Heute zitiere ich gerne aus dem Twitterstream eines Kollegen: “Wahlkampf in #Bern: Wer mir einen Flyer in den Keine-Werbung-Kleber-Briefkasten legt, bekommt meine Stimme nicht! #spam #stadtrat” – Da kann der Blöker nur beipflichten, den in diesen Wochen gilt in Bern leider einmal mehr, wir hatten das ja schon mal: In Zeiten des Wahlkampfes werden jegliche Hemmungen (und zusammen mit dem gesunden Menschenverstand auch gleich der Anstand) abgelegt, weil ja das eigene Anliegen soooo dringend und wichtig ist.
Und es ist überhaupt keine Werbung im Fall, echt nicht! Demokratie und so, weisch, winke winke, Ausnahme!
Freunde in Facebook, die sich sonst nie persönlich melden, schreiben urplötzlich “persönliche” Mails – teils sogar mit der Anrede “Lieber Andi” – und geben die neusten Filmli ihrer Schützlinge oder die supercoolen Websites ihrer Lieblinge weiter. Einmal ginge ja noch. Aber mehrmals? Da scheinen sich einige gar nicht mehr zu spüren, sobald es um Wahlen geht.
Ja, himmelnochmal, ich interessiere mich für Politik, ich bin ein Wahlfreak, ich fahre ab auf phantasievolle Wahlkämpfe, ich mache selbst Websites für PolitikerInnen – ich verfolge, was abgeht. Das solltet ihr doch wissen. Was sollen also diese Nachrichten? Das ist nicht nur Wasser in die Aare, sondern in den Pazifik geleert. Ich finde das nicht nur überflüssig, sondern ehrlich gesagt irgendwie auch etwas unhöflich.
Wahlabstinenz wird die nächste Folge dieses nervigen Spam-Overflows sein.
Kandidierende mögen fragen: Ja was soll ich denn tun? Ich muss doch auffallen!
Muss man das wirklich? Ich und viele andere wählen lieber seriöse SchafferInnen, die nicht durch Werbung, sondern durch Inhalte auffallen. Von denen man vielleicht mal in den Medien liest, weil sie einen guten Job machen. Oder von denen man weiss, dass sie im Hintergrund gute Kommissionsarbeit leisten.
Für mich ist klar: Auf die Unsitte von Spam aller Art verzichten und auf eine gute Website setzen, einen guten Twitteraccount und eine nette Facebookseite. Wer aufspringt, wird die Feeds abonnieren oder Fan werden. Gute Politik machen, die es ab und zu in die Schlagzeilen schafft. Jegliche Streuwerbung und “persönliche” Mails, die schlussendlich doch nur Copy-Paste-Massenware sind, sein lassen.
Politiker – selbst solche, die sonst positiv durch Antispam-Aktivismus auffallen – machen natürlich plötzlich grooooosse Ausnahmen, wenn es sie selbst betrifft und weisen auf ein Agreement mit Konsumentenschutzorganisationen hin, wonach Parteien, ZEWO-zertifizierte Organisationen und amtliche Publikationen nicht unter den bekannten “Stopp-Werbung”-Kleber fallen.
Nun, mir ist das Hans was Heiri, ich finde diese Anbiederungen bei vermeintlich potenziellen Wählerinnen und Wählern einfach nur sinnlos: Hunderte Flyer unsystematisch streuen, nur damit vielleicht fünf Leute von BDP auf EVP umschwenken, oder von GFL auf GLP?
Man müsste an sich selbst merken, dass das eine komische, ineffiziente Art des Wahlkampfes ist.
Und dass es nicht intelligent ist, Werbung in Briefkästen mit Stopp-Kleber (und schon gar nicht in meinen, auf dem steht “keine politische Werbung”) zu werfen.
In Facebook machte jemand diesen Einwand: “Viele ältere Leute haben Angst vor den Internet – sollen sie deshalb vom demokratischen Prozess ausgeschlossen werden?”
Whow, was für eine interessante Ausrede.
“Keine Werbung” ist einfach “Keine Werbung” – ZEWO-Organisationen mögen einen ausgezeichneten Job machen, Parteien mögen ein gewichtiges Interesse an ihrer Werbung haben und die Urheber amtlicher Publikationen haben sich wohl extrem Mühe gegeben, aber wenn auf meinem Briefkasten klar steht, dass ich NICHTS von alledem will, dann gilt das auch für alle (natürlich wird alles unfrankiert retourniert).
Muss ich den ganzen Briefkasten noch mit Erklärungen vollpflastern, dass ich und viele andere – ob alt oder jung – mündig genug bin, Feeds und Newsletter zu abonnieren, wenn mich etwas interessiert und dass ich nun langsam alt genug bin, SELBST zu entscheiden, von wem ich was will und von wem nicht? Und wenn ich kein Internet habe, mich anderweitig zu informieren, z.B. anhand des mit den Wahlunterlagen mitgesandten Werbehaufens?
Werdet vernünftig und bescheiden, liebe Politspammer – und vertraut darauf, dass mündige Bürgerinnen und Bürger euch schon wählen, wenn sie finden, dass ihr eure Sache gut macht, wenn ihnen eure Webseiten und Social-Media-Auftritte gefallen, wenn sie ab und zu in der Zeitung von euch lesen.
Ich habe nur wenig dagegen, wenn sich Timelines und Feeds auf die Wahlen hin etwas aufblähen (auch das kann man übetreiben – dann steht es aber allen frei, jemanden zu entfollowen oder entfreunden). Aber hört auf mit persönlich adressierten Aufrufen und Streuwerbung. Eine neue Nachricht zu sehen, sich zu freuen, sie zu öffnen und dann ein liebloses copy-paste vorzufinden, ist gleichbedetend mit der Aufforderung “wähle meine Partei nicht, du Affe”.
Jemanden gegen seinen Willen mit News vollzustopfen, ist kontraproduktiv und unhöflich. Wahlwerbung gehört in Timelines, nicht in Mailboxen.
Die Prospekte, die zusammen mit den offiziellen Wahlunterlagen ins Haus geflattert kommen, genügen als Printprodukte vollauf.