Minarett-Initiative: Freuen sich Atheisten heimlich?

An sich müsste für uns Atheisten der heutige Abstimmungs-Sonntag ein Freudentag sein.

Ist es aber nicht – jedenfalls ists mir nach dem heutigen Abstimmungssonntag wieder mal zum Auswandern zumute. Oder zumindest zum Im-Boden-Versinken.

Ich zitiere ChliiTierChnübler im Wahlkampfblog, weil sie’s schön auf den Punkt bringt:

(…) dass es auch Leute gibt, denen die ganze Religion am A* vorbei geht und deshalb “Religionsfreiheit” anders verstehen, nämlich, dass wer beten will, dazu keine Türmli bauen muss. Und denen auch neu gebaute christliche Zeichen ein Dorn im Auge sind. (…) Auch ich habe NEIN gestimmt, hätte Dir aber schon vor Wochen sagen können, dass die Initiative angenommen wird. Ohren offen halten in der ÖV, den Gesprächen lauschen beim Schlange stehen am Samstag im Konsum und ab und zu im Freundeskreis eigene Zweifel anbringen.

Ich bin genau einer von denen – mir geht Religion grundsätzlich am Arsch vorbei, auch wenn ich mich öppedie köstlich darüber aufregen kann.

Von mir aus könnte man alle Kirchen zwangsenteignen, den Einzug der Kirchensteuer via Staat unterbinden etc. – und den Islam finde ich noch unsympathischer als viele andere Religionen. Aber einmal Kopfschräghalten reichte schon, auf den Abstimmungszettel doch das Richtige zu schreiben.

Der Exodus aus den grossen Kirchen hat zwar erfreulicherweise begonnen, aber allein die Tatsache, dass es auf DRS3 eine “Madame Etoile” gibt, dass scheinbar klar denkende Menschen zum Islam konvertieren, dass Freikirchen existieren oder Mike Shiva & Co. mit ihrem derart offensichtlich stupiden Stuss genug Kohle machen, beweist: Dier meisten Menschen sind gegenüber irgendwelchen metaphysischen Heilsversprechen oder angeblich existierenden höheren Mächten schlicht nicht immun.

Als halbwegs besonnener An-keine-höhere-Macht-Glauber muss einem aber klar sein: In unserer Generation und wohl auch der nächsten ist an der Dominanz von Religionen und anderem Geisterkram nicht zu rütteln, daran ändern weder “There-is-no-God”-Plakate noch andere Appelle irgendwas.

Offensichtlich ist der (Irr)glaube an Geister & Co. in weite(ste)n Teilen der Menschheit schlicht tief verwurzelt, selbst in sogenannt aufgeklärten Gesellschaften.

Und auch wenn man Religionen für schrottig bis überflüssig hält und die Schädlichkeit von Religionen nicht verharmlosen will, muss man auch als Agnostiker anerkennen, dass sich zumindest hierzulande die meisten Gläubigen hochanständig verhalten, nicht missionieren, ihren Glauben im Stillen ausleben, ohne irgendjemanden zu stören und dass der Kirchen-, Moschee- oder Wasauchimmerbesuch halt zum Alltag vieler Menschen gehört.

Wer das braucht oder will – bitteschön! Ein Turm mehr oder weniger wäre da schlicht irrelevant gewesen. Man konnte mit Fug und Recht davon ausgehen, dass die Schweiz nicht mit Minaretten vollgepflastert würde. Die Initiative kam zudem aus der Ecke des hässlichsten Drittels der Schweiz. Leider hat sich fast ein weiteres Drittel blenden bzw. dazu hinzureissen lassen, das bisher im versteckten gekochte fremdenfeindliche Süppchen kurz mal auf den Stimmzettel schwappen zu lassen.

Noch schlimmer ist aber das Kriegsmaterial-Export-Ergebnis. Da bin ich schlicht sprachlos. 68 Prozent. Unglaublich. Seufzend realisiere ich einmal mehr: Die hiesige Menschheit ist in vielen politischen Fragen zu über zwei Drittel dumm, blöd, birnenweich.

Direkte Demokratie ist manchmal auf ganz grausame Weise entlarvend.

10 Kommentare

  1. Dazu ein Churchill-Zitat (aus Wiki kopiert):” Indeed, it has been said that democracy is the worst form of Government except all those other forms that have been tried from time to time. (Es heißt ja, Demokratie ist die schlechteste Regierungsform – mit Ausnahme all der anderen Formen, die von Zeit zu Zeit ausprobiert worden sind.) – In einer Rede im Unterhaus am 11. November 1947.”
    Was Religion betrifft: Sofort eine Freidenkerkirche bauen – mit extra hohem Turm!

