remontées mécaniques”).
Dazu läuft parallel zum Hauptzubringer ein kurzer, langsamer Kinder-Poma am allerersten Flachstück. Für die ganz kleinen surrt ein Ponylift unterhalb der kultigen Jurten-Bar. Kostenlose Parplätze hat es im übrigen auch genug.
Fazit: Sensationell präparierte Pisten in hochalpiner Umgebung am Fuss von Fast-Viertausendern mit wunderbaren Gletschern…
… und mächtigen Moränen.
Die blaue Piste beim obersten Lift ist gemütlich, die schwarze “hintenrum” atemberaubend.
Bescheidene und etwas aus der Zeit gefallene Infrastruktur und Gastronomie – wer Abgeschiedenheit, Einfachheit und “richtige Berge” mag, ist hier am Ende der Welt genau richtig. Ebenso fühlen sich Hochtouren-Freunde und Bergsteigerinnen wohl. Erstaunlich – und schön! – dass sich so eine Station halten kann. Nachts ist es absolut still, der Sternenhimmel ist gewaltig.
Es war cool, eine mir bislang völlig unbekannte Ecke der Schweiz kennenzulernen; das welsche Wallis kannte ich bisher nur von Portes de Soleil her. Und das ist bekanntlich das pure Gegenteil von Arolla.
Alle Bilder dieser Ferien sind in diesem Album auf skiliftfotos.ch. Weitere Berichte hier und hier.
Das Video dieses Tages:
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