Untere Altstadt Bern: Verkehrsregel-Verstosszone statt Begegnungszone

Vorweg gibt es Positives zu berichten: Am Nydeggstalden wird demnächst Velogegenverkehr und Tempo 30 eingeführt, auf der Nydeggbrücke ebenso Tempo 30 – nur, in der so genannten (aber miserabel signalisierten) “Begegnungszone Untere Altstadt” haben die Fussgängerinnen und Fussgänger weiterhin nur in der Theorie Vortritt.

Es braucht wenig Aufwand, um das zu belegen – 20 Minuten lang die Szenerie filmen genügt.

Die folgenden Aufnahmen entstanden vergangenen Freitagmittag: Geschätzte 90-95% der Autofahrenden hielten nicht an, obwohl ich entweder schon am Überqueren der Strasse war oder andere deutlich darauf warteten, dies zu tun.

Dies ist der courant normal an dieser Stelle – regelmässig werde ich beinahe überfahren oder von Autofahrern angeschrien, wenn ich – was hier die Regel ist – über die Strasse gehe. Polizei? Sieht man hier nie. Eine Plakataktion im Sommer 2008 brachte nichts.

Ein gewisses Verständnis habe ich als sporadischer Mobility-Fahrer sehr wohl; an der Einbiegung Postgasshalde ist die Signalisation dermassen grottenschlecht (siehe in diesem aus dem Auto aufgenommenen Video), dass sich Fussgänger nicht wundern dürfen, wenn sie an dieser unübersichtlichen Stelle immer wieder fast über den Haufen gefahren werden.

Fazit: Tempo 30 auf der Brücke ist gut und schön – (viel) grössere Schilder und Hindernisse am Boden wären aber sehr viel effizienter. Und endlich mehr Polizei, die die Einhaltung der Regeln kontrolliert und Fehlbare an Ort und Stelle büsst.

YouTube-Video von den misslichen Zuständen rund um die Nydegg: Die meisten Autofahrenden scheren sich keinen Deut um die Fussgänger und fahren viel zu schnell.

15 Kommentare

  1. na, ist doch nur gerecht, dass es auch in Bern Begegnungszonen für Autofahrer gibt und nicht nur in Sissach…

  2. Gut geblökt, Andi. Leider ist dadurch noch nichts gebremst.
    Dein Film bestärkt mich in der Meinung, dass eine Verkehrsregimeänderung bloss mit Schildern – ohne bauliche Massnahmen – keine Wirkung hat.

    Da sollte eigentlich der Verkehr mittels eines “Tors” eingebremst werden, bevor er in eine Begegnungszone mündet.
    Meines Wissens fehlt diese an besagter Stelle gänzlich. Dann merkt der Automobilist gar nicht, dass er nicht mehr “King on the road” ist.

  3. @Reto: Die Beschilderung ist hanebüchen, wenn auf der Seite Postgasshalde nicht gar skandalös grottenschlecht, wie in diesem Film aus Autofahrerperspektive zu sehen ist.

    Die Verantwortlichen verschanzen sich hinter der Signalisationsverordnung. Denen ists offenbar scheissegal, wenn man täglich fast über den Haufen gefahren wird – vermutlich solange, bis es wirklich Verletzte gibt.

    Jaja, die so genannt rotgrün regierte Stadt…

    Also couragierter Politiker hätte ich diesen Dauermissstand längst angeprangert oder darauf hingewiesen, dass man sich im Interesse der Bevölkerung durchaus über mangelhafte Verordnungen hinwegsetzen bzw. eine Änderung derselben bewirken kann.

  4. Interessant – kürzlich sagte mir jemand, es stehe in keinem Gesetz und keiner Verordung, dass Fussgänger in Begegnungszonen Vortritt hätten.

    Wieso steht aber auf dem Plakat “hier gehen wir vor”?

    Und wieso steht hier “In Begegnungszonen gilt Tempo 20. FussgängerInnen haben Vortritt.”?

