Das neue Berner Bahnhofreglement

Am 1. Juni wird in der Stadt Bern über ein neues Bahnhofreglement abgestimmt. Vor allem das Bettelverbot im Bahnof ist umstritten.

Abgesehen von den bekannten Argumenten (niemand muss hierzulande aus akuter Not andere ohne Gegenleistung im Geld bitten) stechen vor allem zwei Aussagen in der Erklärung des Referendumskomitees ins Auge: “Betteln ist ein einfacher Vorgang, bei dem eine Person eine andere um Geld oder Essen anfragt.” – Falsch: Um Essen wurde ich noch nie gebeten; hingegen wurde mein Vorschlag, gemeinsam einen Happen zu kaufen, stets unwirsch abgelehnt.

Weiter: “Es ist und muss weiter erlaubt sein, unbekannte Menschen um etwas anzufragen.” – Falsch: Im öffentlichen Raum will ich nicht ständig von wildfremden Menschen um Dienstleistungen angegangen werden, ob nun eine Bettlerin oder die Cablecom mein Geld möchten. Ich will einfach zügig von A nach B kommen – ohne ständig angesprochen oder gar angepöbelt zu werden, was schon mal vorkommt, wenn man die Geldsammler einfach nicht beachtet.

Abgesehen davon gehts mir nicht in den Kopf, wie man mit gutem Gewissen jahrelang ohne Gegenleistung andere um Geld fragen kann – was ist das für eine Lebensphilosophie? Kein schlechtes Gewissen? Schräg ist zum Beispiel die junge Frau, die mich regelmässig höflich um Geld angeht und die ich dann einige Stunden später gemütlich im Starbucks bei teuren Drinks sehe. – Schade, dass nach der Annahme des Bahnhofsreglementes das Bittibätti zehn Meter ausserhalb des Banhofs weitergehen wird.

Nun – immerhin hat auch Rotgrün (oder zumindest “Rot” und “Grün-frei”) erkannt, dass solcherlei Tun viele Menschen nervt und dass nicht alle Minderheiten, die sich gerne in der Öffentlichkeit produzieren, um zu provozieren, immer und überall alles dürfen sollen. Es geht keineswegs um Ausgrenzung und “aus den Augen, aus dem Sinn”; solange die Jungs und Mädels Anpöbeleien und Betteln sein lassen, können sie von mir aus 24 Stunden lang im Bahnhof herumstehen, sitzen, liegen (solange zügig auf den Zug kann, wer will) – alles andere stört höchstens rechtsbürgerliche Fanatiker.

Mir würde es vermutlich in einem schönen Wald oder an der Aare besser gefallen – aber wenn sie sich, aus welchen Gründen auch immer, lieber in der Betonwüste Bahnhof oder bei der HG ausstellen… was solls. Bringt sowas wie Grossstadt-Flair nach Bern.

Vollends gestohlen bleiben können dem Blöker aber Kreditkarten- und Telekomfirmen; darauf hat nun wirklich niemand gewartet. Leider wurde in der Vorlage darauf verzichtet, auch kommerzielle mobile Stände gänzlich aus dem Bahnhofsbereich zu verbannen. Die stören am meisten. Das wäre ein echter Grund, die Vorlage zu bekämpfen.

Stattdessen verbeissen sich ansonsten vernünftige Menschen in Detail-Begrifflichkeiten wie “was bedeutet «ungebührliches Verhalten»” oder “was darf die Securitrans” – in Verkennung der Tatsache, dass die meisten Leute schlicht und einfach froh sind, wenn überhaupt jemand zum Rechten schaut im Berner HB-Untergrund. Wie wenn ab diesem Sommer irgendjemand wegen eines weggeworfenen Papiers in Handschellen abgeführt würde.

Quark: Zumal es vielen Menschen – wie in jedem grösseren Bahnhof auf dieser Welt – spätabends schon mal mulmig wird, brauchts das halt. Sofern ich wegen einer Bagatelle abgeführt werde, steht mir der Rechtsweg offen – und ein bissiges Medienecho ist so gut wie sicher.

Zurück zum überbordenden Kommerzmüll im HB: Immerhin sollen Bewilligungen für Stände nur “restriktiv erteilt” werden. Hoffen wir, dass wirklich auch so gehandhabt wird; die Spam-Stände hätte man gerne gleich auf dem ganzen Stadtgebiet verbieten können. Auch das Rauchverbot könnte auf bis 10m vor dem Bahnhofsareal ausgedehnt und wenigstens konsequent durchgesetzt werden.

