Astronomische Roaming-Gebühren: Abzocke beim Telefonieren und Surfen im Ausland

Bald sind Sommerferien. Nach der Heimkehr kommt oft die böse Überraschung in Form einer astronomischen Handyrechnung. Aus aktuellem Anlass konnte ich für die “Berner Zeitung” vor einer Woche eine Seite zum Thema füllen. Hier die “extended Versions” davon – mit mehr Infos und Technikkram als in der Printfassung.

Text 1: Nachdem die Inlandtarife auf ein erträgliches Mass gesunken sind, bleibt den Mobilfunkanbietern nur noch das Ausland, um schamlos Kasse zu machen.

Die WLANs in Berlin haben lustige Namen: Rund um die Unterkunft finden sich Maultaschenmann, Ferdinand Funki, Elektrosmog – und ein paar nicht ganz jugendfreie Bezeichnungen. Nur sind sie alle mit einem Kennwort geschützt – keine Chance, schnell gratis die Mails abzurufen. Was tun?

“Die Stadt geniessen und das Handy abstellen” wäre eine Option. Aber des Freelancers Kunden wollen jederzeit bedient sein – und zum Genuss gehört schliesslich immer auch, die Daheimgebliebenen mit Fotos und SMS im Stile von “Brunchen im Prenzlauer Berg um 11 Uhr, wie schön” zu nerven.

Doch da bleibt schon der erste Bissen im Hals stecken: Wieviel kostet nun dieses MMS? Ist die Auslandoption für günstigere Tarife wirklich abonniert? Wieso verfünffachen sich die Preise ennet der Grenze eigentlich? Und wieso ist ein SMS bei Sunrise selbst mit Option viermal so teuer wie in der Schweiz? Astronomische Preise, die durch nichts zu rechtfertigen sind, zumal der Aufwand laut Telekom-Experten für die Anbieter minim ist. Ich sehe jedenfalls im Sunrise-Kundencenter online die Verbindungen aus dem Ausland umgehend – da scheint null manueller Aufwand dahinter zu stecken.

Also doch lieber per Postkarte – selber schuld, liebe Telekommer. Im Tessin existiert bereits ein Verein von Cablecom-Geschädigten. Weshalb gibt es angesichts dieser astronomischen Phantasiepreise noch keine “IG abgezockte Auslandtelefonierer”?

Ecke Sredzki- und Husemannstrasse in Berlin, Juni 2009: Hier arbeitet es sich gut - wenn nur die Surf-Abzockerei nicht wäre

Vor 20 Jahren war hier an der Sredzkistrasse noch DDR-Gebiet. Beinahe ereilt einen der verbotene Gedanke, dass die Einheitspreise doch nicht schlecht waren. Bei Ausland-Handytarifen versagt der freie Markt jedenfalls vollkommen. Erich würde sich ins Fäustchen lachen. Litt das Volk früher unter der SED, verzweifelt der Besucher heute an der Diktatur des Telekomariats.

Da vergeht einem der Appetit. Also: Die Freundin anrufen, die gerade aus dem Museum kommt, und… hm, kostet ein Anruf auf ein Schweizer Handy, das sich in der selben Stadt befindet, gleich viel wie ein Anruf ins Roamingland? Ach – sie zahlt ja auch noch für den eingehenden Anruf, und da ist diese schamlose Verbindungsaufbaugebühr von einem Franken – also doch lieber per SMS.

Für das Festlegen eines Treffpunktes und hats dann doch je drei Mitteilungen gebraucht, Kostenpunkt 2.40 Franken – statt 60 Rappen wie in der Schweiz. Am Alexanderplatz angekommen ruft sie gerade den Wetterbericht im Internet ab – er ist geschockt: “Himmel, weisst du, was das ohne Option kostet? Das waren mindestens 200 Kilobyte!” – Der fragende Blick zeigt: Die scheinbar transparente Preisbekanntgabe ist eine Farce – welcher technische Laie weiss schon, wieviel ein Kilobyte ist?

Einmal vergass ich im Vorferientrubel die Auslandoption. Nach einigen Briefen und Telefonate war Sunrise aber kulant und verrechnete den Optionstarif. Immerhin.

E-Mails checken auf dem Handy via GPRS / EDGE / UMTS kostet aber auch mit Option mindestens einen Franken pro Versuch. Der interessante Link in einem der Mails bleibt ungeklickt – viel zu teuer. Wieso existiert fürs Ausland kein Pauschaltarif wie in der Schweiz? Selbst eine reine Tagesoption würde helfen, dieses mulmige Gefühl loszuwerden, ob jeder Klick zu einer 1000-Franken-Rechnung führt.

