Die Sesselbahnen am Oeschinensee und am Weissenstein sind die letzten ihres Typs in der Schweiz. Das Berner Von-Roll-Produkt mit dem für Seilbahnfreunde wie Musik klingenden Namen “VR 101” war ab Mitte der 1940er-Jahre DAS moderne Beförderungsmittel auf zahlreiche Berge und Hügel.
Die Fahrten auf den Weissenstein gehören seit meiner frühesten Kindheit zu den prägenden Erlebnissen punkto “Ausflüge an schöne Orte”.
Ab übers Nebelmeer. Sicht bis zum Säntis und Mont Blanc. Das Klicken und Rattern der Bahn aus dem Jahre 1950 werde ich mein Leben lang im Ohr haben. Das metallische Surren des Seils an den Stützen. Den charkteristischen Duft von Schmieröl, alten Militärdecken und Tarn-Pellerinen gibt es nur in den dortigen Stationen. Die hölzernen Stationsgebäude alleine sind architektonische Bijoux. Die Quersitz-Holzsessel sind Kult – es wäre ein Jammer, wenn sie dereinst nur noch statisch in Jakob Schulers Seilbahn- und Skiliftmuseum stehen würden. Zu einer “VR 101” gehört Bewegung, gehören Blood, Sweat and Tears: Schmieröl, Klackern und Wackeln.
Bekannt waren die Bahnen des selben Typs auf die First bei Grindelwald (zu den ebenso lustige Geräusche machenden Poma-Tellerliften), auf den Gumen bei Braunwald und aufs Niederhorn am Thunersee.
Nun sollen auch noch die beiden letzten “VR 101” durch moderne Gondelbahnen ersetzt werden, wie sie in hunderten von Skigebieten rund um den Globus schon stehen. Das ist auch in Ordnung – in Skigebieten wären die Sesseldinosaurier ein im 21. Jahrhundert nicht tolerierbares Nadelöhr. Aber am Weissenstein und Oeschinensee reicht die Kapazität an 95% der Tage längstens – es wäre ein Jammer, wenn diese Kulturgüter aus der Blütezeit des Seilbahnbaus im Pionierland dieser Branche herzlos verschrottet würden. Die Von-Roll-Bahnen aus Bern sind Ingenieur-Meisterleistungen; der Abriss der letzten Zeugen aus der Sesselbahn-Pionierzeit wäre eine Respektlosigkeit sondergleichen gegenüber den Gründervätern einer für dieses Tourismus-Land so wichtigen Branche.
Auch wenn der Unterhalt aufwändig ist und mangels Ersatzteilen viel massgeschneiderte Handarbeit erfordert: Marketingtechnisch liesse sich das Argument “Nostalgiebahn” zweifellos vermarkten. Es braucht Leute mit Herzblut, die sich ins Zeug legen.
Dampfschiffe werden massenhaft erhalten. Die JU-52 fliegt klapprig auch heute noch herum. Altehrwürdige Lokomotiven werden von Liebhabern unterhalten und erklimmen zahnradklickernd und rauchspeiend zahlreiche Berge. Die Vintage-Sesselbahnen aber werden massenhaft plattgemacht. Was läuft da falsch?
Nun ist es fünf vor zwölf: Der Widerstand wird nicht auf sich warten lassen. Einsprachen wurden deponiert. Das Bundesamt für Verkehr hat signalisiert, dass es punkto Sicherheitsauflagen mit sich reden lässt. Und es wird noch weiter gehen.
Am schönsten ist es auf dem Weissenstein (wo man auch gut essen und nostalgisch übernachten kann) an einem Wochentag mit schönstem Wetter. So wie gestern.
Ich bin Jahre lang Kunde der Bahn Flims-Foppa-Naraus gewesen. Habe die Technik damals schon faszinierend gefunden. Habe über die effizienten Deutschen gelacht, die sich geärgert haben, dass sie bei dieser Bahn die Skier ausziehen mussten. Verstehe nicht, wieso diese Bahnen plötzlich nicht mehr sicher sind. Wäre Schade, wenn nicht wenigstens eine dieser Bahnen erhlaten bliebe. Sie gehören zum Fundament des Schweizertourismus gehören.
Hier ein Bericht “Die querste Sesselbahn der Schweiz” des Regionaljournals Aargau-Solothurn von Schweizer Radio DRS, aufgenommen mit mir als Fahrgast Anfang Juli 2008.
Sollte sich die Adresse ändern – der Beitrag ist auch auf dieser Seite verlinkt.