50 Jahre Ungarnaufstand – 50 Jahre in der Schweiz

“Jacomet” tönt nicht ungarisch – ist auch nicht ungarisch. “Engel” tönt auch nicht ungarisch – ist aber in diesem Falle ungarisch: Heute vor 50 Jahren – am 17. November 1956 – ist die Familie Engel, sind meine Grosseltern in einem Schweizer Auffanglager angekommen. Mit meiner dreijährigen Mutter im Schlepptau, nach einer abenteuerlichen Flucht vor den Wirren des Ungarnaufstandes.

Alltag in Ungarn: Meine Grosseltern im Mai 1951 in Sopron (Ungarn) - klicken für grosse Fassung

Zum Bündner Nachnamen kam es später nach Skiferien in Sedrun – doch das ist eine ganz andere Geschichte.

Im Grunde genommen bin ich also ein Secondo, nur merkt mir das kein Mensch an, nicht mal ich selbst. Ich habe weder einen Nachnamen mit -ic, noch sprech ich voll krass mann ey und werde bei der Lehrstellensuche auch nicht diskriminiert – und das ist irgendwie ungerecht.

Mitunter dank der antikommunistischen Stimmung der 1950er-Jahre – auf dem nächsten Foto rechts hinten sieht man zufällig einen der sowjetischen Hauptübeltäter – …

… wurden die Flüchtlinge jedenfalls noch euphorisch willkommen geheissen – Schwein gehabt. Diese Geschichte wurde aber schon oft erzählt, auf dieser Seite zum Beispiel.

Hier für einmal ganz persönliche Erinnerungen eines dieser Flüchtlinge.

Ich habe vor einem Jahr mit meinem inzwischen 76-jährigen Grossvater ein Gespräch geführt – anlässlich des 50-jährigen Jahrestages der Flucht vor den Kommunisten sind hier einige Ausschnitte zu hören.

Zunächst erzählt “Apu” (“Papa”) vom schwierigen Alltag in Ungarn und von den Gründen für die Fucht – unter anderem hätte seine Frau (im Ausschnitt “Anyu”, “Mama”, genannt) als Lehrerin die kommunistische Lehre verbreiten sollen; für sie als Christin unerträglich.

(Edit: Apu starb im Frühling 2007, anderthalb Jahr nach diesen Tonaufnahmen.)

O-Ton 1: Gründe für die Flucht, schwieriger Alltag im Ungarn der frühen 1950er-Jahre: Auch Jugendliche kommen ins Gefängnis

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Nach der Ankunft in Buchs (SG) mit der Bahn wurden die Flüchtlinge in verschiedene Auffanglager verteilt, meine Grosseltern und ihre Angehörigen kommen nach Litzirüti bei Arosa (GR), siehe auch Foto ganz unten.

O-Ton 2: Ankunft in Litzirüti, erste “interessante” Begegnungen mit der bündner Küche – Polenta verfütterte man in Ungarn vor allem den Schweinen, was viele Ungarn vor den Kopf stiess…

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Zufällig gings dann weiter ins Baselbiet – der Kanton Baselland übernimmt die meisten Flüchtlinge. Der spätere Arbeitgeber meines Grossvaters holt die Familie persönlich ab.

O-Ton 3: Von Litzirüti ins Baselbiet (wegen der Suezkrise und Benzinmangel mit der Bahn): Wir sind im Paradies!

(Lieber in eigenem Player hören / herunterladen – MP3, 800 KB)

Nach diesem Gespräch wusste ich endlich, warum ich Webpublisher geworden war – mein Urgrosspapa war in Ungarn Webermeister!

Nun – wie einige unverbesserliche Menschen aus anderen Gegenden der Welt heute waren auch die Ungarn damals nicht nur Engel, was in der Schweiz natürlich schlecht ankam. Davon bald an dieser Stelle – weitere Ausschnitte aus dem Gespräch mit “Apu” folgen bald.

Aus dem Familien-Fotoalbum:

Ankunft unserer Familie in Litzirüti (GR) heute vor 50 Jahren.

Die Familie entdeckt die Schweiz und ist in meinen heutigen Gefilden unterwegs: Thunersee, ca. 1958 (Klicken für grössere Fassung)

Die Familie entdeckt die Schweiz und ist in meinen heutigen Gefilden unterwegs: “Apu” vor einer unbekannten Frau und dem Stockhorn auf dem Thunersee, ca. 1958.

Heimisch geworden: Die Familie vor dem Schulhaus in Itingen (BL), wo ich 1979-1984 auch die Primarschule besuchte (klicken für grössere Fassung)

Heimisch geworden: Die Familie etwa 1959 vor dem Schulhaus in Itingen (BL) – hier drückte ich 1979-1984 ebenfalls die Schulbank.

Die beste Urgrossmutter: Gib dem Blogger geraffelte Äpfel, anno 1976 (klicken für grössere Fassung)

Gib dem Blogger geraffelte Äpfel: Der erste Grosskind [sic!] wird von der besten Urgrossmutter der Welt vorbildlich umsorgt – an diese Plastikschüsseln erinnere ich mich noch bestens. “Mati” lernte nie richtig deutsch, schlug sich aber immer irgendwie durch und erzählte stundenlang coole ungarische Märchen.

10 Kommentare

  1. hallo andi,
    lebt dein grosspapa noch?
    frag mal deinen grossvater (aus sopron), ob er joszef und jolanda ragasit – asboth ebenfalls
    aus sopron kennt (oder sich errinert)
    besten dank für deine antwort.
    freundlichst
    zoltan

  2. Hallo
    Aus aktuellem Anlass ist mir wieder in den Sinn gekommen, dass meine Gotte damals die Leute aus Ungarn nach Litzirüti begleitete.
    Ob sich irgendwer an Bethli Nänni erinnert?
    Danke für Hinweis!
    Gruss – Loni

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