Heute vor fünf Jahren ging “Newsnet” (als “Newsnetz”) an den Start – und überraschte primär durch eine stattliche Anzahl Tippfehler. (Wir schauten damals ins Jahre 1996 zurück, als die erste Tagi-Website online ging.)
Man könnte meinen, im Jahre 2013 seien endlich alle Probleme gelöst – doch leider sorgt Tamedia nach wie vor für Ärger mit seinem Onlineangebot. Ich rege mich inzwischen täglich über die mobile Fassung des “Tages-Anzeigers” und seiner zugewandten Orte wie “Bund” und “Berner Zeitung” auf.
Was den Userinnen und Usern zwangsweise angedreht wird, ist ein Paradebeispiel von vermeintlich gut gemeintem Digitalschrott – eine klassische Bevormundung der Kundinnen und Kunden ohne eine einfache Möglichkeit, sich zu wehren.
“Responsive Design” scheint für Tamedia/Newsnet ein Fremdwort zu sein. Stattdessen werden User mit bestimmten Geräten auf eine so genannte “mobile App” geleitet, deren Adresse mit mobile2 statt www beginnt.
Whow, “mobile2” als Subdomain – was für ein kreativer Kopf hat wohl diese Adresse auserkoren?
Nun könnte man meinen, wer umsverrode die “mobile Fassung” einer Website wolle, könne zumindest beim ersten Besuch wählen, ob er das will. Dann wird ein Cookie gesetzt, und bis sich der User aktiv für die andere Fassung entscheidet, bleibt er bei der gewählten Version (selbstredend befindet sich irgendwo auf jeder Seite ein Wechsellink wie in diesem Blog hier).
Ich für meinen Teil halte viele “mobile Fassungen” (vor allem wenn sie einem aufgezwungen werden), die nervtötenden Popups (“wussten Sie, dass diese Seite als App verfügbar ist”) und auch viele “responsive Sites” (Seiten, die sich dem Bildschirm automatisch anpassen) für überflüssig. An einem Smartphone schätze ich eben gerade, dass meistens die “normale” Fassung einer Website problemlos zu betrachten ist – so auch beim Tagi.
Wenn ich wirklich das “mobile App-Feeling” möchte, lade ich mir – nomen est omen – eben die App runter. Wenn ich im Browser surfe (was meiner bescheidenen Ansicht nach immer noch Standard ist), möchte ich primär Websites sehen wie auf einem Notebook oder Desktop – sicher aber keine “mobilen Apps”, die sich auch wie solche anfühlen und abseits jeglicher Browserstandards bewegen.
Statt die normale Seite mit mehreren Spalten und vielen Geschichten auf einen Blick erhalte ich bei “mobile2.tagesanzeiger.ch” eine abgespeckte Fassung mit zwei Geschichten pro Ressort, und ich scrolle und scrolle und scrolle und scrolle, wenn ich runter will, und scrolle noch mehr, wenn ich wieder an den Anfang der Seite will.
Dummerweise hält sich “mobile2” auch nicht an Standards und Konventionen, an die sich viele Menschen – gerade versierte Benutzerinnen und Benutzer – gewöhnt haben (hier bezogen auf das iPhone):
- Die Webadresse eines Artikels lässt sich nicht aus der Adresszeile kopieren (die URL lautet permanent “mobile2.tagesanzeiger.ch”, auch auf Unterseiten)
- Ein Tippen auf die oberste Leiste führt nicht zum Seitenanfang
- Einen Link auf die reguläre Fassung gibt es nur auf der Startseite
- Es gibt keine Möglichkeit, Links in einem neuen Browsertab zu öffnen (ich scrolle meistens durch den Content und öffne Artikel, die ich später lesen will, durch langes Berühren und der Wahl des entsprechenden Links im Kontextmenu in einem neuen Hintergrund-Tab).
Für eines der führenden Medienhäuser des Landes ein reichlich seltsames Angebot.
Nun könnte ich zumindest mit iCab mobile – dem im Gegensatz zu Safari echt brauchbaren Browser für iOS – dem Tagi vorgaukeln, mein iPhone sei ein iPad (iCab sendet dann dem Server eine andere Browser-ID). Dann funktionieren aber diverse andere Seiten nicht so, wie ich es mir auf dem iPhone wünsche.
Ausserdem stockt “mobile2” oftmals und “dreht im Leeren” – wähle ich die normale Fassung, erscheint der Inhalt sofort. Auf “mobile2” hingegen darf ich teils minutenlang zuschauen, wie sich die nette kleine Animation dreht:
Ich kontaktierte Tamedia schon im letzten Winter, als die erste Fassung der mobilen Website für Ärger sorgte. Da beschied man mir, ich solle ?nomobile=1 an die Webadresse hängen, so würde die mobile Fassung umgangen. Ich passte meine Lesezeichen an, und so klappte das auch eine Weile.
