Ich bringe den USA Unglück: Wenn ich hier bin, stürzt entweder ein grosses Flugzeug ab, fliegen Flugzeuge in Hochhäuser – oder wenn ich den Wahlkampf vor Ort verfolge, wird ein Republikaner gewählt. 1996 wars TWA 800, heute vor 10 Jahren Swissair 111, im September 2001 die Terroranschläge, im Herbst 2004 Kerry gegen Bush.
Entweder stürzt also heuer – Gott bewahre – bald ein Flugzeug ab, oder McCain wird Präsident. Möge uns auch davor wer auch immer verschonen.
Lassen wir aber das Morbide, bleiben beim Nostalgischen und schlüpfen zum Schlüpfrigen: Vor zehn Jahren war der Clinton-Lewinsky-Skandal auf seinem… genau – Höhepunkt. Wir erinnern uns – zuerst: “I did not have sexual relations with that woman” – und am 17. August 1998 dann: “Indeed, I did have a relationship with Miss Lewinsky that was not appropriate. In fact, it was wrong. (…) I misled people, including even my wife. I deeply regret that.”
Auch damals war ich in Seattle und verfolgte hier gespannt das Airing des “Clinton Testimonials” – etwas vollmundig als “lived history” angekündigt. Ein Gericht hatte entschieden, die auf Video aufgezeichnete Befragung des Präsidenten zu veröffentlichen; das ganze Land sass frühmorgens vor den TV-Apparaten und amüsierte sich köstlich.
Der Seitensprung des Präsidenten legte das Land politisch über Monate praktisch lahm. Als Schweizer Besucher lachte man sich ins Fäustchen: In den Strassen machten Aktivisten Stimmung gehen Sonderermittler Kenneth Starr (von dem kurz danach niemand mehr sprach)…
… die Medien waren voll von Bill-und-Monica-Stories…
… und Karikaturisten nahmen den “Starr Report” aufs Korn, in der Tat eine Ansammlung von Dingen, die das Land bisher nicht wirklich häufig öffentlich diskutiert hatte…
… man lese selbst! So hörte man im Spätsommer 1998 dann auch viele Mütter klagen: “Wie erkläre ich meiner vierjährigen Tochter, was Oralsex ist, wo sie den Begriff alle paar Minuten am Fernsehen aufschnappt?”
Und da war natürlich, weitaus tragischer, SR 111 – ich verbrachte vor zehn Jahren wohl mehr Zeit vor dem Fernseher als heute (OK, morgen zu “90210” muss ich als alter Fan von Andrea Zuckerman wohl auch wieder vor die Kiste sitzen, auch wenn Gabrielle Carteris beim Spinoff nicht mittut).
Genau zehn Jahre nach dem Swissair-Unglück, an das wir uns beinahe wie an den 11. September 2001 erinnern, ist übrigens das bei der Untersuchung führende kanadische Transportation Safety Board alles andere als zufrieden mit der Umsetzung seiner Forderungen, wie der “Times-Colonist” in Victoria am Samstag berichtete.
Und sonst? Das Internet war in den USA anno 1998 fast schon Alltag, in der Schweiz aber noch in den Kinderschuhen. Ich schrieb in mein Tagebuch: “Die Kommunikationsmöglichkeiten haben sich seit 1996 grundlegend geändert. Ich habe noch keinen einzigen Papierbrief geschrieben (…) Die Mischung aus im Café Zeitunglesen, Kaffee Trinken, E-Mailen und ab und zu Homepagedesign gefällt mir immens gut (…) Die grosse Bedeutung des Internets zeigt sich allein schon darin, dass der Starr Report zuerst dort veröffentlicht wird. Wird das Netz auch in der Schweiz einmal so eine Bedeutung erlangen? Wir müssen unbedingt unsere Online-Strategie vorantreiben.” (Ich war damals Uni-Hilfsassi.)
Wenig später waren wir eines der ersten Uni-Institute, das Prüfungsresultate anonymisiert online veröffentlichte. Erfasst habe ich die Daten am Ufer eines Sees im Yosemite-Park… die Reise wirkte also immerhin nach, und irgendwie wurde damals offenbar schon einiges in meinem Leben vorgespurt.
Die Airplay-Hits des Spätsommers 1998 hier waren u.a. die Barenaked Ladies (“One week“), Natalie Merchant (“Kind and Generous“), Paula Cole (“I Don’t Want to Wait“) und (aus “City of Angels”) “Iris” von den Goo Goo Dolls sowie “Uninvited” von Alanis Morissette, die damals noch richtig gute Musik machte. Alles Songs, die in Europa leider kaum je bekannt wurden. Damals konnte man die noch nicht runterladen – nein, man ging in einen Plattenladen und kaufte sich CD-Singles.
Auch die Telekommunikation von damals ist mit heute kaum vergleichbar. Ein Handy besass ich keines; SMS war ein Fremdwort, die mündliche Verbindung nach Hause lief über öffentliche Telefonkabinen, via Calling Cards oder beim Operator bestellte Collect Calls.
Immerhin kaufte ich vor zehn Jahren (nebst einem aus heutiger Sicht fatalen Fehlkauf, einer analogen Fotokamera) mein erstes selbst bezahltes Laptop – Sony VAIO gabs damals in Europa noch nicht, das Design faszinierte mich vollends, und trotz der Amitastatur erstand ich mir zwischen Mountain View und Palo Alto ein PCG-731. Der Leistungsumfang war schliesslich auch absolut hammermässig!
Der Marke bin ich bis heute treu geblieben. Nur läufts heute etwas anders: Anstatt in immens langen Listen eine lokale Dialup-Nummer zu finden (K56flex oder ganz luxuriös V.90), surft man natürlich meistens mit dem iPod Touch auf den massenhaft vorhandenen WLANs, arbeitet drahtlos in netten Coffee Shops, sendet MMS von schönen Spots und telefoniert via Skype. Das macht doch alles sehr viel einfacher – und billiger.
Und in weiteren zehn Jahren…?
Fast zeitgleich mit meinem Notebookkauf und wohl nur wenige Meilen neben dem Laden gründeten bei deiden Studis Larry Page und Sergey Brin, denen ich damals womöglich in der schönen Stanford Shopping Mall mal begegnet bin, ein kleines Unternehmen und nannten es… Google.
…und genau wegen eines Andi-Beitrages (ich glaub’ das war noch auf Deiner Privat-Website) bin ich vor vielen Jahren, noch vor der grossen Masse, zum Google-Benutzer geworden. Andi, my digital Pacemaker.