Ob auf den Kleidern der Leute, die das tun, “Securitrans” oder “Police” steht, ist mir völlig egal. Hauptsache, ich komme in und um den Bahnhof effizient und ungestört von A nach B.

16 Kommentare

  1. Geht aus dem Weg, hier kommt Andi! Den meine Zeit ist knapp, den ihr wisst ja: Time is Money! Und alles was nicht grad Money für mich bedeutet, interessiert mich nicht!

    In diesem Sinne… einen wunderschönen Sonntag.

  2. Anonym markieren ist sowas von saudoof und feige.

    Ach, das Internet ist so geil – kurz mal austeilen, macht ja nichts, niemand weiss ja, wer ich bin. Keine Mailadresse eintragen, dazu noch nen phantasievollen Namen ausdenken – und sich dann freuen, wenn der Depp auch noch drauf reagiert.

    Very intelligent, momool! Falls 80-218-141-79.dclient.hispeed.ch wirklich diskutieren möchte, dann bitte richtig. Zum Beispiel mit Argumenten.

    Worauf basiert denn die implizite Behauptung, ich sei geldgierig? (Dennoch grossen Dank für den wertvollen Hinweis zum guten alten BAP-Song “Time is Cash Time is Money”.)

    Findest Du es toll, ständig angemacht zu werden im öffentlichen Raum?

    Wieso findest Du, dass man jemandem Geld geben sollte, der das vermutlich für Dinge ausgibt, die Du nicht so cool findest?

    Hälst Du es für möglich, dass jemand auf eidgenössischer Ebene die SVP-Mistvorlage ablehnt und das Bahnhofreglement annimmt? Wenn nein, wieso nicht?

    Was gefällt Dir an kommerziellen Ständen so sehr?

    Sind Dir Menschen egal, die womöglich gar Angst haben im Bahnhof? Oder ihn zu bestimmten Zeiten meiden? Wer ist da genau menschenverachtend?

    Was ist für Dich der Zweck eines Bahnhofs?

    Versuch, Argumente aufzuzählen, warum Dir das nicht gefällt, was ich schreibe. Dann kannst Du von mir aus auch anonym bleiben – es geht um die Sache. Dann gibts vielleicht eine interessante Diskussion. Aber einfach kurz mal an den Baum pissen und weitergehen ist nicht besonders cool.

  3. Danke für den Hinweis auf das Bettelverbot. Das ist faktisch ein Rayonverbot. Und das Rayonverbot hat nichts gebracht:

    Bern wurde weder sicherer noch sauberer: Das Resultat war ein sinnloser und teurer Polizei- und Verwaltungsleerlauf. Er gipfelt darin, dass wiederholt wegen Missachtung der Wegweisung gebüsste mittellose Personen ihre Bussen im Gefängnis absitzen. Für einen Gefängnistag, der die Steuerzahlenden mehrere Hundert Franken kostet, wird ihnen 30 Franken der Busse erlassen.

    Und ganz ehrlich: Wenn ich durch den Bahnhof muss, dann sind mir die Bettler wesentlich weniger im Weg als die vielen Mitpendlerinnen und Mitpendler. Die wollen nämlich irgendwie immer in die andere Richtung als ich und haben kein Problem damit, mich anzurempeln, wenn ich nicht aufpasse. Die bettelnden Obdachlosen, Fahrenden oder Junkies hingegen haben mich noch nie angerempelt; an denen kann ich im Gegenteil ganz einfach mit einem “Nein” vorbeigehen.

  4. OK – das ist ein Wort, Matthias. Danke für den Kommentar.

    Natürlich kann man bei Lichte betrachtet durchaus sagen: “OK, ich sag nein, und damit hat sichs.” Aber mich störts halt, ständig von wildfremden angequatscht zu werden. Egal, ob Kommerzler oder Bettler. Das einzige, was imho akzeptabel ist, sind Unterschriftensammlungen für Initiativen und Referenden.

    Ausserdem – wie oben beschrieben – nervt mich diese Lebensphilosophie. Ich glaube auch nicht daran, dass wirklich die Bedürftigen betteln. Gäbe es bei der Stadt Gutscheine für die Notschlafstelle oder für Esswaren / Softdrinks zu beziehen, die man kaufen und den BettlerInnen geben könnte (die sie dann bei allen Grossverteilern einlösen könnten) – ich wäre der erste, der das tun würde.

    Wetten, dass die kaum jemand wollen würde?

