20 Jahre Schweizerhalle: Erlebnisse und Töne vom 1.11.1986

Nach Challenger und Tschernobyl auch das noch: In der Nacht des 1. Novembers 1986 brach in einer Sandoz-Lagerhalle bei Schweizerhalle ein Grossbrand aus. Ich war damals 14, wohnte in der Region Basel und war nicht der einzige, der bei den ersten Tönen aus dem Radiowecker Hühnerhaut bekam.

20 Jahre nach der Sandoz-Katastrophe habe ich im Archiv gewühlt und einiges gefunden – hier zum Beispiel eine der ersten Durchsagen auf Radio Raurach Extrablatt der Basler Zeitung zum Brand in Schweizerhalle, verteilt am 1.11.1986 - klicken für grössere Fassung(heute “Basel One”): Morgenmoderator Rolf Wirz verkündet um etwa 6.15 Uhr in der Früh den aktuellen Stand (MP3, 280 KB – nebenbei gesagt unfassbar, dass ich einmal regelmässig um diese Zeit aufgestanden bin).

Für Baselbieter ist Schweizerhalle sowas wie 9/11 im Kleinformat – alle wissen noch, wo sie am 1. November waren. Eine meiner ersten Erinnerungen ist ein klassischer Reflex, der an jenem Morgen fatal hätte sein können: In unserem Badezimmer hatte es einen Ventilator, der ansprang, wenn man das Licht anschaltete. Meine Mutter hatte mir gesagt, ich solle vorsichtshalber den Lichtschalter nicht drücken. Man wisse noch nicht, was für Stoffe in der Luft seien. Verpennt, wie ich war, tat ich es natürlich dennoch – und schloss panikartig die Tür, nicht wissend, ob ich nun ersticken würde.

Bei uns im Oberbaselbiet roch man aber wegen dem Ostwind nichts – so drückte ich wieder die Aufnahmetaste am Radiorecorder: Um halb sieben kamen die ersten Stimmen einer improvisierten Medienkonferenz auf den Sender (MP3, 1.1 MB).

Improvisiert war ohnehin so ziemlich alles: Die Durchsagen für die ausländische Wohnbevölkerung tönten reichlich handgestrickt (MP3, 280 KB).

Erstaunlich unkritisch waren die Radioleute an jenem Tag: Andrea Müller, damals Basler Korrespondent von Radio DRS, verkündete in den DRS-Nachrichten um 7 Uhr euphorisch das Ende des Alarms (MP3, SonntagsBlick vom 2. November 1986 - klicken für grössere Fassung1 MB): “Man kann sich wieder frei bewegen, es wird zwar noch einen Moment weiterstinken. Was einen Riesentrubel brachte, hat sich in Minne aufgelöst.”

Auf Radio Raurach fassten Peter Rusch und Regula Nebiker am Mittag die Ereignisse zusammen (MP3, 3 MB); die Statements der Pressekonferenz erinnern an die dunkelsten Kindheitsjahre der Informationspolitik – die Verantwortlichen und Politiker waren noch alles andere als mediengewandt.

Im DRS-Mittagsjournal war erstmals davon die Rede, dass giftiges Löschwasser in den Rhein gelangt sein könnte (MP3, 270 KB).

Der Journalist Peter Kleiber war einer der ersten Augenzeugen; in einem Gespräch mit Peter Rusch von Radio Raurach schildert er am Samstagmittag seine Eindrücke (MP3, 1.6 MB).

Die Information der Öffentlichkeit war gelinde gesagt nicht besonders glücklich – es hiess, die Schulen seien geschlossen, dennoch waren aber etliche Schulen geöffnet. Auch meine, die Sekundarschule Sissach: Wie wir den 1.11.1986 erlebten und am Nachmittag mit zitternden Knien nach Basel fuhren, was die Leute im Tram sprachen, wie wir noch am Nachmittag den Gestank Schweizer Illustrierte vom 3. November 1986 - klicken für grössere Fassungwahrgenommen haben – das alles steht in einem grossen Bericht in der Ausgabe 38 unserer Schülerzeitung “FGOI” ab Seite 6 (Original vom November 1986 als PDF, 4 MB).

In der DRS-Tagesschau-Hauptausgabe vom 1.11.1986 (WMV, 19 MB) – präsentiert von einem jungen Charles Clerc – ist der rot verfärbte Rhein sichtbar. Erste tote Fische künden vom Unheil, das bald zu Tage treten sollte.

Am Montag war das Ausmass des Fischsterbens immer noch unklar; es beginnen erste Schuldzuweisungen. Der Baselbieter Regierungspräsident sinnierte ernsthaft darüber nach, der Bevölkerung nun Gasmasken zu verteilen (Regionalnachrichten von Radio Raurach vom 3. November 1986, 7 Uhr, mit Rolf Wirz – MP3, 1.1 MB).

Die Idee mit den Gasmasken hatten auch findige Abzocker – Inserate wie hier im Schülerzeitungsbericht gab es zuhauf. Erinnert an 0906-Abzocke oder nützliche Fallschirme für Hochhaus-Büroarbeiter im 21. Jahrhundert.

Später wurde die Diskussion teils gehässig geführt – an Podien flogen Farbbeutel, während die Sandoz weiter verharmloste. Am 10. November 1986 rief auf Radio Raurach Peter Rusch in einem Kommentar beide Seiten dazu auf, alle Fakten auf den Tisch zu legen bzw. keine sinnlosen Gewaltakte zu begehen (MP3, 890 KB – man beachte, damals brachten Lokalradios noch Kommentare).

Jürg Stöckli vom DRS-Regionaljournal fasst die Ereignisse heute als “Lehrstück über Ueberforderungen und Arroganz” zusammen. Sein persönlicher Rückblick ist in jeder Hinsicht hörenswert.

Mehr Stimmen im DRS-Dossier; mehr Informationen zu einer Veranstaltungsreihe und Quellensammlung hier.

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