Ich wollte gestern vor dem Einschlafen noch ein paar Youtube-Clips aus den 80ern gucken und bin dann stundenlang bei Kate Bush hängen geblieben.
Dass sie schon sehr früh Songs komponiert und interpretiert hat, die andere erst zehn Altersjahre später fertigbringen, war mir bekannt- “Wuthering Heights” gehört zur “Top 5” meiner ewigen Musikbestenliste.
Das muss man ohne Playback als knapp 20-jährige Newcomerin vor einem Millionenpublikum auch zuerst mal so souverän bringen:
Kate Bush singt “Wuthering Heights” live in “Top of The Pops”, 1978 | |
Anno 1978 muss das wie von einem anderen Planeten angemutet haben. Wikipedia schreibt denn auch: “Der Presse fiel es schwer, Bushs Single und Album einzuordnen, denn es gab kaum Vergleichbares.” Kate Bush – seit kurzem CBE – war die erste Frau, die mit einer Eigenkomposition Nummer 1 in England wurde. David Gilmour half ihr kurz zuvor, ihr Demotape aufzupeppen.
Die Literaturinterpretation schrieb sie in einem Alter, in dem ich und viele andere sich extrem schwer tat mit diesem Textgenre – wir hielten uns meist an die Zusammenfassungen, die man damals noch nicht in einem “Internet” fand, sondern in der Buchhandlung bestellen musste. Und das ganze dann noch in so einen Song verwandeln? Chapeau.
Dass auf der Originalfassung die Musiker von Alan Parsons Project spielen, hatte ich auch vergessen, what a shame. Ihre Plattenfirma wollte eigentlich einen anderen Song als erste Single von “The Kick Inside” auskoppeln, aber hier – wie auch später so oft – setzte sich die selbstbewusste Catherine gegen EMI durch.
“Wuthering Heights” ist einer dieser magischen Zeitmaschinensongs. Man muss einfach zuhören und eintauchen, und immer wieder verschlägt es mich in die etwas andere Welt der später 1970er, eine Welt aus Räucherstäbchen, Tropfkerzen, Anti-AKW-Klebern, dem blauen Döschwo und den selbst angemalten Korbstühlen. Die beiden Singles sind jene Vinyl-Scheiben, auf deren Besitz ich richtig stolz bin – eine amerikanische und eine deutsche Pressung (eine französische “Babooshka”-Single ist hier auch noch dabei):
Die amerikanische Pressung habe ich mir vor Jahren bei Amoeba in San Francisco gekauft – allerdings ist sie kürzer, schändlicherweise wird bei Beginn des Gitarrensolos ausgeblendet. Welch ein Frevel.
Aus ihrem Youtube-Kanal, wo man in verdankenswerter Weise viele Videos in bester Qualität anschauen kann, altbekannt sind natürlich Cloudbusting (mit Donald Sutherland) oder Running up That Hill. Der Song tönt irgendwie verdammt nach Lindsdey Buckingham und der Tänzer sieht zu Beginn auch so aus wie der Fleetwoodmaccer, er ist es aber natürlich nicht. Die Instrumentierung erinnert aber sehr an Buckingham-Produktionen aus dieser Zeit, speziell “Big Love” aus einem der Hammeralben meiner Teenagerzeit, “Tango in The Night”.
Zudem beschämenderweise eben erst entdeckt:
“Hammer Horror” aus dem zweiten Album “Lionheart” – komischerweise nur Nummer 44 in England | |
Bushs Grimassen und Tanz sowie der komische Maskenmann in “Hammer Horror” sind nur auf den ersten Blick exaltiert-lächerlich – wenn man bedenkt, was man vor 35 Jahren sonst so zu hören und sehen bekam, wirkt das alles sehr, sehr avantgardistisch. Und man muss sich immer vor Augen führen – ihre Songs sind fast ausschliesslich Eigenkompositionen.