    Und nebenbei… wieso ist der Berner Bahnhof der einzige hierzulande, in dem ich verkehre, wo gebettelt wird?

    Aber wie stehts mit den vielen Kommerzaktionen und Ständen? Die nehmen doch sehr viel Platz weg, welcher den Bahnhof etwas rempelfreier machen würde.

    PendlerInnen müssen halt am Bahnhof zwangsläufig vorbei – kommerziell oder sonstwie Bettelnde müssen das eigentlich nicht…

  5. Was bringt uns der Generalverdacht, dass das alles nicht wirklich Bedürftige sind sondern scheinbedürftige Abzocker? Mit solchen Argumentationsweisen wären wir doch fast schon auf SVP-Niveau. Und das fände ich sehr bedauerlich.

    Natürlich hat’s auch professionelle Bettelbanden; natürlich hat’s Leute, die das Betteln quasi als Hobby betreiben; natürlich werden die Junkies das Geld in Drogen investieren; natürlich sind viele Bettler auch Kleinkriminelle. Aber seit wann muss man eine Gewissensprüfung ablegen, bevor man den Bahnhof betreten darf?

    Alkis vertreiben, Bettler vertreiben, Junkies vertreiben, auf der Treppe sitzende Jugendliche vertreiben… alles, was irgendwie unbequem sein könnte (und auch kein Geld einbringt!) wird weggeputzt. Diese Vertreibungspolitik ist mir einfach unheimlich. Sondergesetze gegen Leute, die in den meisten Fällen ohnehin schon schlecht genug dran sind, finde ich einfach mies. Meiner Meinung nach haben die “hesch mer e Stutz”-Leute dasselbe Recht, sich im Bahnhof aufzuhalten, wie alle anderen Menschen. Auch wenn sie nerven.

  6. Momeeeent… bitte Originalpost genau lesen!

    So lange Alkis, Bettler, Junkies einfach anwesend sind, habe ich und haben viele andere überhaupt kein Problem damit. Es geht nicht um den “Anblick”. Es geht um die aktive “Ansprache”, die genau das Quentchen zuviel ist.

    Ich hatte zB nie was gegen die Alkis am “Stein” – sie haben für mich auch nichts Furchteinflössendes. Sie sind einfach anders als die meisten – und das ist gut so. Gegen diese Vertreibungspolitik “aus Prinzip” ist entschieden zu protestieren.

    Ich bestreite nicht, dass einige Bettler womöglich bedürftig sind. Die Frau, die ich nach dem Betteln immer im Starbucks sehe, ist es allerdings auch laut einer Sozialarbeiterin, die ich kenne, garantiert nicht. Ebensowenig vermutlich die sympathische, aber in der Penetranz nervende junge Frau, die in der Neuengasse immer wechselnde, aber immerhin fröhliche Sprüche drauf hat.

    Aber wieso wenden sich die Bedürftigen nicht an jene Stellen, die die Gesellschaft über andere Wege für sie finanziert? Wieso treten sie ausgerechnet da auf, wo das “Nervpotential” am höchsten ist, wo man am schnellsten von A nach B können sollte?

    Auch nochmals: Einem Junkie oder Obdachlosen, der in Ruhe in der Wärme pennen will, bezahl ich gerne seine Übernachtung – wenn ich sicher sein kann, dass er die Kohle auch dafür braucht. Gutscheine wären ein Ausweg.

    Und: Wieso soll man im Bahnhof auf der Treppe sitzen dürfen, mitten in den Pendlerströmen? Da widersprichst Du dir irgendwie selbst – einerseits stört Dich das Angerempeltwerden, aber offensichtlich willst Du den spärlich vorhandenen Platz nicht voll ausnützen. Es gibt hunderte von Orten, wo man rumsitzen kann, ohne mitten im Gläuf zu sein.

    Ich finds auch etwas schade, dass man als Linker, der auch mal pointiert eine andere Meinung als “links von der linken Mitte” vertritt, immer gleich implizit in die andere Ecke gedrängt wird (“fast schon auf SVP-Niveau”).

    Es geht einfach nur um “in Ruhe gelassen Werden im öffentlichen Raum” – das finde ich weder ein linkes noch rechtes Anliegen, sondern bestenfalls ein Anliegen aller Pendler.

    Und auch von Leuten, die etwas älter sind als wir und die vor Leuten mit einem bestimmten Aussehen schlicht Schiss haben und sich bedroht fühlen. Versuch, Dich mal in die hinein zu denken. Haben ältere Menschen weniger Rechte? Wer soll sich wem anpassen?