Nebenbei gesagt nervte die mobile Version auch monatelang bei jedem Start mit der Spam-artigen Meldung, man solle mit einem Klick auf ein Icon den Link als Symbol auf dem Homescreen ablegen – dummerweise zeigte der Pfeil nur gerade bei Safari aufs korrekte Icon – von alternativen iOS-Browsern schien man bei Tamedia nie gehört zu haben.
All das hat dazu beigetragen, dass ich vermehrt andere Medienseiten konsumiert habe.
Vor einigen Wochen begannen sich dann auch Links aus Twitter und Facebook in der unbrauchbaren “mobile2”-Fassung zu öffnen, und der Spuk begann auch beim “Bund” und der “Berner Zeitung”. Seither kann ich kaum mehr einen in sozialen Medien verlinkten Tamedia-Text lesen, da in 90% der Fällen statt dem Content nur die kleine Dreh-Animation erscheint.
Es erhöht die Freude am digitalen Leben nur bedingt, wenn man Inhalte abrufen will, dann aber nur das da zu sehen bekommt:
Auf eine weitere Anfrage – mit den obigen Einwänden bezüglich Standard-Abweichungen ausgestattet – kam keine Stellungnahme zurück, wieso man dieses und jenes so und nicht anders mache, sondern ein knappes Mail:
Guten Tag
Ganz unten auf der mobilen Fassung gibt es einen Link “Zur klassischen Ansicht wechseln”. Dahinter versteckt sich dieser Link: http://www.tagesanzeiger.ch/?force_desktop=true
Mit freundlichen Grüssen
[Name des aktuellen IT-Leiters “Tages-Anzeiger Online”]
Unten stand noch der Text der Leserservice-Mitarbeiterin im Mail, die meine Nachricht weitergeleitet hatte: “Lieber XY, kannst Du evtl. diesem Leser technisch weiterhelfen? Danke und beste Grüsse, R” – doch, all dies wirkt höchst professionell.
Und sonst? – Keine persönliche Anrede. Kein Wort des Bedauerns. Nichts davon, dass sich dieser Link nur auf der Startseite befindet und sonst nirgends. Keine Anleitung, wie man einen nicht blockierten “mobile2”-Link aus Social Media rasch zum Laufen bringt oder umgehen kann.
Nicht gerade das, was man als langjähriger Leser von Tamedia-Produkten und als IT-affiner User punkto Kommunikation erwartet.
Die Rückfrage, ob der Parameter “?force_desktop=true” nun eine Weile lang so bleibe, blieb unbeantwortet. (Der geneigte Surfer denkt sich: Passen die nun jedes Jahr zweimal die URL-Parameter an? Ist das sinnvoll und sieht das nach einem gut geplanten Vorgehen aus?)
Kurz: Der Tagi hat hier auf Deutsch gesagt än rächte huere Seich produziert und tut gut daran, hier rasch etwas zu ändern. Und es vor allem wieder dem User zu überlassen, welche Fassung er sehen möchte.
wie wahr. für einen der grössten schweizer verlage ist das wirklich eine peinliche lachnummer. aber noch viel unterirdischer finde ich die website vom magazin aus dem gleichen haus:
http://blog.dasmagazin.ch
hier klaffen finanzielle möglichkeiten und reale umsetzung brutalstmöglich auseinander. ein jammer.
Besten Dank für den Link. ?force_desktop=true
früher war es ja mal ?nomobile=true der hat aber plötzlich nicht mehr funktioniert.
Und ich habe es mit der mobile app noch nie geschafft eine Seite bis zum bitteren ende zu laden. Ich hatte zwar vermutet, dass da unten mal so ein link kommt, aber wenn er halt auch nach Stunden noch nicht da ist, muss man ihn sich anders besorgen.
Besten Dank
Erfreulich: Nach diesem Beitrag kam dann doch noch eine höfliche und erfreuliche Reaktion vom oben erwähnten IT-Leiter. Er bedankt sich für die hilfreiche Kritik und schreibt netterweise:
Auch andere Verbesserungen würden geprüft. Gut! Na, wieso denn nicht gleich?
Die Kritik ist leider immer noch aktuell. Danke für den Link zur “echten” Version!
Seit zwei Wochen zeigt mein iPhone4 (V. 4.3.1) nur noch die mobile2 Adresse und die Seite ist weiss! Mit ?nomobile=1 kommt zwar die Front richtig, die Links schalten aber wieder um. Mit force_desktop geht es dann. Allerdings ist die Seite überladen und für ältere Handygenerationen viel zu langsam. Grosse Bilder und Ticker mit Ladezeiten forcieren das Problem.
Achtung, die korrekte Version seit heisst einigen Monaten http://www.tagesanzeiger.ch/?force_desktop=true
Man kann allerdings allgemein sagen, dass das Online-Angebot des TA dringend eine Modernisierung braucht.