Das waren noch Zeiten: “Wir wollen unserem Dorfe einen neuen Anziehungspunkt verschaffen. Es sollen mehr Fremde nach Sedrun kommen und zum Verweilen veranlasst werden.” Man würde nicht im Traum daran denken, dass sich diese Zeilen von Martin Busch alias Vic Hendry in der “Terra Grischuna” 6/1956 auf einen Ort beziehen, der Jahrzehnte später ein eher konservatives Abstimmungsverhalten bei Vorlagen an den Tag legt, wo es um “Fremde” geht. Nun, natürlich ging es bei den “Fremden” um Touristen, die nach dem Geldliegenlassen wieder von dannen zogen – und mit dem “Anziehungspunkt” war die Einersesselbahn Sedrun-Cungieri gemeint, die eine der schönsten Sonnenterrassen des Val Tujetsch erschliesst – pardon: erschloss.
Am letzten Sonntag war nämlich Schluss: Mit einer rauschenden Versteigerung (Bilder und Filme davon sowie von früher hier) der Sessel – so viele Leute waren noch nie da oben – nahmen Einheimische und Gäste Abschied von der Bahn, die viele während ihres ganzen Lebens immer wieder gerne benützt hatten, um einen Kaffee oder eine Rösti mit einer prächtigen Aussicht kombiniert zu geniessen.
Einersesselbahnen waren in den späten 1950-ern State of the Art und blieben – zumindest bis die Handys aufkamen – wohltuende Oasen der Ruhe: Kein Mitfahrer, der mit einem übers Wetter reden will und als Einstiegsfrage phantasievoll “sind sie vo do?” wählt. Einfach nur der Wind, das Rattern der Rädli, die Sonne, die Berge. In der Innerschweiz existiert noch eine baugleiche Bahn, diese ist jedoch nicht öffentlich – mit der Sutgera Cungieri wurde so auch ein Stück Seilbahngeschichte eingemottet. Drei der Grossen im Schweizer Seilbahnbau hatten hier ihre Finger im Spiel: Die Bahnen des Erbauers Gerhard Müller waren über Jahrzehnte weltweit beliebt. Die Revisionen machte die Firma WSO (Walter Städeli, Oetwil am See) – ebenfalls rund um den Globus bekannt für beste Qualität. Nachdem die WSO 1991 an die Garaventa in Goldau verkauft wurde, besorgte diese Firma den Unterhalt – sie ist ins weltweit grösste Konsortium von Seilbahnbauern eingebunden.
Den Sessellift sah man 1956 als wichtiges Symbol für den aufstrebenden Tourismus – Vic Hendry schrieb im oben erwähnten Heft: “Wir beharren auf der Meinung, dass der Fremdenverkehr alle Wirtschaftszweige befruchtet. (…) Es ist wohl sehr traurig, wenn wir unseren Lesern sagen müssen, dass es drei Viertel unserer Tavetscher Jugend mit dem Rhein abwärts zieht, weil wie eigene Scholle sie nicht zu ernähren vermag.” Fremdenverkehr und Befruchtung waren nebenbei gesagt auch für dieses Blog nicht ganz unwichtig: Hätte nicht einer dieser Tavetscher Jugendlichen mit einer Fremden Verkehr gehabt, gäbe es diese Zeilen nicht.
Die Sesselbahn, die am Anfang des grossen Tourismusbooms stand, ist nicht mehr – doch rund 50 Jahre nach der Euphorie rund um deren Eröffnung geht erneut ein Ruck durch das Tal: Der Bundesrat sagte gestern ja zur Porta Alpina, dem “Bahnhof Sedrun” im Gotthard-Basistunnel. Ich wäre gerne in der Fravia gewesen und hätte mitgefeiert – meine alte Heimat rückt so bedeutend näher. Nun wäre es möglich, sich im Herbst nach Feierabend schnell bei Marcus im Cresta Dieni mit seinen herrlichen Wildgerichten verwöhnen zu lassen (garantiert einheimisch – wer dieser Tage da ist, muss unbedingt den Steinbockpfeffer versuchen) und spätabends wieder nach Bern zurück zu kehren. Möge das Tal dabei nicht zu einem zweiten St. Moritz oder Gstaad werden.
zu deinen letzten zeilen: die tage der günstigen tages- und halbtageskarten und der ruhigen pisten dürften gezählt sein…
immerhin haben wir bis dahin noch etwa zehn jahre – und wer weiss, ob wir alten säcke dann noch skifahren 🙂