    Und wieso steht hier “Die Verkehrsflächen in Begegnungszonen sind Aufenthaltsräume für Kinder und Erwachsene. Sie sind gegenüber Fahrzeugen vortrittsberechtigt. Die Fahrzeuge dürfen aber nicht unnötig behindert werden. Die Höchstgeschwindigkeit in Begegnungszonen beträgt 20 km/h.”

  5. Endlich wartet mal jemand, danke Taxi!

    Klaroooo! Die kriegen ja auch Kohle beim Bremsen! 😀

    Ansonsten: Danke für das Dokument – leider ist es ein imho unbrauchbarer Zusammenschnitt. Klar, kein Verstoss ist ungeschehen, nur suggeriert die Dichte der Verstösse im Zusammenhang mit einer Einmalbetrachtung etwas Falsches. Und das ist politischer, ergo mir unsympathischer Stil.

    Besonders 0:37 gibt in diesem Zusammenhang übrigens ein interessantes Bild. Bei Tempo 20 hätte das Kamerafahrzeug vor den vortrittsberechtigten Fussgängern längstens anhalten können 😉 (und müssen!!!)

    § 46 VRV und § 22a SSV sind in diesem Zusammenhang übrigens zu nennen.

    Die Polizei beruft sich wohl darauf, den “Gummiparagraphen” nicht sauber umsetzen zu können.

    Alles in allem: Unpraktische Ecke für eine solche Signalisation (deshalb typisch für Berns unfähige Verkehrsplaner), aber leider juristisch unmissverständlich.

    Viel Spass im Verkehrsdschungel und Grüsse an Jane!

  6. So, habe widerwillig nochmal zu dieser Politposse Stellung genommen. Nicht direkt zu Deinen Punkten, weil für mich das Thema – wie das Vorliegende – nur juristisch diskutabel ist, der Rest ist subjektiv gefärbt und da werden wir uns eh nicht finden. Es gibt dort auf der Kreuzung eigentlich nur Verlierer und das finde ich die denkbar schlechteste Lösung.

  7. Die meisten Verkehrsingenieure sind Theoretiker und widersetzen sich konstant allem, was irgendwie mit Praxis und gesundem Menschenverstand zu tun hat.

    a) Die meisten Leute wissen gar nicht, dass in der Begegnungszone keine Fussgängerstreifen sind, dazu habe ich mich vor kurzem auch noch gezählt. Dementsprechend nehmen die Autofahrer auch nicht Rücksicht auf Fussgänger, die am Rand stehen. (Ok, die auf der Fahrbahn sind, lässt man gerade noch laufen, aber viel Verständnis hat man für die nicht. Das Verständnis für Fussgänger ist ohnehin am Abnehmen seit dem jederman/frau/kind das Gefühl hat, er könne ohne Rücksicht jedem Auto den Weg abschneiden und womöglich über den Fussgängerstreifen rennen. Als Autofahrer schätzt man es, wenigstens als einzelnes Fahrzeug weit und breit fahrengelassen zu werden.)

    b) Ein Autofahrer schaut auf die Fahrbahn und auf die Kurveninnenseite. Wenn nun ein Verkehrsingenieur auf die Idee kommt, ein Schild an der Kurvenaussenseite hinzumachen, dann sieht es sicher keiner.

    c) Es ist nachgewiesen, dass sich die Kinder Fussgängerstreifen auch in der Begegnungszone wünschen. Wer’s nicht glaubt, der liest im tec21 Nr. 14-15 / 2009 nach. Zumindest gehört bei einer solchen Zone am Anfang und am Ende ein Fussgängerstreifen hin, am besten erhöht, macht man im Ausland schon lange.

    d) Strassen, die Durchgangsverkehr haben, müssen ganz anders behandelt werden, als Sackgassen. Im Ausland sind meist nur Sackgassen Begegnungszonen.

