Die Schere im Kopf – wie weit gehen beim Bloggen?

This Born schreibt in der heutigen Berner Zeitung BZ einen sehr interessanten Artikel (als JPG, 450 KB / als Link zur BZ) zum Thema “Reputationsmanagement im Netz”. Das Bloggen nimmt einen grossen Teil des Textes ein.

Gerade die Aussagen von Fürsprecher Fredi Hänni rufen uns Bloggern wieder einmal schmerzlich in Erinnerung, auf welch schmalem Grat wir uns jurstisch bewegen. Letztlich gelten die selben Regeln wie im “klassischen” Journalismus, nur wissen das vermutlich viele Blogger nicht und schreiben frisch von der Leber weg – was an sich auch begrüssenswert ist -, ohne die berühmte Schere im Kopf, auf die ich später nochmals komme.

Doch Fettnäpfchen lauern vielerorts: Persönlichkeits- und Ehrverletzung, üble Nachrede, Urheberrechtsverletzung, unlauterer Wettbewerb… URG, UWG, ZGB, StGB – alles Stichworte, die mich an die Medienrechtsvorlesungen im Sommersemester 1994 erinnern. Doch auch wenn mir das Thema weitaus näher ist als andere aus dieser Zeit: Es könnte nicht schaden, Bücher wie dieses oder dieses wieder einmal zu lesen.

Allein das Kopieren dieses Artikels dürfte gegen das Urheberrecht verstossen, zu dessen Einhaltung ich selbst appelliert hatte, als renommierte Medien Fotos von meiner Website zu klauen begannen – andererseits gilt auch das Gebot der Verhältnismässigkeit: Das Ziel dieser Verlinkung ist es nicht, einen Profit zu schlagen, sondern This’ Text als Basis dieses Posts zu erhalten, da unklar ist, wann die Berner Zeitung den Artikel von ihrem Server löscht oder den Link ändert (mehr zum Thema “Permalinks, die kein halbes Jahr halten” hier – da sind einfach viele Verlage noch nicht so weit).

Doch wie sähe dies ein Jurist? Hm, merken die das überhaupt? Tun sie was? Ich bin doch nur ein kleiner Blogger, aber, ha, weit oben in Google… – Das klassische Beispiel eines Bloggerdilemmas im Jahre 2008.

Schmal ist der Grat für Blogger vor allem, weil wir keine SRG und keine espacemedia sind – wir besitzen bestenfalls eine Rechtsschutzversicherung, aber in aller Regel keine Hausjuristen. Uns fehlt jener Rückhalt, der eine Kassensturz-Redaktorin hat – im Verurteilungsfall auch finanziell. Eine Klageandrohung treibt uns darum eher den Angstschweiss aus den Drüsen, auch wenn damit allfällige Kläger nicht angespornt sein sollen.

Juristische Schritte würden in den meisten Fällen auch eine gewisse Hilflosigkeit beweisen: Ich erachte Blogs als extrem praktische Gratisquelle für unzählige Organisationen, ihre Dienstleistungen oder Haltungen kostenlos einem sehr kritischen Blick unterziehen zu lassen (fair ist natürlich, wenn von Bloggerseite auch auf Verbesserungen und Positives hingewiesen wird).

Es ist aus meiner Warte ausdrücklich zu begrüssen, wenn in Blogs bitterböse geschrieben wird, wenn auch mal Grenzen überschritten werden, sobald es um Kritik und Kontrolle geht. Ehrlichkeit ist alles. Wenn man etwas Scheisse findet, kann man auch Scheisse schreiben, auch wenn ich selbst – Disclaimer ahoi – zwecks Glaubwürdigkeit natürlich einen fäkalienfreien Stil empfehle.

Aber es gibt auch eine menschliche Seite.

Genau an jene appellierte der in This’ Text eingangs erwähnte “Aktivist” nach dem Krawallen vom Oktober. Ich hatte seinen Leserbrief, den ich inhaltlich völlig daneben fand, an dieser Stelle zitiert. Nach wenigen Tagen lieferte Google bei einer Anfrage nach seinem Vor- und Nachnamen vier Treffer – JacoBlök zuoberst.