An der Hauswand gegenüber prangt die Werbung des deutschen Mobilfunkanbieters o2: “Damit Sie beim Telefonieren nicht ans Telefonieren denken”. Schön wars.

Damit Sie beim Telefonieren nicht ans Telefonieren denken - leider nicht für Besuch aus der Schweiz...

Text 2: Nur mit Daten-Option surfen

Statistiken zeigen: Wer ein Smartphone wie das iPhone besitzt, nutzt die neuen Funktionen auch – und lädt sich damit mehr Daten übers Handynetz herunter. Das kann sehr teuer werden.

Seit Mitte Juli 2008 ist das iPhone 3G in der Schweiz offiziell erhältlich. Damals hatte noch kaum jemand das Gerät in den Sommerferien dabei. Dieses Jahr ist alles anders: Es ist der erste Sommer, in dem eine grosse Menge Apple- und andere Smartphones in Betrieb sind. Wer am Strand oder auf der Bergspitze Bilder verschicken will, sollte sich in Acht nehmen – und vor allem eine Datenoption abonnieren.

Der Vergleichsdienst comparis.ch hat für die Berner Zeitung verschiedene Profile für Auslandaufenthalte in Europa vergleichen: Die Eltern surfen ab und zu mit einem iPhone, die frisch verliebte Tochter bleibt per SMS mit ihrem Freund in Kontakt. Der Freelancer schliesslich arbeitet lieber eine Woche im Süden; er surft und telefoniert oft. Alle haben bereits ein bestehendes Abo bei einem der grossen Schweizer Mobilfunkanbieter.

Für alle Anbieter gilt: Wer das Handy in den Ferien fürs Surfen und fürs Herunterladen von Daten verwenden will, sollte dringend in Erwägung ziehen, eine Auslandoption zu abonnieren. Anders als bei den Inlandtarifen hat Swisscom die Nase vorn: Mit der Option “World Flex” bietet sie die günstigsten Tarife.

Der Teufel steckt aber im Detail – Ferienort, bestehendes Abo, Urlaubsdatum und Kommunikationsverhalten sind allesamt relevante Faktoren. Doch wer weiss schon vor den Ferien, wieviel man telefoniert und surft?

Für die Konsumentinnen und Konsumenten eine unmögliche Situation – selbst Telekomprofis müssen stundenlang rechnen, um abzuschätzen, welche Kosten bei welchem Verhalten anfallen. Auch mit Option ist Telefonieren im Ausland teuer – und Surfen sowieso. Man ist Swisscom, Orange und Sunrise schonungslos ausgeliefert, denn anders als in der Europäischen Union gelten für Swisscom, Sunrise und Orange keine Preisgrenzen.

Telecom-Experte Ralf Beyeler von comparis.ch sagt: “Das ist reine Abzockerei. Gewisse Preise sind durch nichts zu rechtfertigen. Bei Streitfällen empfehle ich, den Anbieter mit Hartnäckigkeit zu nerven – so lässt sich oft eine Preissenkung auf das günstigste Niveau mit Option aushandeln. Erreicht man keine Lösung, gelangt man an die Ombudsstelle.”

Wieso halten die Anbieter an dieser kundenfeindlichen Haltung fest und verrechnen nicht automatisch den günstigsten Tarif? Beyeler: “Gerade die teureren Anbieter Orange und Sunrise machen halt ausgezeichnete Umsätze. Solange die Kunden nicht abspringen – und die Roamingpreise scheinen dafür nicht ausschlaggebend zu sein – wird sich hier niemand bewegen. Die nächsten fünf Jahre erwarte ich keine Änderungen der heutigen Praxis. Den meisten Leuten ist es schlicht egal, vermutlich lösen über 90% nicht einmal die günstigste Option. Eigentlich sollte man direkt in einen Shop des Anbieters gehen und darauf bestehen, dass das Datenroaming komplett deaktiviert wird. So würden die Firmen merken, dass ihre Praktiken unsinnig sind.”

