Warum wählt die Mehrheit in Bern Rotgrün, bekommt aber nicht Rotgrün? Die Velopolitik in der Stadt beispielweise ist hanebüchen – man muss eher davor Angst haben, dass die Polizei das Velo einzieht (da es 10cm neben einer Velo-Abstellzone parkiert ist) als dass es ein Langfinger knackt. Das ist – genau – reichlich beknackt.
Als Erweiterung dieses Posts habe ich inzwischen erfahren, dass es auch um den öffentlichen Verkehr schlecht steht. Bernmobil darf in den frisch renovierten Altstadtgassen keine sogenannten Smartinfo-Tafeln aufstellen (elektronische Schilder, die anzeigen, wann der nächste Bus fährt), da die Stadt keine Baubewilligung erteilt hat. Notabene die Direktion für Tiefbau, Verkehr und Stadtgrün (TVS) – die nicht nur das Wort “grün” beinhaltet, sondern mit Regula Rytz auch eine grüne Vorsteherin hat. Der TVS scheinen aber Bus und Tram weniger am Herzen zu liegen. Dabei könnte man von den praktischen Tafeln schon von weither ablesen, ob der Bus gleich heranbraust oder ob ein leichtes Joggen zum Zytglogge angezeigt ist, um dort ein Tram zu nehmen.
Laut Bernmobil (die hätten noch so gerne eine Smartinfo-Tafel montiert) wurde selbst an der Haltestelle Nydegg eine solche Tafel verboten. Was soll das? Warum darf nur ein Teil der StadtbewonhnerInnen in den Genuss dieses praktischen Services kommen, der sich in vielen Städten durchsetzt? Warum müssen öV-Benutzende aus der unteren Altstadt weiterhin zum gedruckten Fahrplan rennen, auf die Uhr schauen und berechnen, was zu tun ist – und darum das Tram verpassen, das am Zytglogge gestanden wäre?- Einmal mehr zeigt sich, dass Leute, die es eilig haben, in Bern wohl am falschen Ort sind.
Wahrscheinlich hat der Denkmalschutz hier wieder einmal seltsamste Blüten getrieben – und die Beamten der Stadtverwaltung haben vergessen, dass die Stadt kein Museum ist, sondern dass hier Einheimische leben, die auch gerne von den Annehmlichkeiten moderner Technik profitieren würden. Derweil darf man ungestraft grässliche gelbe Farbe auf die schönen neuen Gassen schmieren, gruusige Leuchtreklamen aufhängen, Plakatständer in die Gassen und den Blinden Infotafeln mitten in den Weg stellen, auf dass sie glücklich hineintütschen mögen (aufs Bild klicken für grössere Fassung). Das nennt man Verunstaltung und Vollstellen des öffentlichen Raumes – die Smartinfotafeln hingegen wären eine echte Hilfe. Liebe Regula, tu was!
Tja, von den letzten Jahren Rot-Grün war ich auch eher enttäuscht, nicht nur was die Verkehrspolitik angeht. Andererseits müssen sie halt innerhalb der bestehenen Strukturen arbeiten, sie können ja nicht gut von heute auf morgen alles umkrempeln, das wäre auch nicht sinnvoll.
Und einige Schlüsseldepartemente waren von rechten Hardlinern besetzt. Leider.
A propos Velofahren in Bern: Nicht nur am Bahnhof herrscht velofeindliche Stimmung – auch am Waisenhausplatz ist alles vollgestellt, sodass man kaum durchkommt (OK, das liegt an der Baustelle – aber die Swi$$com-Kabinen hätte man dennoch nie an diesem Ort erlauben dürfen, Provisorium hin oder her). Und auch der Sultan hat da so seine Erfahrungen gemacht… da wird Regula Rytz noch etliche Sünden ihrer Vorgänger beheben müssen…
Dominik Bachmann bringt Berns desolate Velopolitik in seinem Leserbrief im “Bund” vom 14. November 2005 auf den Punkt: “Nach einem Ausflug am Wochenende klemmte unter dem Gepäckträger meines Velos am Hirschengraben ein Flyer mit dem Hinweis ‘illegal abgestellte Velos werden in Zukunft von der Stadtpolizei bechlagnahmt’. Statt genügend Veloabstellplätze zur Verfügung zu stellen, tritt die Fuss- und Velofachstelle Bern als verlängerter Arm der Stadtpolizei auf. Statt das Velofahren zu fördern, werden die Velofahrenden mit Velobeschlagnahmungsandrohungen konfrontiert.” Dominik Bachmann zählt danach diverse Orte auf, wo die Fachstelle dringend Hand anlegen sollte – und fordert “allein schon Hunderte gedeckte Gratis-Abstellflächen rund um den Bahnhof Bern” zum Beispiel. So ist es – und wenn wir genug stürmen, kann ja die “rotgrüne” Regierung doch noch beweisen, dass sie diesen Namen verdient.