Der Leserbriefschreiber bat mich wenig später per Mail, seinen Namen zu löschen. Zuerst stellte ich mich auf den Standpunkt, er habe die Öffentlichkeit ja selbst gesucht, und er müsse sich nicht wundern, wenn diese Aussagen dann öffentlich diskutiert würden. Auch nach einem zweiten Mail wollte ich zuerst auf meiner Ansicht beharren.

Lohnt sich das? Nein. Der Verfasser ist offenbar Student – ihm nun bei seinen Bewerbungen Steine in den Weg zu legen, wäre unverhältnismässig. Ich wage nach seinen naiv über hilflos bis beleidigend klingenden Mails zu zweifeln, ob er schon im 21. Jahrhundert angekommen ist – aber Rachegefühle wären hier fehl am Platz, die so gewonnene “Macht” war mir beinahe unheimlich, und so löschte ich den Nachnamen; Google reagierte nach wenigen Tagen und listete nur noch ein Uni-Seminar und Sportveranstaltungen auf.

Das war die Schere selbst – schere.exe sozusagen. Da wäre aber natürlich die berühmte Schere im Kopf, schere.ini gewissermassen.

Die beginnt schon beim Sich-Fragen, was eine Juristin wohl dem Leserbriefschreiber raten würde: Ist mit der namentlichen Nennung eines Leserbriefschreibers in einem Blog der Bogen überspannt, nimmt doch die in einer Lokalzeitung gemachte Aussage umgehend den Status “global auf ewig archiviert” an? Welche Rechtsnorm könnte man hier anrufen? (Der Verlag seinerseits könnte sich dazu Gedanken machen, ob der Ausschnitt aus dem Brief denn überhaupt noch unters Zitaterecht fällt.)

Wird es dereinst eine “Lex Google” geben, die unter Strafe stellt, einen guten Google-Pagerank quasi “willentlich gegen jemanden einzusetzen”?

Wo ist die Grenze zu “willentlich”? Gibt es heute schon Rechtsnormen für solche Fälle?

Ich weiss nicht, ob ich in einigen JacoBlök-Geschichten die Grenze zur Strafbarkeit überschritten habe. Vielleicht ist das auch etwas naiv, aber ich gehe zunächst einmal von der Kritikfähigkeit der Angeschwärzten aus. Kürzlich erwähnte ein Betroffener die Möglichkeit einer Klage aufgrund des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG). Besonders wohl war es mir dabei nicht – andererseits würden solche Klagen dem Kläger vermutlich meistens mehr schaden als nützen, wenn sie öffentlich debattiert werden.

Ich schreibe gern pointiert, wenn nötig hart. Gehe im Hinterkopf, in den die LeserInnen allerdings nicht hineinsehen, stets davon aus, dass ich auf die Sache ziele und nicht die Person. Und will bei Konsumthemen auf Missstände aufmerksam machen, die viele Menschen in negativer Hinsicht betreffen.

Ich fragte mich dann aber: Sind die Begriffe fair, die ich verwendet hatte? Wir würde ich reagieren, wenn ich an der Stelle der Angeschwärzten stünde? Sollte ich das Thema nicht klassisch-journalistischer angehen anstatt zu polemisieren?

So ganz wohl war es mir dabei plötzlich auch nicht mehr. Letztlich gehts in der Kommunikation um Menschen, um Empfindlichkeiten. Auch wenn sich in der Geschichte schon oft gezeigt hat, dass “immer lieb und brav sein” zumeist wenig zielführend ist: Muss es immer die Brechstange sein?

“Vermehrte Selbstreflexion ohne sofortigen Schwanzeinzug” könnte man darob wohl postulieren.

Nun denn: Wie in der BZ erwähnt, wäre es mein Wunsch, dass sich mehr Betroffene im Blog selber äussern. Zensur ist unter Bloggern unüblich, sofern gewisse Grundregeln des Anstandes beachtet werden; in aller Regel würde eine Replik unverändert stehen bleiben und – je nach Qualität – so manchen Blogger ins Schwitzen bringen. Diskussionen sind immer spannend – schade, dass die meisten Kommunikationsabteilungen (oder noch lieber: Fachleute) hier sehr zurückhaltend sind.

Einige meiner “Lieblingsobjekte” äusserten sich schon in Blog-Kommentaren – Telefonbuchherausgeber ebenso wie Hotelbesitzer, nationale Verbände und Interessengemeinschaften. Meist gabs laute, aber gute virtuelle Gespräche.