Aktionen wie bei Vodafone UK, wo die Roaminggebühren in den Sommerferien ganz wegfallen, sind hier zu Lande kaum zu erwarten – London ist voll von diesen Plakaten:

Vodafone UK streicht diesen Sommer das Roaming - in der Schweiz undenkbar

Wer genau am meisten kassiert, weiss man nicht – da kursieren laut Ralf Beyeler die unterschiedlichsten Angaben: Ists der Schweizer Anbieter? Ists sein ausländischer Partner? Je nach Quelle höre man etwas ganz anderes. Und die Swisscom beispielsweise wehrt sich gar gegen eine transparente Preisbekanntgabe.

Soll man die Anbieter fragen, was im individuellen Fall die beste Wahl ist? Leider ist selbst auf ihre Auskünfte nicht immer Verlass. Man hört von haarsträubenden Geschichten, wo Shop-Mitarbeiter von grossen Schweizer Anbietern schlicht falsche Empfehlungen abgeben. Testanrufe bei Providern mit identischen Fragen ergeben fast jedesmal andere Antworten.

Wer ganz auf Datenabruf verzichtet, muss bei der Swisscom nochmals genau rechnen; die entsprechende Option lohnt sich erst 20 Minuten und 15 SMS pro Kalendermonat – letzteres ist wichtig, denn wer vom 28. Juni bis 2. Juli weggeht, bezahlt zwei Monatsgebühren. Die verglichenen Tarife gelten für die meisten europäischen Länder – je nach Anbieter und Land gibt es aber Ausnahmen, namentlich für die Türkei. Für die USA als diesen Sommer sehr beliebtes Reiseziel (und generell für Übersee) ist nochmals alles anders – auf einen Nenner gebracht: nochmals viel teurer.

Die Preistabelle ist hier abrufbar, die Originalseite als PDF hier (650 KB). Weitere hilfreiche Links: Spartipps von Comparis / Es geht auch anders: Roaming-Promotion von Vodafone UK / Artikel im heutigen Tagi

7 Kommentare

  1. Der Anti-Roaming-Abzocker-Club gibt’s schon und nennt sich EU.

    Aber die Telcos wehren sich wo sie können… Kein Wunder: Die Einnahmen bei Sprachkommunikation sinken und sinken und werden sich niemals wieder erholen. Da sollen die Datengebühren noch einen Moment hinhalten zum Einnahmen generieren.

  2. Musste mit der letzten Rechnung leider selbst erfahren, wie mit den Roaming-Gebühren abgezockt wird. Darin hatte ich einen Posten von 60.- für Datenroaming von lediglich 1.4MB. Also schnell auf der entsprechenden Seite nachgeschaut: mit aktivierter Global Option (welche das Roaming günstiger machen sollte) zahlt man 4.40/MB. Wie kommen also die 60.- zustande? Ganze einfach: Sunrise verechnet in 100kb Intervallen, was soviel heisst wie jedes noch so kleine Paket kostet 40 Rappen. Bei verbindungslosen Protokollen wie GPRS wird das natürlich extrem teuer. Und die Frechheit dabei: Als Kunde habe weder Übersicht noch Kontrolle über die Kosten. Ich musste sogar feststellen, dass ich ohne die Option rund 15.- günstiger gefahren wäre!

    Eine ausführlichere Schilderung findet man auf meinem Blog.

  3. Die Swisscom (anhand der Absender-IP des letzten Kommentars identifizierbar) hat offenbar entdeckt, dass man in Kommentaren Links zu Swisscomseiten setzen kann.

    Zumal die “tocaya” mit ihrer Hotmail-Adresse samt ihrem Namen postete, googeln wir und finden, tadaaa… “Marketing Specialist, Swisscom”.

    Aber auch wenn wir der Swisscom hier normalerweise nicht so wahnsinnig freundschaftlich verbunden sind: Das Video dünkt mich charmant und nett gemacht. Drum lasse ich den Link stehen. Man darf ja auch mal sagen, wenn die Swi$$com mit ihren Millionen etwas Gutes macht, und da dies quasijournalistischer Grundstoff ist, dämpfen wir unsere persönliche Haltung hier aufs absolute Minimum.

    Und wenn Du, liebe “tocaya”, das in deiner Freizeit als Privatperson getan haben solltest (was ich zwar anhand der IP und der Uhrzeit nicht vermute), dann entschuldige bitte. Dein Getwittere ist übrigens ganz amüsant, ich werde dich sicher follouisieren.

    PS: Grossen Dank für den ausgezeichneten Stoff für einen grundlegenden Blogbeitrag rund ums Thema “wie gehen Konzerne mit social media um”!

  4. Freue mich übrigens schon auf meinen neuen Follower 😉 – auch wenn meine Twitteraktivitäten sehr schwanken..

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