Etwas vom Faszinierendsten im ehemaligen Osten Berlins finde ich die Geschwindigkeit der Haussanierungen in den letzten 20 Jahren. Zu DDR-Zeiten überliess man die Häuser dem schleichenden Zerfall oder stellte zumindest nichts an damit, was in die Nähe westlicher Instandhaltungsmethoden kam.
Die paar wenigen übriggebliebenen Exemplare aus dieser Zeit wie z.B. die Pappelallee 80 (Bild rechts) mit ihren Einschusslöchern strahlen heute für Besuchende aus der herausgepützelten Schweiz einen besonderen Reiz aus.
Ein aktuelles Buch, das voll von Bildern von 1980-1990 ist, heisst “1055 Berlin. Fotos aus dem Prenzlauer Berg” und zeigt unzählige Fotos von Jürgen Hohmuth, nicht nur mit dem klassischen “Trabi-vor-grauem-Bröckelhaus”-Feeling, sondern mit viel Leben und Menschen.
Die Haussanierungen im ehemaligen Ost-Berlin haben dazu beigetragen, dass sich die ursprüngliche Mietenden die Wohnung nicht mehr leisten konnten. Oder wie Wikipedia sagt: “Während die historische Bausubstanz durch die Sanierung erhalten werden konnte, wurde in den Sanierungsgebieten das zentrale Ziel der Sanierung, die angestammten Bewohner nicht durch die Sanierung verdrängen zu lassen, nicht erreicht.”
Das vergisst man als Tourist oft, der an den schön zwäggemachten Gründerzeit-Gebäuden vorbeischlendert und in den Cafés sitzt. Bestenfalls erinnern die “Gehwegschäden”-Schildchen daran, dass noch nicht ganz alles so ist, wie es die Stadtplaner es möchten.
Insgeheim wünsche ich mir aber in Prenzlauer Berg mehr denn je, in eine Zeitmaschine steigen zu können, ins Jahr 1985 zurückzufahren, das Original live zu erleben, den Duft verbrannter Kohle einzuatmen… sehr dekadent und etwas freakshowmässig, ich weiss. Dieses und dieses Video sind aber ein guter Ersatz und liefern auch gleich den passenden Soundtrack: “Der King vom Prenzlauer Berg” (City, 1978) und Reinhard Lakomys “Das Haus wo ich wohne” (1974).
Ein stückweit habe ich solche “Hinter-dem-Eisernen-Vorhang”-Stimmungen im Vor-Wende-Ungarn auf Verwandtschaftsbesuchen selbst noch erlebt. Aber ich wette, dass ich nach spätestens einem Tag wieder in den wunderbaren Berliner November 2011 zurückkehren möchte:
Wechseln wir in den Friedrichshain. Auf der Suche nach der Wohnung an der Jungstrasse, wo die Verwandtschaft mal ein Semster lang studiert hat kurz nach der Wende, haben wir einfach mal fröhlich drauflosgeknipst, in der Hoffnung, daheim in der Papierfotosammlung ein Vergleichsbild aus der Vor-Sanierungs-Zeit zu finden.
Und tatsächlich – bei der Jungstrasse 20 wurden wir fündig (klicken für grosse Fassung)!
Wo heute das Café Leander steht, war 1993 noch alles verrammelt – genau so wie beim heutigen Café Butter (früher Eckstein) anno 1986 alles dicht war und heute fröhlich gebruncht wird. Der Panormio-User Einhart hat weitere solche Leckerbissen für Zeitreiseliebhaber parat.
Mehr Berliner Bilder vom November 2011 hier.
Soooo also sieht “meine” Strasse aus. 😉