  2. Ich finde dieses «Schämen» peinlich – allein schon, weil die meisten vom Minarett-Neubau-Verbot gar nicht betroffen sind und sich auch ansonsten keinen Deut um Politik kümmern … entlarvend ist, wie viele Personen offensichtlich Schönwetter-Demokraten sind – als Gewinner von Abstimmungen geben sie sich als gute Demokraten, als Verlierer wünschen sie den obsiegenden Demokraten eine Diktatur an den Hals …

  3. Danke für das Zitat. Nur um zu unterstreichen, ich spreche hier von Leuten, nicht von mir. Ich hatte sogar Bibel- und Religionswissenschaften während des Studiums belegt. Aber nur, weil ich verstehen wollte, was Religion den Menschen bedeutet. Manchen zu viel, manchen zu wenig, aber offenbar jedem genug, um nun heftig über Religionsfreiheit zu diskutieren. Dabei ging es doch “nur” um eine bauliche Beschränkung. Ich habe die Initiative abgelehnt, nicht aber die Menschen, die diese annehmen. Es gibt andere Vorlagen, wo ich gerne gegen das andere Lager diskutiere, nicht so hier. Und wo bleibt eigentlich eine Initiative, die uns vor hässlichen Anbauten unreligiöser Art schützt? In manchen Ortschaften darf man nicht mal ein Haus rot anmalen, wo wird dann bitte diese Einschränkung diskutiert? (Mit einem Augenzwinkern.)

  4. @ Blöker: Es ist schade, dass du aus lauter Verbitterung anders denkende als dumm, blöd und birnenweich hinstellen musst. Aber damit bist du offenbar in guter Gesellschaft. Wenn du derart Mühe hast, demokratische Entscheidungen zu akzeptieren, solltest du vielleicht wirklich auswandern.

  5. Just for the record: Demokratische Entscheide sind zu akzeptieren, punkt. Das ist unser System.

    Aber wieso soll man Leute, die dermassen irr sind, nicht auch als solche bezeichnen? Das hat nichts mit Verbitterung zu tun, das ist schlicht… wahr. Leider.

    Ich hab null Bock, in dieser Beziehung lieb und nett zu sein. Die “dark side” teilt ja auch fröhlich aus. Also – weisst du was… hau doch du stattdessen ab!

  6. Hallo Blöker
    kleine Korrektur, die Plakate sagen “There’s probably no god, …” du hattest das “probably” vergessen.
    Dieses Wörtchen ist aber die wissenschaftliche Hintertür für den Fall das es ihn eben doch gibt.
    Zu den beiden Abstimmungen:
    Peinlich finde ich das Resultat der Minarett Initiative nicht, erstens ist es nicht in Stein gemeiselt, kann mit ebenso demokratischen Mitteln wieder rückgängig gemacht werden (okay, der Aufwand ist grösser als eine Facebook Gruppe gründen), zweitens, jedesmal peinliche Gefühle haben wenn bei Wahlen / Abstimmungen zur Minderheit gehört …
    Ausserdem machst du es dir wahrscheinlich (probably, schon wieder) zu einfach wenn du die Befürworter gleich in die rechte, fremdenfeindliche Ecke stellst. Wollen wir nicht erst die Analysen abwarten die zeigen welche Gruppen aus welchen Gründen wie gestimmt haben?
    Interessant um nicht zu sagen entlarvend finde ich vielmehr das zweite Abstimmungsresultat, resp die Nicht Reaktionen darauf.
    Keiner ist Peinlich berührt, nur Randnotzien in der Presse, keine scharfe Reaktion und Verurteilung aus dem Ausland dass schweizer Technologie weiterhin Tod und Leid in die Welt bringen darf. Ich hoffe die Initianten bleiben (weitherhin! nach 1997) hartnäcking am Thema dran.

  7. @Phile: Hau einfach ab. Ganz ohne Begründung.

    Gute Idee: Eigentlich könnte man nach dem Minarettverbot nun auch die Zwangsausweisung von Tröten & Co. in der Bundesverfassung verankern. Ist etwa gleich demokratisch wie das Minarettverbot.

    Wer eine so unschweizerische Gesinnung hat und mit demokratischen Mitteln krass menschenverachtende Forderungen durchbringt und unser schönes Land derart diskreditiert, dem wird einfach automatisch das Bürgerrecht aberkannt. Biometrische Pässe werden gleich per Fernauslösung zerstört, yeah.

