Solcherlei sollte es mehr geben: Der “Kleine Bund” brachte am letzten Samstag Geschichten rund um sechs Grosselternteile: Briefe aus dem Krieg, ein töfffahrendes Avantgarde-Grosi oder Geschichten eines Grossvater, der in Südamerika versehentlich der eigenen Frau nachpfiff, weil er nicht sonderlich gut sehen konnte.
Irgendwie kamen mir die Namens- und Ortskombinationen in dieser Story bekannt vor, und tatsächlich, mit Magdalena hatte ich mich dereinst schon in einem unserer Schreibkurse über unsere halb-östliche-halb-bündnerische Vergangenheit unterhalten. So ist mir einiges nicht ganz fremd, was auch in diesem Kulturplatz-Beitrag zu sehen ist.
Und ich sinnierte wieder einmal über die eigenen Grosseltern nach, die 1956 aus Ungarn in die Schweiz flüchteten bzw. väterlicherseits ein nicht ganz einfaches Leben in der noch völlig untouristischen Surselva führten.
Nehmen wir doch das coole Projekt des “Erinnerungsbüros” zum Anlass, wieder einmal etwas im Fotoalbum meiner Grosseltern zu kramen und eine kleine Foto-Weihnachtsgeschichte zweier Familen zu schreiben, aus der vor rund 36 Jahren ein Ungarisch-Bündnerischer Klon entstand.
Oberalp-Passhöhe, vermutlich Ende 1920er- / Anfang 1930er-Jahre: Des Schreibenden Tatta bzw. Grossmutter (rechts) als fesche Bündner Ski-Lady
Am gleichen Ort: Tatta Antonia (links aussen) bewirtet Einheimische und Gäste – auf der Speisekarte: “Flaschenbier, Limonaden, Sirupe, Thee, Caffee, Diverse Liköre, Echt Enzian”
Vermutlich im Zweiten Weltkrieg (Tatta ist die zweite von rechts): Von den harten Wintern auf dem Alpsu wusste sie noch in den 1990er-Jahren kurz vor ihrem Tod lebhaft zu berichten, als sie selbst Verwandte nicht mehr erkannte. Schade, dass die Beiz nicht mehr in Familienbesitz ist – aber Regula macht das heute auch ganz gut 🙂
Ein Bauernsohn aus Mompé Medel bei Disentis tritt in Tattas Leben – 1948 ist das gemeinsame Haus am Sedruner Dorfrand fertig und ihr einziger Sohn kommt zur Welt.
Derweil in Ungarn: Tibor und Anna lernen sich in Sopron kennen und lieben. Von Sedrun haben sie noch nie etwas gehört…
Nach der Flucht anlässlich des Ungarnaufstandes 1956 schlägt die Familie ihre Zelte in Itingen (Baselland) auf.
Spaziergang am Oberbölchen ca. 1960 mit des Blökers Mutter (rechts aussen), seinen Urgrosseltern, der Grossmutter und zwei Onkeln.
Zur selben Zeit im Tujetsch: Gion Giusep Jacomet ist der lokale Ofenbauer – seine legendären Tavetscher Specksteinöfen stehen heute noch in so mancher Schweizer Stube.
1968: Die ungarische Emigrantenfamilie hat sich in der Schweiz bestens eingelebt; die Winterferien verbringt man Ende der 1960er-Jahre vorzugsweise in Sedrun, wo der Sohn von Gion Giusep und Antonia schnell ein Auge auf die hübsche junge Hilfsskilehrerin aus dem Baselbiet wirft…
Irgendwo auf einer Bergtour muss es dann im Herbst 1971 passiert sein – neun Monate später erblickt das erste Grosskind das Licht der Welt (hier 1974 mit dem Schlitten spielend, links aussen die basellandungarische Grossmutter, in der Mitte der Sedruner Grossvater).
Stolze Grosseltern, Teil 1: Anna und Tibor mit dem Verfasser dieses Textes im Sommer 1974.
Stolze Grosseltern, Teil 2: Antonia und Gion Giusep wenige Wochen später.
Gion Giusep betrieb neben seinem Specksteinofenbaugeschäft…
… in Sedrun einen Kiosk (er steht heute noch links neben dem Candindas Sport in Sedrun). Der Schreibende (links mit der blonden Mähne) liebte all den Ramsch heiss – vor allem aber die “Polar”-Täfeli, die er ab und zu geschenkt bekam.
Das Schicksal schlug wenige Wochen später zu – ein unverschuldeter Autounfall setzte Gion Giuseps Leben ein jähes Ende. Wie ich höre, war er ein flotter Kerl – ich hätte ihn gern besser gekannt. Diese Zeilen schreibe ich genau an jenem Ort, an dem im obigen Bild sein Sarg steht; rechts von mir wärmt sein Specksteinofen von 1948 die Sedruner Stube, und vielleicht steckt ja im hinter mir friedlich schnurrenden Kater Murrli ein wenig grossväterliche Seele.
Life must go on: Weihnachten 1977, auf dem Schoss meiner ungarischen Urgrossmutter.
Antonia führte bis zu ihrem Tod 1994 ein eher zurückgezogenes Leben mit sich und dem lieben Gott in Sedrun – meine erste grosse Reise konnte ich nur dank ihren regelmässigen Sparheft-Zustüpfen machen.
Anna und Tibor aka Anyu und Apu unternahmen weiterhin zahlreiche Reisen rund um diesen schönen Planeten zusammen (hier Australien 1993) und…
… verbrachten den Grossteil des Jahres bis 2003 bzw. 2007 in Südfrankreich – genau so muss man das machen. Drum liegt hier auch ein Teil ihrer Asche begraben: An einem Ort, den sie gehegt, gepflegt und geliebt haben.
Mein Weihnachtswunsch: Unternehmt möglichst viel mit euren Grosseltern, solange sie noch leben.
Viele von uns verdanken ihnen ein lebenslang prägendes “Best of Both Worlds”. Dafür kann man nicht oft genug Merci sagen – oder eben Köszönöm szépen bzw. Grazia fetg. Erholsame und friedliche Festtage allerseits!
“Die Menschen, in deren Leben du hineingeboren wirst, sterben nicht. Du trägst sie mit dir, wie du von denen, die nach dir kommen, getragen zu werden hoffst.” J.M.Coetzee
Mit den Worten des südafrikanischen Schriftstellers danke ich dir für diesen schönen Beitrag, in dem du deine Grosseltern ins Zentrum gestellt hast.
Ich wünsche dir frohe Weihnachtstage in Sedrun und einen guten Rutsch auf Skis und zu Fuss ins Neue Jahr 2009!
Dein Beitrag über Deine Grosseltern haben mich sehr berührt. Danke Dir herzlichst.
Wünsche Dir ein ruhiges ausklingen des Jahres 2008 und einen guter Start ins neue Jahr 2009!