Ich kann dem Kommentar eines Users nur zustimmen: “How can this only have 101,137 views while so much? banal instantly forgetable tunes and performances reach viewing figures of many millions.” Die vielseitige Instrumentierung und die Rhythmuswechsel gefallen mir ungemein, und zwischendurch blitzen Gedanken an “Alan Parsons Project” auf – kein Wunder, Parsons’ Musiker spielen auch hier wieder mit.
Schön, dass man einen uralten Song erstmals hören und gleich als Ohrwurm neu ins Repertoire aufnehmen kann. Mit aktueller Popmusik klappt das nur noch sehr selten.
Das Stück ist eine Hommage an das traditionelle Film-Produktionsunternehmen “Hammer Films“, das unter anderem Draculafilme mit Christopher Lee herausbrachte. Vermutlich habe ich mit Kate Bush gemeinsam, dass diese Streifen die ersten Horrorfilme waren, die wir viel zu früh anschauten und danach nicht schlafen konnten.
Und wer’s dann doch lieber altbekannt mag: In Babooshka sieht sie aus wie eine Amazone aus dem fiktiven Film “Argo” im echten Film “Argo”. “Babooshka” stammt genau der Zeit von “Argo” und dürfte den Zeitgeist damit bestens getroffen haben.
Es ist der erste Song von Kate, an den ich mich tatsächlich erinnere; immer, wenn ich ihn höre, sehe ich mich in Cannes den Tim-und-Struppi-Band “Die Juwelen der Sängerin” kaufen (ja, die deutsche Ausgabe). Das war im Juli 1980, und ich sah damals so aus. Den Tanz aus dem Video finde ich dann allerdings ziemlich unfiligran-doof.
Wobei… manchmal bilde ich mir ein, dass ich mich an ihren Auftritt in “Bio’s Bahnhof” erinnern kann, aber das ist wohl wishful thinking. Könnte zwar schon sein, ich weiss noch, wie ich in diesem Sommer mit meinem Grossvater immer die Spiele der Fussball-WM in Argentinien geschaut hatte. Und meine Onkels schauten sich damals viele Musik- und Talksendungen an, wo ich mich unauffällig dazugesellte.
“The Sensual World” (1989) war dann der erste Hit, den ich in der Hitparade selbst ansagen durfte. Und nun werde ich endlich ihre neuen Songs mal in Ruhe anhören. Höchste Zeit.
Mir fehlt hier aber in der durchaus ausführlichen Aufzählung, dass sehr bekannte und ebenso oft gecoverte Duett mit Peter Gabriel, “Don’t give up”
Ich hatte gehofft, dass der Kommentar kommt – ich wollte im zweiten Teil lieber den etwas unbekannteren Song in den Mittelpunkt stellen und den ohnehin bekannten grossen Welthit nicht auch noch als Textverlängerung einsetzen. Aber natürlich hast du Recht!
Stellen Sie sich vor, Sie wären einer der erfolgreichsten Musiker ihrer Zeit, hätten jedoch seit 12 Jahren kein Album mehr veröffentlicht. Die Musikszene hat ein Jahrzehnt durchlaufen – ohne Sie. Sie hätten sich die Messlatte selber so extrem hoch gelegt, dass ein Scheitern nahezu vorprogrammiert ist. Was würden Sie tun?Die Antwort ist so einfach wie genial: Sie stehen über diesem Zwang und machen einfach das, wonach Ihnen ist und genau dadurch wird das ein voller Erfolg. Als Leitfaden für so ein Experiment würde ich Ihnen auf jeden Fall Kate Bushs neustes Werk „Aerial“ empfehlen.Am ehesten kann man den gewandelten Stil des neuen Albums bezeichnen als eine Mischung aus Songs wie „Moments of Pleasure“, „The Sensual World“ und „And Dream of Sheep“. Extreme wie „Breathing“, „Sat in your Lap“ oder „Waking the Witch“ wird man auf diesen über 80 Minuten nicht finden. Häufig reduziert sich die instrumentale Besetzung auf Piano, Gitarre, Bass und Schlagzeug. Alles ist ruhiger und entspannter geworden. Doch die musikalische Tiefe, die Kate Bush auf diesem Album erzeugt habe ich noch nie erlebt. Es ist fast schon erschreckend.