    @Dani Kobler:

    Ausserdem machst du es dir wahrscheinlich (probably, schon wieder) zu einfach wenn du die Befürworter gleich in die rechte, fremdenfeindliche Ecke stellst.

    Tu ich das? Ja, ok, der Eindruck kann entstehen. Zur Präzisierung: Ich meinte den Satz dahingehend, dass viele (auch Linke) insgeheim immer wieder zumindest ansatzweise hellbraune Gedanken hegen.

    Wer von uns hat sich nicht auch schon dabei ertappt, dass er/sie gedacht hat, “Mann, dieses bekloppte Jugodeutsch, jetzt reden schon meine Kinder so voll krass ey” oder “besonders sympa sind mir viele ‘von denen’ schon nicht grad”.

    Ich gebe gerne zu, dass ich mich selten auch öppedie kurz mal zusammennehmen muss in solchen Situationen. Wenn irgendwelche Wirrköpfe die Einführung der Scharia für Subkulkturen auch nur zur Diskussion stellen (vermutlich sind diese Deppen auch nicht ganz unschuldig am Ergebnis vom Sonntag) zum Beispiel. Oder wenns um den Schwimmunterricht geht – ich bin der erste, der sagt “bis zu einem gewissen Grad müsst ihr euch einfach anpassen, der Hase läuft bei uns so und so, take it or leave it.”

    Aber das ist es eben genau! Dieses latent fremdenfeindliche, oder zumindest dieses Unbehagen gegenüber “dem Fremden”, das wir vermutlich alle zumindest ein Mü weit uns ins tragen, wenn wir ganz ehrlich sind, drückte bei vielen durch dieses Wochenende, auch wenn sie sich sonst immer noch besinnen und nicht zulassen, dass es “an die Oberfläche tritt”.

    Angeblich sollen ja viele Frauen mit Ja gestimmt haben, da der Islam patriarchalisch sei. Das mag in einigen muslimischen Kreisen so sein – aber auch hier gilt: Da gibts a) zig andere, ein Minarettverbot bringt dagegen b) genau nix, und im Zweifelsfalle herrscht c) in der Schweiz die schweizerische Rechtsordnung, ob jetzt da noch ein paar Minarette mehr stehen oder nicht.

    Treu gemäss meinem (Nicht)glauben hätte ich ja auch JA stimmen müssen, da ich weitere Sakralbauten für komplett überflüssig halte (auch ich kann einer schönen Kirche, Synagoge, Moschee oder einem Tempel für weissnichtwen hingegen etwas Positives abgewinnen, einfach von Göttern & Co. abstrahiert).

    Ob man nun aber eine Frau war, die um die hart erkämpften Frauenrechte fürchtete, ob man ein Atheist war, ob man einer war, dem es schlicht nicht passt, wenn bei der Hotline sich einer mit “Da isch Gurinovic, wiä chan ich ihnää hälfäää” meldet…

    … es war eine Abstimmung über den Bau von Minaretten und sonst nix! Da sind offenbar sehr viele apolitische, areligiöse oder gar Linke dem SVP-Bschiss (es ging ja bloss Vordergründig um Minarette, es ging vor allem um “das Fremde” im Allgemeinen und Generellen – leider sehr geschickt wieder mal, muss man sagen) aufgesessen und sagten sich: “Ja, tamisiech, nun ist der Augenblick, wo ich auch mal etwas auf den Zettel schreibe, das mir eigentlich gegen den Strich geht.”

    Dabei wird jetzt einfach alles nur schlimmer, nix wird besser.

    Was all die lieben Menschen damit angerichtet haben? Ich befürchte, da haben sie uns allen a bunch of fucking shit eingehandelt, auf deutsch (oder so) gesagt.

    Es muss ja nicht eine von Terroristen in die Luft gejagte Rollenbatterie einer vollbesetzten Skigondel sein oder eine Bombe im IC Bern-Zürich morgens um sieben. Es beginnt viel subtiler: Irgendwelche christlichen Fanatiker wollen nun schon die “christliche Leitkultur” oder so ähnlich in der Verfassung haben. Da hat uns die SVP einen schönen Bärendienst erwiesen. Anstatt möglichst konstruktiv und auf Ausgleich bedacht wirds jetzt eine zeitlang vor allem hässlich, auf beiden Seiten.

    Ich frage mich manchmal, wie das gewesen wäre, wenn meine 1956 in die Schweiz geflohenen ungarischen Grosseltern nicht stockkatholisch gewesen wären, sondern Moslems.