    Wir sind wieder mal beim alten Thema “Rücksichtnahme”… es geht überhaupt nicht ums Wegputzen, sondern drum, dass man sich einigermassen so aufführt, dass es möglichst wenig Leute stört.

    Wieso soll diese Maxime für “Randständige” nicht gelten?

  7. Entspann dich, der nicht getaggte Kommentar war keine bewusste Aktion, dieser Blog ist mir nicht so wichtig wie dir (sic!) und ich wollte bloss kurz meinen Ersteindruck auf diesen Text loswerden.

    Um meine Argumentation etwas mehr auszuführen (Ja, auch der obere Kommentar enthält ein Argument!): Meine Behauptung ist die, dass du in Bezug auf diese Abstimmung sehr egozentrisch argumentierst. Da stellte sich mir die Frage, woher kommt diese absolute Notwendigkeit 10 Sekunden schneller von A nach B zu kommen? Woher kommt das Interesse am Austausch im Internet (welches du ja offensichtlich hast, wie wir hier sehen), bei gleichzeitiger Berührungsangst mit “wildfremden” Menschen im öffentlichen Raum?

    Um deine Fragen zu beantworten:
    Ich wurde eigentlich noch selten bis nie “angemacht” im öffentlichem Raum. Wenn du damit Bettler, für “wohltätige” Zwecke sammelnde Studenten oder cablecom-Mitarbeiter meinst: Unter “Anmachen” verstehe ich etwas anderes. Diese sind mir eigentlich egal.

    Dass man jemandem Geld geben sollte habe ich nie gesagt. Ich denke dass liegt im Ermessen jedes Einzelnen.

    Dass jemand die Einbürgerungsinitiative ablehnt und das Bahnhofreglement annimmt, halte ich durchaus für möglich. Wie du im letzten Kommentar schon erwähnst: Man muss nicht in rechts-links-Schemata stimmen, es ist alles eine Frage der Argumentationsansätze. Ich habe dir auch nie SVP-Dialektik, sondern einen egozentrischen Argumentationsstrang unterstellt.

    An kommerziellen Ständen gefällt mir nichts, aber auch wirklich gar nichts. Da sind wir uns durchaus einig – wenn auch aus anderen Gründen: Für dich nerven sie einfach, ich finde es einerseits nicht vertretbar, mit den gleichen Argumenten Minderheiten auszugrenzen und kommerzielle Stände unberührt zu lassen (Lobbyarbeit trägt Früchte…), andererseits sind von den Restriktionen gegen Minderheit Menschen betroffen, was im Diskurs berücksichtigt werden muss, während beim Verbot der kommerziellen Stände noch nicht einmal die Wirtschaft wirklich Schaden davontragen würde (Die “RailCity” ist eh schon ein Warenhaus).

    Mir sind Leute, auch Alte, die Angst haben, nicht egal. Ich möchte diesbezüglich aber erwähnen, dass es kein Recht auf keine-Angst-haben gibt, den sobald wir das annehmen, beginnen wir mit dem Bau eines paranoiden Überwachungsstaates und landen sofort im Sicherheitsfanatismus. Irgendwer hat immer Angst. Solange keine Aussicht auf Straftaten besteht, gibt es keinen Grund, einzugreifen. Mehr als zurückhaltend Präsenz markieren liegt dann auf keinen Fall drin! Wer trotzdem noch Angst hat, hat – so hart es auch tönt – selbst ein Problem.

    Ein Bahnhof hat sicherlich einen grösseren Zweck, als bloss Reisende von A nach B zu bringen. Das sieht selbst die SBB so. Bahnhöfe sind zentrale und stark frequentierte öffentliche Räume und haben als solche auch als Aufenthalts- und Begegnungs-, nicht nur als Konsum- und Transportraum zu dienen. Zudem bilden sie, durch ihre hohe und relativ breite Frequentierung, die Gesellschaft ab und haben damit auch eine gewisse soziale Verantwortung.

    Bezüglich den Bettlern möchte ich zum Schluss noch eine Sache erwähnen. Du hast mit deinen Argumentationen in den Kommentaren wohl teilweise Recht – besonders was die Essensthematik und Drogenabhängige angeht. Was aber dein Starbucks-Exempel angeht: Es gibt weder ein Konsumverbot für Bettler noch ein Sozialstaatsobligatorium für Arme. Es ist – und das soll es auch! – jedem frei stehen, ob er von den Leistungen des Sozialstaates profitieren will. Und ob du das Geld nun via Steuern oder auf der Strasse zahlst, kann dir ja egal sein, oder? Oder möchtest du vielleicht doch lieber keine Zeit und/oder Geld für die Leute zahlen, die sich nicht an unserer Konkurrenzgesellschaft beteiligen wollen/können?

