Aus einer Telefonzelle anrufen anno 1989

Das waren noch Publifone! (Basel, Januar 2007) - Klicken für grosse FassungWer im Handyzeitalter überhaupt noch ein Publifon braucht, schiebt meistens eine Kreditkarte ein, wählt die Rufnummer, telefoniert, legt auf – und nervt sich allenfalls über die Grundtaxe, die für jedes Gespräch anfällt.

Noch vor gar nicht so langer Zeit war das ganz anders, war beispielsweise ein Telefonat mit der Freundin aus den Winterferien ein komplexes Unterfangen: Als 17-jähriger Liebeskummriger musste ich anno 1989 – mangels Fernsprechgerät in der Ferienwohnung – jeweils einen längeren Fussmarsch durch die kalte Unterengadiner Nacht zurücklegen, um bei der Senter Post die beiden Telefonkabinen der Telecom PTT anzusteuern. Die waren natürlich abends meistens durch gleichgesinnte Erholungssuchende besetzt, sodass während der Wartezeit oft ein Aufwärmturnen im knirschenden Schnee vonnöten war. War die Kabine einmal freigegeben, merkte ich am Anfang meiner Telefonkabinenkarriere meistens, dass ich vergessen hatte, genügend Kleingeld zu organisieren. Mit der Zeit wurde man aber zum Profikabineur und wusste: Zuerst 2×20 und 1×10 Rappen, um zu schauen, ob die Dame des Herzens daheim weilt – und bei positiver Resonanz dann einen Fünfliber, um rund 20 Minuten mit ihr säuseln zu können.

Ja, meine Lieben: Schon damals scheffelte der heutige Ex-Monopolist fleissig Moneten in seine Täschchen. Bevor es die lästigen Sunrise, Tele2 und Konsorten gab, kostete Telefonbücher bei einem Publifon -wie es einst war (Januar 2007, Berghaus Nüegg, Diemtigtal) - Klicken für grosse Fassungdie Festnetztelefonie schier mehr als heute Handygespräche auf Fremdnetze kosten. Meine Eltern können ein Lied davon singen – denn in dieser Hinsicht war ich ein echter Saugoof: Wenn die PTT alle zwei Monate die Telefonrechnung schickte, klaubte ich sie meistens mit erhöhtem Puls aus dem Briefkasten und konnte anhand des Eintrags bei “Automatischer Verkehr Inland” (keine Sorge, nichts Perverses – 156er- bzw. 0900-Nummern gabs dannzumal noch nicht) abschätzen, wie gross das Donnerwetter werden würde.

Für einen Telefonapparat zu Hause musste man damals der PTT noch Miete zahlen – sofern man es nicht wagte, eines dieser chicen Drahtlosteils beim Discounter zuzulegen, auf denen drohend “Nur für Export!” geschrieben stand.

Doch zurück in die kalte Engadiner Nacht in der Telefonkabine. “Taxcards” kamen zwar in dieser Zeit auf – basierend noch auf einem interessanten mechanischen System -, aber in Sent gab es die noch nicht. Meistens war also nach dem einen Telefonbuch der PTT, 23.10.1989-6.91, Band 11 (Aargau) - Berghaus Nüegg, Diemtigtal, Januar 2007 - Klicken für grosse FassungFünffränkler Schluss, und das alle drei Tage, mehr lag auch aus finanziellen Gründen schlicht nicht drin – oder aber draussen warteten weitere die interpersonale, medial vermittelte Kommunikation Suchende. Der Zähler tickte unablässig und brutal gen Null, beim Stand von 90 Rappen musste man sich zu verabschieden beginnen, denn rund 25 Jahre, bevor es Online-Chats gab, galt es, all die Liebesschwüre und Floskeln wie “bb”, “hdmmfg” und “cu” in kultivierte Worte zu verpacken, deren Wirkung sodann drei Tage lang halten musste.

Ein Wunder, dass noch heute solche Anlagen, Typ “Metallkasten” – gegen die jeder Vandale chancelos ist – in Betrieb stehen. Im Berghaus Nüegg am Wiriehorn (Diemtigtal) habe ich ebenso ein Exemplar dieser ausstebenden Spezies entdeckt wie kürzlich in einem Spunten in Basel, dessen Name mir leider entfallen ist. Ein Hoch auf die ansonsten nicht wirklich geliebte Swisscom, dass sie diese Dinger nicht zwangsstillegt und einschmelzen lässt. Sogar Telefonbücher aus dem genannten Zeitraum lagen da noch in den schweren Metallhaltern, die vorab Stadtkinder heute vermutlich nicht einmal mehr zu bedienen wüssten.