Und wenns keine “offiziellen” Kanäle waren, legten sich in JacoBlök auch schon mal in ihrer Berufsehre gekränkte Verkäufer – soweit dies nachzuprüfen ist – für ihren kritisierten Arbeitgeber ins Zeug. Why not – ich fand das cool.

Etwas vorgestrig finde ich hingegen, wenn auf einen Blogeintrag hin (oder ein Mail mit der Bitte, sich doch bitte dort zu äussern, man sei an einer Diskussion sehr interessiert) ein schriftlicher Brief folgt. Mögliche Schlüsse: Da gibts offenbar zu viel Personal und Zeit, die leben noch im vorletzten Jahrhundert.

Wer heute in der Kommunikation arbeitet, hat zu wissen, was ein Blog ist und dass Blogger zumeist den elektronischen Austausch schätzen; am meisten aber einen Kommentar im Blog. Womöglich geben sie dergestalt sogar schneller Ruhe. Wie ich This im Gespräch gesagt habe: In einem Post erwähnte Personen sollten direkt im Blog reagieren. Der erwähnte Leserbriefschreiber lehnte dies übrigens ab; er wolle diesem Eintrag nicht noch mehr Öffentlichkeit geben. Schade – das wäre zweifellos eine interessante und hoffentlich konstruktive politische Diskussion geworden, die auch einen allfälligen Arbeitgeber hätte beeindrucken können.

Auch Studierende, die mit dem Computer gross geworden sind, scheinen noch nicht alle in der Gegenwart angekommen zu sein – und können es sich vermutlich auch nicht vorstellen, dass ein Unternehmen, das a) selbst bloggt und b) an Blogdiskussionen teilnimmt, in Zukunft von weiten Teilen der Bevölkerung ernster genommen und als cooler eingeschätzt wird wird als solche, die auf traditionelle Kommunikations- und PR-Formen setzen.

Aber so weit sind wir leider noch nicht – mit Betonung auf “noch”.

Der Person bzw. deren Organisation, die einen allfälligen UWG-Verstoss ortete, empfahl ich übrigens in einem konstruktiven Telefonat ausdrücklich, sich doch einer unzensurierten Diskussion hier im Blog selbst zu stellen. Die Antwort lautete sinngemäss: “Damit kenne ich mich nicht aus, ich kenne diese Welt nicht.”

Höchste Zeit, sich spätestens jetzt damit zu beschäftigen.

4 Kommentare

  1. Ich gehöre nicht zu jenen Menschen, welche gerne lange Blog-Postings lesen. Keine Ahnung wieso; vielleicht weil ich zu ungeduldig bin sobald ich mich im WWW befinde, vielleicht aber auch, weil ich aus Erfahrung weiss, dass in einem Grossteil der langen Blog-Posts schlussendlich ja eh nur hundert mal um den heissen Brei herum geschrieben wird und man den ganzen Post ebenso gut in 5 Sätzen hätte schreiben können.

    Dieser Artikel hier jedoch ist eine der seltenen Ausnahmen! Er ist lang, aber wirklich lesenswert. Gratulation zu diesem äussert gelungenen und enorm interessanten Post!

    Ich empfehle jedem Neo-Blogger, diesen Artikel mal durchzulesen, bevor er mit seinen Blog beginnt. Er enthält viele wichtige Hinweise, die man nicht ausser Acht lassen sollte.

    Und den tausenden von Firmen da draussen, welche sich bisher noch nicht mit dem Thema Web 2.0 und Blogs befasst haben, rate ich, dies nun umgehend zu tun.

    (Sind dies nicht genau die gleichen Firmen, welche anno dazumal fanden, sie bräuchten keine eigene Website in diesem mysteriösen “Internet”…?)

  2. Höchst Interessantes dazu, wie man beim Blogkommentieren stolpern kann bzw. wie man jemanden mit Google dauerhaft fertigmachen kann, steht hier.

    Schön, dass Peter am Schluss auch die “sanfte Tour” gefahren hat. Und interessant, dass er ähnliche Gefühle durchlebt haben muss wie ich mit dem oben erwähnten Fabian – nur auf einem noch krasseren Level…

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