  8. Aha, der Beobachter hat ja einen Namen – also doch. Merci.

    Da stellte sich mir die Frage, woher kommt diese absolute Notwendigkeit 10 Sekunden schneller von A nach B zu kommen?

    Die ergibt sich z.B. daraus aus solchen Beispielen, wie sie die meisten Pendler kennen (wobei ich kein Pendler bin): Um 17.04 fährt mein Zug zu meinem Göttibub, den ich einmal pro Woche besuche, oder nach Zürich zu meinen besten Freundinnen usw. Bis 16.50 Uhr arbeite ich meist, damit ich mein Tagessoll bei meinem Brotjob durchbringe. Gemäss Murphys Gesetz kommt dann meistens um 16.40 Uhr noch ein Dokument, das dringend aufs Netz muss, oder jemand, der noch ne Auskunft will. Das könnte ich auch im Zug noch auf dem Laptop machen, OK – will ich aber nicht. Das heisst, ich muss a) zügig mit dem Velo zum HB kommen (was die rotgrüne Regierung seit Jahren verpennt) und b) im HB schnell durchs Gewühl kommen. Und bevor nun jemand mit Arbeitszeiteffizienz kommt: Nein!

    Woher kommt das Interesse am Austausch im Internet (welches du ja offensichtlich hast, wie wir hier sehen), bei gleichzeitiger Berührungsangst mit “wildfremden” Menschen im öffentlichen Raum?

    Weil wir hier auf einer von mir aus gesehen guten Ebene Meinungen austauschen. “Hesch mer en Stutz” oder “Kennen Sie schon die neuen Angebote von XY” oder “Spenden Sie für die Gesellschaft AB” erfüllen imho nicht den geringsten Anspruch an einen Diskurs, wie ich ihn mir vorstelle. Ich mag auch nicht eine Sekunde meines wertvollen und einzigen Lebens für sowas verschwenden. Ich denke, dass die Chance, gute Freundschaften zu finden, weder bei Bettlern noch Kommerzfuzzis sehr gross ist – so gesehen verpasse ich nichts. Ebensowenig wie bei Blabla-Smalltalk an Apéros mit Leuten, die ich vermutlich nie mehr sehe. Ich bin mit meinem FreundInnenkreis und sozialen Netz ganz zufrieden und lerne dort genügend neue, interessante Menschen kennen. Ja, das mag etwas egoistisch sein, ich gebs zu.

    andererseits sind von den Restriktionen gegen Minderheit Menschen betroffen, was im Diskurs berücksichtigt werden muss

    Ist es denn eine “Restriktion”, wenn man von allen an diesem engen Ort ein Verhalten verlangt, das so ist, dass es möglichst vielen Menschen an diesem Ort gut geht?

    Eine Gesellschaft kann grundsätzlich nur so funktionieren. Es ist immer ein Balanceakt zwischen soviel Freiheiten wie möglich gewähren und so wenig Restriktionen. Vergleichs mit dem Rauchverbot: Auch hier muss das Verhalten normiert werden, damit möglichst viele Menschen es “gut haben”, da es mit Freiwilligkeit nicht klappt.

    Ist es eine “Restriktion”, etwas zu verbieten, das schlicht überflüssig ist?

    Wieso kommt eine rotrgrüne Regierung auf die Idee, ein Bettelverbot im HB einzuführen? Wieso wird in einem ganz klar links dominierten Stadtparlament, das sehr sozial eingesellt ist, ein gesamtstädtisches Bettelverbot nur mit Stichentscheid des Präsidenten abgelehnt? – Weil offenbar sehr viele Leute diese Unsitte satt haben. Und weil niemand betteln muss.

    beginnen wir mit dem Bau eines paranoiden Überwachungsstaates und landen sofort im Sicherheitsfanatismus.

    Daran glaub ich eben überhaupt nicht. Bei allen Verboten kommen immer alle grad mit diesem “Killersatz”, der auf alles passt: Rauchverbote, Tempolimiten, Alkoholverbote, auf den Boden Kotzen… yeah, komm, wir heben alle Verbote auf. Wir schaffen ZGB und StGB ab. Sollen doch alle so frei wie möglich alles tun, was sie grad wollen. Ist doch easy! Super!