    e) Auch in Begegnungszonen müssen die einzelnen Verkehre geführt werden. Die Fussgänger sollen nicht einfach auf der Mitte der Strasse laufen. Alte Leute fühlen sich bei solchen Aktionen extrem unsicher. Kindergärtner laufen auch anderen Strassen in der Mitte …

    f) Bei uns hat die Begegnungszone flux wieder einen Fussweg erhalten …

  8. @Mirko: Was § 46 VRV hier für eine Rolle spielt, weiss ich nicht. § 22a SSV ist hier sonnenklar: “… auf denen die Fussgänger und Benützer von fahrzeugähnlichen Geräten die ganze Verkehrsfläche benützen dürfen. Sie sind gegenüber den Fahrzeugführern vortrittsberechtigt, dürfen jedoch die Fahrzeuge nicht unnötig behindern.”

    Was soll hierbei bitte Gummi sein?

    @Peter: Bitte komm nicht mit dem gesunden Menschenverstand. Es gibt Regeln und Gesetze, und ich erwarte von allen VerkehrsteilnehmerInnen, dass sie diese beherrschen.

    Wenn du ein Fahrverbot siehst, weisst du: Da darf ich nicht durch fahren. Wenn du ein Begegnungszonenschild siehst, weisst du: Da habe ich keinen Vortritt, sondern alle anderen. It’s as simple as that.

    Recht hast du mit den Qualität der Signalsisation, da sind wir uns weitgehend einig. Ebenso, dass Fussgänger nich aus Prinzip in der Mitte laufen – steht ja auch so im Gesetz.

    Strassen, die Durchgangsverkehr haben, müssen ganz anders behandelt werden, als Sackgassen.

    Wieso denn? Sind die Leute, die in der Alstadt wohnen, weniger wert als Leute, die in Sackgassen wohnen?

  9. Irgendwie scheint mir die im Film vorgeführte Praxis der Begegnungszone italienischem Stadtverkehr zu entsprechen: Man kann jederzeit die Fahrbahn überqueren, ohne dass man umgefahren wird (anders als in deutschsprachigen Ländern), aber wenn man stehen bleibt, lässt einem niemand den Vortritt.
    Sprich: Das Hauptproblem ist bisher das mangelnde Selbstbewusstsein der Fußgänger. Man konnte ja auch sehen, dass einer weiter wartete, während später an dieselbe Stelle gekommene längst die Fahrbahn überquert hatten.

    Trotzdem sollten die Eingänge/Einfahrten etwas auffälliger sein. Vor allem sollte an der Stelle, wo mehrere Fußgänger nacheinander geradezu an die Hausecke geklemmt warteten, der Gehweg mindestens 2 m in die Fahrbahn ragen.

    Nochmal zum Umdenken ALLER Verkehrsteilnehmer: Früher mal wurden (in Deutschland) bei Änderungen der Verkehrsführung gerne Papppolizisten aufgestellt. Heute überbieten sich Städte und Gemeinden in manchmal penetranter Weise mit Stadtmarketing. Vielleicht wäre es nicht schlecht, über den Zufahrten zwei bis drei Jahre lang Spruchbänder aufzuhängen wie “Fussgänger, hier habt ihr Vortritt” oder “Hier haben Umweltverschmutzer KEINE Sonderrechte”. Irgendwann haben die Leute sich gewöhnt, dann geht es auch ohne Spruchbänder.

    Gruß
    UL

  10. Gute Idee mit den Spruchbändern über Monate – in Bern dachte man, dass einigermassen unauffällige Plakate am Strassenrand während weniger Wochen genügen. Meine nach wie vor fast täglichen Erfahrungen zeigen, dass das eindeutig ungenügend war/ist. Auch Tempo 30 auf der Brücke vor der Zone brachte nichts – es wird viel zu schnell gefahren, das Vortrittrecht minütlich mehrmals missachtet.

  11. Grüezi mitenand!

    Mit grossem Interesse habe ich das Video und eure Meinungen zu BZ in Bern gelesen. Ich verfasse momentan eine kleine Berufsmatura-Arbeit zum Projekt BZ Goldau, welches gescheitert ist (zum Glück??). Würde eure Inputs gerne darin einbinden – mit eurem Einverständnis natürlich.

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