13 Kommentare

  1. Nostalgie pur!
    habe gerade den Geruch der Telefonkabine in der Nase, wie die Bücher schmecken, wenn man sie aufgeschlagen hat…
    tempi passati…

  2. Und meist war es so, dass just DIE Seite des Telefonbuchs, welche man benötigte schon von jemand anderem rausgerissen wurde…
    Die elektronischen Verzeichnisse waren m.M. ein grosser Fortschritt. Wenn mich nicht alles täuscht, war die Abfrage anfangs sogar kostenlos, jetzt zahlt man ja glaubs 50 Rappen… (obwohl ich längere Telefonate immer noch aus der Kabine führe, bin ich mir nicht sicher, da ich die meisten Nummern auswenig kenne, bzw. in meinem PDA gespeichert habe).
    M
    F
    G
    Sopur

  3. Ja, diese Kisten waren anfangs kostenlos – ich kann mich erinnern, dass Peter Schneider sich auf DRS3 über die Swisscom lustig gemacht hatte, als die kostenpflichtige Abfrage eingeführt wurde.

    Da kommt mir die ganze Diskussion um die neuen Auskunftsnummern in den Sinn – schön, haben nun alle gleich lange Spiesse, doch an die armen Omis, die halt einfach s’Hundertelfi kennen, oder an all die Analphabeten, die nun die Feuerwehr anrufen, hat vermutlich bei der Planung der 18er-Nummern niemand gedacht.

    Irgendwie sagt das alles recht viel über die technischen Kenntnisse der Bevölkerung aus: An jedem PC mit Internetanschluss kann man eine Telefonnummer nachschlagen – und ist man unterwegs, kann man eine Telefonnummer viel günstiger (und je nach Anbieter sogar schneller) via WAP bzw. mit dem im fast jedem Handy eingebauten Webbrowser abfragen, ich tue das seit Jahren – es ist kinderleicht… die meisten Geräte sind dafür vorkonfiguriert.

    Nun gut – wenn man aus Bequemlichkeit lieber mehr Geld ausgibt, sich aber noch überlegen muss, wie diese neuen 18xx-Nummern heissen, die wiederum Unsummen für Werbung ausgeben… von mir aus. Das scheinen halt Eigenarten eines reichen Landes zu sein.

    Immerhin erlebt dank den neuen Auskunftsnummern der Heini-Hemmi-Look ein Revival: Einen der beiden kenn ich übrigens, hehe, das musste auch mal gesagt sein – der sieht aber gaaaanz anders aus… interessanterweise hab ich trotz einer grossen Medienpräsenz der beiden “18” noch nirgends eine Frage gesehen, wer denn die beiden Jungs wirklich sind…

  4. Mein Gott! Telefonkabinen! Ich hab schon seit Ewigkeiten keine mehr benutzt…

    Stadtkinder sind übrigens selber Schuld an ihrer Misere. Schliesslich waren es doch zuerst genau die, welche Telefonbücher demoliert haben! (Ich hab nicht mal mehr eins)

  5. Ich hab auch keins mehr… und nerve mich nicht mal, wenn das Web ausfällt – dann gibts ja Internet via UMTS/GPRS.

    Drogenhändler und Junkies waren ja auch nicht grad begeistert ob den elektronischen Kästen – plötzlich konnten sie den Stoff nirgends mehr verstecken rund um den Bahnhof. Dafür eigneten sich die Telefonbücher bestens.

  6. … und das Grosi, das einen 5-Liber einwarf, dann für 50 Rp. telefonierte, und anschliessend vergebens auf das Rückgeld wartete… Die fiese Seite dieser Dinger.

    Aber in der Tat kriegt man beim Anblick eines alten Publifons irgendwie ein gutes Gefühl. Seltsam, im Zeitalter modernster Kommunikation…

  7. Die Telefonbücher eigneten sich auch hervorragend für einen kurzen Händeputz nach einer Velopanne unterwegs (was meistens mit der Kette zu tun hatte).

    Könnte mir vorstellen, dass Du Dich auch noch für diese Idee begeistern lässt http://www.spunten.ch.

    Die vom aussterben bedrohten Telefonkabinen, Telefonbücher, und Telefonaschenbecher finden auch da eine Würdigung.

  8. Hallo Miteinander…
    Der Blog ist eifach super!
    Da kommen Kindheitsgefühle hoch 🙂
    Weiss eventuell jemand wo ich ein altes Telefonbuch der Zentralschweiz von der Zeit ca. 1990 finden kann?

  9. Hallo
    schöne Seite 🙂 ich habe mir vor ein paar Jahren eine solche Kassierstation ins Haus geholt, da bleibt jeder Besucher mit offenem Mund stehen…
    Und wenn ich dann sage dass diese (noch) funktioniert ist die Freude um so grösser!

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