    Paranoid sind vor allem die, die zu lethargisch sind, mit vielleicht manchmal (leicht) unangenehmen Einschränkungen zu leben, die letztlich dem Wohle vieler Menschen dienen. Das betrifft mich auch – ich fände es auch angenehmer, wenn ich am engen Raum im HB das Velo überall einfach hinstellen könnte. Weil es aber ein Saupuff gäbe, wenn es keine Regeln gäbe, gibt es sie eben.

    Zudem bilden sie [die Bahnhöfe], durch ihre hohe und relativ breite Frequentierung, die Gesellschaft ab und haben damit auch eine gewisse soziale Verantwortung.

    Das ist für mich nun wirklich Linksaussen-Papier-Theorie. Bahnhöfe mit sozialer Verantwortung? Nä-ä.

    Lass mich dazu Stadtrat Peter Künzler (GFL) aus der aktuellen Broschüre der Grünen Bern zitieren: “Die GFL geht davon aus, dass der öffentliche Raum allen gehören muss und für alle attraktiv sein muss. Und zwischen verschiedenen Gruppierungen gibt es Konflikte: Was eine ältere Frau als bedrohlich erlebt, ist für einen Alkoholabhängigen mehr oder weniger Alltag. Was dem Eishockeyfan als lustiger Zug durch den Bahnhof vorkommt, ist dem eiligen Zugbenutzer lästig und für die Mutter mit den kleinen Kindern an der Hand beängstigend. Als Grüne wollen wir ganz besonders beim öffentlichen Verkehr, dass alle Bevölkerungsgruppen den Bahnhof möglichst spontan benutzen. Und deshalb braucht es Regeln, wie wir im engen Bahnhofsraum aneinander vorbeikommen.”

    Die beiden unterschiedlichen Positionen von Grünem Bündnis (GB) und Grüner Freier Liste (GFL) sind übrigens in diesem JPG abrufbar.

    Es gibt weder ein Konsumverbot für Bettler noch ein Sozialstaatsobligatorium für Arme. Es ist – und das soll es auch! – jedem frei stehen, ob er von den Leistungen des Sozialstaates profitieren will. Und ob du das Geld nun via Steuern oder auf der Strasse zahlst, kann dir ja egal sein, oder?

    Nein, denn Variante 1 (z.B. Sozialhilfe, Drogenanlaufstellen usw.) ist relativ gerecht und effizient, während Variante 2 (z.B. Betteln) ungerecht ist, Variante 1 unterläuft und viele Menschen nervt (“kann ich ächscht noch ein wenig mehr rausholen, ach, das bizzeli Betteln am HB kann ja nicht so schlimm sein”).

    Oder möchtest du vielleicht doch lieber keine Zeit und/oder Geld für die Leute zahlen, die sich nicht an unserer Konkurrenzgesellschaft beteiligen wollen/können?

    Wenn diese Leute das nicht wollten, wären sie nicht an unter dem Strich ungemütlichen, unattraktiven Orten wie dem HB, mitten in der ach so bösen Konkurrenzgesellschaft, sondern – wie im Originalpost angedeutet – an der Aare, am Waldrand, im Grünen draussen usw., wie das ja einige Wohnwägeler tun und von mir aus auch tun dürfen (auch hier wieder: so lange sie Nachbarn nicht auf den Keks gehen, was meistens nicht der Fall ist).

    Wenn jemand so ein Leben will, soll er/sie das gefälligst selbst finanzieren – ich kann auch nicht an einen beliebigen Ort auswandern, nur weil mir das gefällt. Und schon gar nicht würde ich mir meine Bleibe da dadurch finanzieren, andere ohne Gegenleistung im Geld zu bitten. Ich spende im Jahr recht viel Geld für Organisationen, die Dinge tun, die in meinem Sinn sind, selbst wenn ich verglichen mit anderen in meinem Alter nicht im Geld schwimme. Aber jeder/jede soll die Façon, nach der er/sie leben will, doch bitte selbst finanzieren. Selbstredend wäre ich umgehend für eine Plafonierung der Maximallöhne zu haben, für höhere Minimallöhne, höhere Steuern für höhere Einkommen, lohnabhängigen Krankenkassenprämien usw.; siehe u.a. hier.

    Die Erträge daraus sollen aber jenen zugute kommen, die für die Gesamtgesellschaft Sinnvolles leisten oder die es schwer haben: Die Familien grossziehen zum Beispiel. Behinderte. Kranke.