    Ich würde mir wohl ziemlich schräg vorkommen momentan. Denn ich hab gar nix getan und die hassen mich offenbar trotzdem in diesem Land, nur weil sich einige von uns etwas doof benehmen. Was müssen das für Leute sein? So verbohrt und kurzsichtig, diese Schweizer?

  8. Hallo Blöker
    Merci für die Antwort.

    dieses Unbehagen gegenüber “dem Fremden”, >> das wir vermutlich alle zumindest ein Mü weit uns ins tragen

    Ja so geht es mir auch öpe die. Finde ich aber auch nicht weiter schlimm. Das liegt doch in der Natur von fast allen Menschen.
    Genaus so wie hier ein Frau mit Burka angestarrt wird (wobei ich glaube ich noch nie eine gesehen habe) wird ein schwedisches Mädchen in Südamerika wegen ihrer Blonden Haare angestarrt. Entscheidend ist, was in den Minuten, Wochen, Jahren danach mit diesen Begegnungen passiert.

    es ging ja bloss Vordergründig um Minarette, es ging vor allem um “das Fremde” im Allgemeinen und Generellen

    Genau, und da kam die Minarette Initiative grad recht, da konnte das Volk dieses Unbehagen ausdrücken ohne schwerwiegen(st)de (z.B. wirtschaftliche) Konsequenzen.
    Entscheiden ist nun, ob man dieses Unbehagen aufnimmmt, hinterfragt und diskutiert, oder ob man einfach den neuen Artikel in die Verfassung schreibt und sich dann dem nächsten Punkt widmet.

    Was mich an der politschen Debatte stört, sobald sich ein Thema auch die Ausländerfrage tangiert, fühlt man sich bemüssigt vor jedem Satz / Argument ein “Ich bin im Fall nicht SVP, aber …” zu setzten.

    Nervt dich das nicht auch?

    Und gemäss Wahl Spider bin ich wirklich nicht SVP, sondern Grün Liberal, so wähl ich auch.

    Beispiel: Bastien Girod war in den letzten paar Wochen in den Schlagzeilen weil er ein Papier zum Bevölkerungswachstum gemacht hatte. Und das ist nun mal vor allem eine Ausländerfrage (der Geburtenüberschuss Gestorbene vs Neugeborene (Schweizer) ist ja sogar negativ).
    Also wenn man diesem Bevölkerungswachstum kritisch (oder gar ablehnend) gegenübersteht, kommt man nicht um das Argument Beschränkung der Zuwanderung (von wo auch immer die kommt) drum herum.

    Was ist dann passiert: Statt das man über das Thema diskutiert, unterstellt man dem Grünen Bastian fremdenfeindliche Gesinnung (auf das Papier, die Analyse, Problembeschreibung, Lösungsansätze geht man erst gar nicht ein).

    Dass die SVP dazu applaudiert ist ja logisch (wobei aus anderen Gründen), lenkt aber erst recht vom ursprungs Thema ab.

    Der Girod verbraucht in der Folge davon seine Energie damit zu argumentieren das er nichts gegen Ausländer hat und sein ursprünliches Papier rückt weiter in den Hintergrund und wird nicht mehr diskutiert. Und so passiert es dann dass das Thema “Bevölkerungswachstum” eher um Ausländerfeindlichkeit dreht, und nicht um Öklologie, Raumplanung, Verdichtetes Bauen, Dichtestress, Ausbau der Infrastruktur, …

    Und das passiert bei jeder Diskussion sobald das Thema die Ausländerfrage kreuzt. Entweder versandet die Diskussion irgendwann weil alle so unverbindlich Argumentieren und den Teilbereich meiden oder relativieren jedes Statement mit “hab im Fall nichts gegen Ausländer, aber …”
    So geschehen mit Themen wie: Ausländerkriminalität, Jugendkriminalität, die ganze Drogenhandel Debatte, IV Betrug, Raserunfälle, etc

    Die Parteien winden sich um die Themen (vor allem SP von der ich es erwarten würde), und am Ende kommt die SVP, nimmt sich dem Thema an, biegt es so zurecht wie sie es haben wollen (und machen es dann tatsächlich zu einem Thema bei dem der Rassismus unangenehm mitdrinn ist).

    Ich hoffe das die Minarett Initiative jetzt dazu führt, das man diese Themen jetzt anders angeht. Gestern im Club (SF DRS) hörte man schon Voten wie “den Bürger ernst nehmen”. Andererseits kommt mir grad niemand (Person oder Gruppe) in den Sinn der das so in die Wege leiten könnte (à la Obama mit Change und Yes we can).

    Sorry, ist ein bisschen lang geworden.
    Und inzwischen ist die Kriegsmaterial Initiative gar kein Thema mehr …

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