    Wer mit seiner Situation abseits der Konsumgesellschaft zufrieden ist – super! Versteh ich sogar gut. Die brauchen dann aber sicher nicht eben jenen Teil der Gesellschaft um Almosen zu bitten, den sie verachten. Und wer unzufrieden ist, etwas ändern will… auch gut! Solange ich aber nicht spüre, dass man aktiv was tut dafür und sich Mühe gibt, interessieren mich diese Leute nicht wirklich, wenn sie einfach Stutz wollen – dafür gibt es spezialisierte Institutionen.

    Ich habe ein immenses Problem damit, wenn ich sehe, dass eine Bekannte mit mannigfaltigen Problemen grösste Mühe hat, eine IV-Rente zu bekommen – während andere täglich hunderte von Franken sammeln, um sich *irgendwas* damit zu leisten, ohne dass sie eine Gegenleistung erbringen. Das ist für mich eine schreiende Ungerechtigkeit.

    Ich denke, viele dieser Bettelnden unterliegen auch einer Art permanentem Selbstdarstellungsdrang – sie stellen sich und ihre Art zu leben gerne aus, verkennen aber, dass das eigentlich niemanden interessiert; schon gar nicht an einem Ort, um den Kreis zu schliessen, an dem man einfach so effizient wie möglich von A nach B kommen möchte…

    Und Du hast schon Recht – da bin ich “old school”: Wer Kohle will, soll auch was tun dafür, nicht bloss die hohle Hand machen – dasch en Fuule. Doch nochmals: Die alleinige Anwesenheit ist völlig OK.

    Und als halber Rätoromane und Viertel-Secondo halte ich Minderheitenschutz selbstredend für nicht ganz unwichtig. Mit der oben abrufbaren Position der GFL kann ich bestens leben; das GB geht mir in der Toleranz bei dieser Vorlage zu weit.

  9. also ich finde es schon nicht so toll von bettlern angequatscht zu werden… (aber cabelcom und co nerven mich genauso). wobei ich nur angeredet werde, wenn ich ohne die kinder unterwegs bin. und dann habe ich seit letztem jahr eine super antwort: “sorry, ich hab drillinge…” die bettler reagieren meistens sehr freundlich und müssen lachen. aber in der schweiz ist es wirklich so, dass niemand das betteln nötig hat – es ist also selbst gewählt und somit total unnötig.

  10. Neben den Kreditkarten- und Telekommunikationsfirmen möchte ich auch noch die Buchclub-, Gewerkschaften-, undsoweiter- Firmen erwähnen.
    Was mir z.B. immer noch nicht klar ist, wieso eine Gewerkschaft auf der Strasse nach Mitgliedern sucht. Von daher kommt mir eine gewisse Gewerkschaft mit dem wohlklingenden Namen einer Frau (abgesehen von einem Buchstaben) nicht so seriös vor…

  11. Mein Arbeitsplatz ist/war in unmittelbarer Bahnhofnähe, der Heimweg führte am “Stein” vorbei oder dann vor dem Schweizerhof durch an den Loeb-Egge während des Umbaus. Zwei, drei Mal habe ich einen Zweifränkler gegeben, irgendwie war mir dann einfach danach. Obwohl ich weder mit der Lebenseinstellung der Leute noch mit deren Erscheinung etwas anfangen kann, dachte ich mir, Du hattest heute einen guten Tag, hast Dir den Arsch voll verdient (relativ gesprochen! Absolut stimmt das nur bedingt…), gehst heim in die chice Wohnung (auch das relativ), komm hab’ Dich nicht so. Mir tat es überhaupt nicht weh, aber vielleicht war er/sie einen Moment glücklich. Es spielt aber eine wesentliche Rolle, wie ich gefragt wurde, und auch da ist der Bauch das Entscheidende.
    Klar, dank solchen wie mir bleiben die Tauben auf dem Markusplatz, aber… u de?

    Bringt sowas wie Grossstadt-Flair nach Bern.

    Nun, aus einer wirklichen Grosstadt bloggend, kann ich sagen, dass der Bahnhof-Berner wirklich sehr verwöhnt ist. Die Christiania-Wohlgesinnten, Mittlerer-Osten-Immigranten und sonstigen schrägen Vögel, die sich in Kopenhagens Küche bei schönem Wetter rotten, sind ein ganz anderes Kaliber. Mir wird die “Situation” am Berner Bahnhof wohl kaum mehr auffallen.

    Ach ja: Meine Meinung zur Abstimmung: Keine. Ich erachte die Problematik als schlicht zu wenig wichtig. Allerhöchstens über die Firmenquassler könnte man streiten. Diese wegzukriegen, das läuft jedoch auf einer anderen Ebene ab, über die Bewilligungen an die Firmen. Da braucht es einfach eine andere Praxis seitens der Stadt (falls sie die Bewilligungen erteilt). Zu den RailCity Events, die zugegebenermassen auch nerven, muss ich mich des Kommentars enthalten 😉

  12. Lesenswert zu dieser ganzen Debatte heute ein Artikel von Barbara Spycher in der Südostschweiz. Sie sprach mit Bettlern in der Stadt Bern. Wenn man die Begründungen der Bettler liest, dann schreibt man erst recht ein Ja auf den Stimmzettel:

    Da haben wir Patrick: “Er könne nicht länger als ein paar Monate arbeiten, dann werde er ‘extrem gestresst und gereizt’. Aufs Arbeitsvermittlungs- oder Sozialamt mag er nicht gehen. Darum bettelt er. Bis er wieder Lust bekommt zu arbeiten. […] Er wolle nicht ‘profitabel’ sein für den Staat.”

    Oder Klaus: “Er will nicht gebunden sein, etwa ans Sozialamt.”

    Eine Sozialarbeiterin hat mir einmal erklärt, dass in der Schweiz niemand betteln muss. Auch wenn das Netz tief hängt, wird niemand verhungern und obdachlos sein.

    Also sehe ich a) nicht ein, warum es immer noch Leute gibt, die diese unnötige Tätigkeit durch Geld fördern und b) warum man diese im öffentlichen Raum störende Tätigkeit gesetzlich nicht verbieten sollte.

  13. @Drillingsmami, ich habe laut gelacht über deine humorvolle, nicht verletzende Antwort aufs Anschnorren. Wüsste ich wie, würde ich hier mindestens drei kleine, gelbe Smileygesichter eintippen!
    Da ich so sozial aussehe, werde ich häufig in der Stadt angebettelt. Wenn die Anmache originell oder sympathisch ist, greife ich schon mal ins Portemonnaie. Das, so finde ich, ist meine ganz persönliche Sache. Nicht verputzen kann ich dreiste, unverschämte, distanzlose Typen oder solche, die mich und die anderen Mitfahrenden im Tram mit Musik unbestimmter Gattung bedudeln, und mir dann noch aufsässig ein Spendenbeutelchen unter die Nase halten.

  14. Ojemine, ja, die gibts ja auch noch – tauchen unvermittelt spammermässig auch vor Beizen auf, und man würde ihnen am liebsten Geld geben, damit sie aufhören.

    Der Lehrgotte muss ich aber sagen: Wenn Du gratis Geld verteilst, dann hört das leider nie auf…

  15. Et voilà: Das neue Bahnhofreglement ist mit 75% Ja-Stimmen ganz klar durchgekommen. Das wertet den coolen neuen HB doch nochmals auf. Deutlicher gehts wohl kaum.

    Dass die Stadt aber nicht auf Intoleranz setzt, zeigt die wuchtige Ablehnung der SVP-Einbürgerungsinitiative auf kommunaler Ebene. Offenbar findet es aber nur gerade ein Viertel der Bevölkerung cool, an Orten, wo man kaum ausweichen kann (z.B. beim Ausgang Neuengasse), dauernd angebettelt zu werden. Das bestärkt mich in einer konsequent linksgrünen Politik, in der aber nicht jeder Minderheitenauswuchs kritiklos hingenommen wird und alle überall tun dürfen, was ihnen grad so passt.

    Das Bärenparking ist bachab geschickt worden. Perfekt! Hier die Resultate der Stadt.

    Zusammen mit der deutlichen Schlappe auf nationaler Ebene für die SVP, VPM und andere Trötenwirrköpfe heute ein durchwegs schöner Wahlsonntag – denn im Kanton Uri kam zudem ein Rauchverbot deutlich durch, und im Baselbiet wurde die SVP-Initiative zur Abschaffung der Fachstelle für Mann und Frau abgelehnt. In Zürich erlitt Mario Tuena eine herbe Schlappe gegen Ruth Genner. Himmlisch.

    Schade: Die Erhöhung der Parkkartengebühren wurde in der Stadt Bern abgelehnt – im Zählkreis “Innere Stadt” aber nur knapp . Die Gassen werden weiterhin von Autos, die da nicht unbedingt sein müssen, vollgestellt sein – schade. Ein Sieg für das ewig jammernde und wenig kreative Gewerbe.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert